Kartellschadensersatz für geleaste Lkw
BGH v. 5.12.2023 - KZR 46/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die beklagte Daimler AG auf Ersatz kartellbedingten Schadens in Anspruch. Nach einem Vergleich mit den Betroffenen stellte die EU-Kommission mit Beschluss vom 19.7.2016 fest, dass die Beklagte und mindestens vier weitere Hersteller, nämlich MAN, Volvo/Renault, Iveco und DAF durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lkw sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte und vom 17.1.1997 bis zum 18.1.2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die Beklagte ein Bußgeld von gut 1 Mrd. €. Die Streithelferinnen zu 1) bis 9) sind Konzernunternehmen weiterer Hersteller von Lkw, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten sind.
Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen, das im Baustoffhandel tätig ist. Sie nutzte auf der Grundlage von zwölf Leasingverträgen und Mietkaufverträgen im Zeitraum von Februar 2005 bis 2012 von der Beklagten sowie dem Konzern der Streithelferinnen zu 1) bis 3) hergestellte mittelschwere und schwere Lkw.
Das LG wies die auf Schadensersatz i.H.v. rd. 52.000 € gerichtete Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin erkannte das OLG die Klage wegen der zwischen 2005 und 2011 geschlossenen elf Leasing- und Mietkaufverträge als dem Grunde nach gerechtfertigt (vgl. § 304 ZPO). Wegen des 2012 geschlossenen Leasingvertrags wies es die Klage ab; insoweit ist das Urteil rechtskräftig. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg
Die Gründe:
Das OLG hat mit Recht einen vorsätzlichen Verstoß der Beklagten gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV (Art. 81 EGV) sowie § 1 GWB festgestellt. Es hat zutreffend die Feststellungen im Kommissionsbeschluss für bindend erachtet und angenommen, dass die Beklagte vom 17.1.1997 bis 18.1.2011 an einer Koordinierung der Bruttolistenpreise für mittelschwere und schwere Lkw beteiligt war (BGH v. 13.4.2021 - KZR 19/20). Das wettbewerbsbeschränkende Verhalten war geeignet, einen Schaden der Klägerin zu begründen, weil sie Leasing- und Mietkaufverträge über LKW geschlossen hat, die sachlich und zeitlich von den Absprachen erfasst waren.
Der Klägerin ist aufgrund der Kartellabsprache auch mit der für ein Grundurteil erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden. Zugunsten der Abnehmer eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens streitet der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten. Daraus folgt, dass auch die für kartellbetroffene Produkte von einem Leasingnehmer oder Mietkäufer an eine Finanzierungsgesellschaft zu entrichtenden Entgelte kartellbedingt überhöht sind, wenn die Leasing- oder Mietkaufverträge - wie es hier der Fall war - auf die vollständige Deckung des jeweiligen Anschaffungspreises gerichtet sind. Aufgrund der Art und Schwere des Kartellverstoßes, der Marktabdeckung der Kartellbeteiligten im Europäischen Wirtschaftsraum von mehr als 90 % und der Aufrechterhaltung des Kartells über 14 Jahre kommt dem Erfahrungssatz bei der erforderlichen Gesamtabwägung ein erhebliches Gewicht zu.
Die Beklagte hat demgegenüber nicht erklärt, weshalb die Preiskoordinierung trotz ihrer langen Dauer wirkungslos geblieben sei. Die Gründung und Aufrechterhaltung des Kartells trotz der damit verbundenen erheblichen Risiken ist ohne eine lohnenswerte Kartellrendite nicht nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund stehen die Vergleichsmarktbetrachtungen der Beklagten und der Streithelferinnen 1) bis 3), wonach nur ein insignifikanter Kartelleffekt eingetreten sein soll, für sich allein nicht der Annahme entgegen, dass jedenfalls ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden ist. Das LG wird nunmehr im Betragsverfahren über die Schadenshöhe zu befinden haben.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Zur Beachtung des Erfahrungssatzes, dass im Rahmen eines Kartells erzielte Marktpreise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, bei der Abstimmung von Listenpreisen eines Produkts durch Hersteller; zum Lauf der Sechsmonatsfrist des § 204 Abs. 2 BGB bei Kartellschadensersatzansprüchen, deren Verjährung wegen der Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission wegen eines Kartellverstoßes gemäß § 33 Abs. 5 GWB 2005 gehemmt wird
BGH vom 13.04.2021 - KZR 19/20
WM 2022, 1696
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BGH PM Nr. 201 vom 5.12.2023
Die Klägerin nimmt die beklagte Daimler AG auf Ersatz kartellbedingten Schadens in Anspruch. Nach einem Vergleich mit den Betroffenen stellte die EU-Kommission mit Beschluss vom 19.7.2016 fest, dass die Beklagte und mindestens vier weitere Hersteller, nämlich MAN, Volvo/Renault, Iveco und DAF durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lkw sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte und vom 17.1.1997 bis zum 18.1.2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die Beklagte ein Bußgeld von gut 1 Mrd. €. Die Streithelferinnen zu 1) bis 9) sind Konzernunternehmen weiterer Hersteller von Lkw, die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten sind.
Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen, das im Baustoffhandel tätig ist. Sie nutzte auf der Grundlage von zwölf Leasingverträgen und Mietkaufverträgen im Zeitraum von Februar 2005 bis 2012 von der Beklagten sowie dem Konzern der Streithelferinnen zu 1) bis 3) hergestellte mittelschwere und schwere Lkw.
Das LG wies die auf Schadensersatz i.H.v. rd. 52.000 € gerichtete Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin erkannte das OLG die Klage wegen der zwischen 2005 und 2011 geschlossenen elf Leasing- und Mietkaufverträge als dem Grunde nach gerechtfertigt (vgl. § 304 ZPO). Wegen des 2012 geschlossenen Leasingvertrags wies es die Klage ab; insoweit ist das Urteil rechtskräftig. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg
Die Gründe:
Das OLG hat mit Recht einen vorsätzlichen Verstoß der Beklagten gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV (Art. 81 EGV) sowie § 1 GWB festgestellt. Es hat zutreffend die Feststellungen im Kommissionsbeschluss für bindend erachtet und angenommen, dass die Beklagte vom 17.1.1997 bis 18.1.2011 an einer Koordinierung der Bruttolistenpreise für mittelschwere und schwere Lkw beteiligt war (BGH v. 13.4.2021 - KZR 19/20). Das wettbewerbsbeschränkende Verhalten war geeignet, einen Schaden der Klägerin zu begründen, weil sie Leasing- und Mietkaufverträge über LKW geschlossen hat, die sachlich und zeitlich von den Absprachen erfasst waren.
Der Klägerin ist aufgrund der Kartellabsprache auch mit der für ein Grundurteil erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden. Zugunsten der Abnehmer eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens streitet der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten. Daraus folgt, dass auch die für kartellbetroffene Produkte von einem Leasingnehmer oder Mietkäufer an eine Finanzierungsgesellschaft zu entrichtenden Entgelte kartellbedingt überhöht sind, wenn die Leasing- oder Mietkaufverträge - wie es hier der Fall war - auf die vollständige Deckung des jeweiligen Anschaffungspreises gerichtet sind. Aufgrund der Art und Schwere des Kartellverstoßes, der Marktabdeckung der Kartellbeteiligten im Europäischen Wirtschaftsraum von mehr als 90 % und der Aufrechterhaltung des Kartells über 14 Jahre kommt dem Erfahrungssatz bei der erforderlichen Gesamtabwägung ein erhebliches Gewicht zu.
Die Beklagte hat demgegenüber nicht erklärt, weshalb die Preiskoordinierung trotz ihrer langen Dauer wirkungslos geblieben sei. Die Gründung und Aufrechterhaltung des Kartells trotz der damit verbundenen erheblichen Risiken ist ohne eine lohnenswerte Kartellrendite nicht nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund stehen die Vergleichsmarktbetrachtungen der Beklagten und der Streithelferinnen 1) bis 3), wonach nur ein insignifikanter Kartelleffekt eingetreten sein soll, für sich allein nicht der Annahme entgegen, dass jedenfalls ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden ist. Das LG wird nunmehr im Betragsverfahren über die Schadenshöhe zu befinden haben.
Rechtsprechung:
Zur Beachtung des Erfahrungssatzes, dass im Rahmen eines Kartells erzielte Marktpreise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, bei der Abstimmung von Listenpreisen eines Produkts durch Hersteller; zum Lauf der Sechsmonatsfrist des § 204 Abs. 2 BGB bei Kartellschadensersatzansprüchen, deren Verjährung wegen der Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission wegen eines Kartellverstoßes gemäß § 33 Abs. 5 GWB 2005 gehemmt wird
BGH vom 13.04.2021 - KZR 19/20
WM 2022, 1696
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