Kein Schadensersatz für EnBW wegen der Abschaltung ihrer Kernkraftwerke nach Fukushima
LG Bonn 6.4.2016, 1 O 458/14Bereits wenige Tage nach den Ereignissen von Fukushima hatten sich führende Bundes- und Landespolitiker darauf verständigt, dass zum einen ein Moratorium im Hinblick auf die 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung gelten soll und zum anderen, dass die sieben deutschen Kernkraftwerke, die vor 1980 in Betrieb genommen worden waren, vorübergehend abgeschaltet werden sollten. Die Klägerin gab daraufhin bekannt, Neckarwestheim I freiwillig abschalten zu wollen.
Im März 2011 teilte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) den zuständigen Landesministerien den Beschluss der Bundesregierung und der beteiligten Ministerpräsidenten mit, wonach die ältesten sieben Kernkraftwerke gem. § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG für mindestens drei Monate vom Netz genommen werden sollten, weil im Hinblick auf deren Alter und der Ereignisse in Japan ein Gefahrenverdacht vorläge. Die Landesministerien wurden darum gebeten, mit dieser Begründung die Einstellung der betroffenen Kernkraftwerke anzuordnen.
Gleichzeitig ordnete das zuständige baden-württembergische Ministerium die Einstellung der Kernkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg I an, wobei das Schreiben weitgehend dem Schreiben des BMU entsprach und den Zusatz enthielt, dass die Anordnung auf Bitten und in Abstimmung mit dem Bundesumweltministerium ergehe. Die Klägerin nahm die beiden Kernkraftwerke daraufhin vom Netz. Zwar hatte sie erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnungen, wollte aber wegen des langfristigen Erhalts der Kundenbeziehungen und der Akzeptanz des Unternehmens in Gesellschaft und Politik nicht gerichtlich vorgehen. Mit derselben Begründung sah die Klägerin davon ab, die beiden Kernkraftwerke nach Ablauf der Anordnung im Juni 2011 wieder hochzufahren. Mit Inkrafttreten des 13. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes am 6.8.2011 erlosch die Betriebserlaubnis u.a. für die beiden genannten Kernkraftwerke.
Später forderte die Klägerin dann vom Land Baden-Württemberg und der Bundesrepublik Deutschland über 261 Mio. € Schadensersatz für die Abschaltung ihrer Kernkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg I im Zeitraum von März bis August 2011. Das LG wies die Klage ab. Gegen das Urteil kann innerhalb eines Monats Berufung eingelegt werden.
Die Gründe:
Soweit die Klägerin die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz in Anspruch genommen hatte, wurde die Klage abgewiesen, weil die Einstellungsanordnungen nicht durch die Bundesrepublik erlassen wurden, sondern durch das Land Baden-Württemberg. Unerheblich war, ob die Anordnungen des Bundeslandes auf Weisung des Bundes beruhten. Schließlich ist im Fall der Bundesauftragsverwaltung i.S.d. Art. 85 GG nach außen stets das jeweilige Bundesland verantwortlich. Führt das Bundesland eine rechtswidrige Weisung aus und wird es insoweit auf Schadensersatz in Anspruch genommen, kann es diesen Schaden im Innenverhältnis dem Bund gegenüber gelten machen.
Die Klägerin hat aber auch keinen Amtshaftungsanspruch gegen das Land Baden-Württemberg aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG. Schließlich hatte sie selbst es zuvor schuldhaft unterlassen, den Schaden durch die Einlegung eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Gegen die Einstellungsanordnungen hätte die Klägerin nämlich Anfechtungsklage erheben können. Sie hatte aber darauf verzichtet.
Diese Klage hätte sogar Aussicht auf Erfolg gehabt, denn eine Risikoneubestimmung nach den Ereignissen von Fukushima und das Alter der Kernkraftwerke alleine begründen keinen Gefahrenverdacht (konkrete Schadensmöglichkeit aufgrund des Betriebs der Kernkraftwerke für Leben, Gesundheit oder Sachgüter). Ohne konkrete Anhaltspunkte für etwaige Gefahren ist die Anordnung der Abschaltung nach dem Gesetz nicht gerechtfertigt. Das Land Baden-Württemberg hatte das ihm zustehende Ermessen nicht ausgeübt, sondern lediglich die Entscheidung anderer ohne eigene Abwägung übernommen. Die Einlegung der Anfechtungsklage durch die Klägerin hätte aufschiebende Wirkung gehabt, so dass sie damit das Abschalten der beiden Kernkraftwerke ab dem März.2011 und die daraus resultierenden Schäden hätte vermeiden können.
Die Einlegung dieser Klage wäre für die Klägerin auch zumutbar gewesen. Drohende Konsequenzen wie Kundenverlust und Imageschäden stellen unternehmenspolitische und strategische Gründe dar, die eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung im rechtlichen Sinn nicht begründen können. Soweit die Klägerin Schäden geltend gemacht hatte, die aus der Zeit nach Juni 2011 herrührten, fehlte es an der Kausalität der Anordnungen des Landes Baden-Württemberg. Schließlich waren sie für drei Monate befristet und betrafen diesen Zeitraum daher nicht.