07.02.2024

Keine Entstellung eines Tischgestells

Die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Rechte gegen Entstellung (§ 14 UrhG) und auf Anerkennung der Urheberschaft (§ 13 UrhG) schützen allein die Beziehung des Urhebers zu seinem Werk, also zu einem von ihm geschaffenen konkreten Werk und nicht zu seinem gesamten Werkschaffen.

BGH v. 9.11.2023 - I ZR 203/22
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind die Kinder und (verbliebenen) Erben des 1970 verstorbenen Architekten Egon Eiermann. Sie haben im Wege der Stufenklage Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen des Vertriebs des Tischgestells "E2" in den Jahren 2009 bis 2019 geltend gemacht. Dieses wurde von Adam Wieland unter Verwendung eines 1953 von Egon Eiermann entworfenen Tischgestells ("Gestell 1953") geschaffen, das über eine raumdiagonale Kreuzverstrebung verfügt.

Adam Wieland hatte das Urstück des heutigen "E2" im Jahr 1965 durch Zersägen und erneutes Zusammensetzen eines Exemplars des von Egon Eiermann geschaffenen Tischmodells hergestellt. Die Querstreben des "E2" verlaufen - anders als die des Gestells 1953 - nicht raumdiagonal, sondern in einer Ebene. Mit Blick auf die raumdiagonal angebrachten Querstreben des "Gestells 1953" hat sich der Merksatz etabliert "Stößt Du Dir die Beine an, sitzt Du an 'nem Eiermann".

Die Kläger sahen in dem Vertrieb des "E2" eine Verletzung ihres Urheberrechts am "Gestell 1953". Das LG hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren haben die Kläger erklärt, ihre Klage (wegen eines inzwischen mit einem Drittunternehmen geschlossenen Vertrags über die Einräumung ausschließlicher Nutzungsrechte) nicht mehr auf die Verletzung von Verwertungsrechten nach §§ 15 ff. UrhG, sondern allein auf eine Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts durch Entstellung nach § 14 UrhG zu stützen. Die Berufung vor dem OLG blieb ebenso wie Revision vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen des geltend gemachten Auskunftsanspruchs zutreffend § 97 Abs. 2 und § 14 UrhG i.V.m. § 242 BGB entnommen. Die Kläger hatten sich im Streitfall nicht mehr auf eine Verletzung der urheberrechtlichen Verwertungsrechte, sondern allein noch des Urheberpersönlichkeitsrechts in der Erscheinungsform des Schutzes vor einer Entstellung oder anderen Beeinträchtigung des Werks i.S.v. § 14 UrhG berufen. Die schuldhafte Verletzung des § 14 UrhG begründet die Schadensersatzpflicht nach § 97 Abs. 2 UrhG und nach § 242 BGB die Pflicht zur Auskunft zwecks Bezifferung dieses Schadensersatzanspruchs. Für die Beurteilung der Auskunfts- und Schadensersatzpflicht ist auf die Rechtslage zur Zeit der Vornahme der beanstandeten Handlung abzustellen.

Auch die Beurteilung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des "Gestells 1953" war frei von Rechtsfehlern. Die Revision rügte vergeblich, das OLG habe außer Acht gelassen, dass Urheberrechtschutz nicht nur durch für sich genommen schutzfähige Elemente, sondern auch durch die eine eigenschöpferische Leistung aufweisende Kombination von für sich genommen nicht schutzfähigen Elementen untereinander oder mit einem neuen Element begründet werden könne. Zwar trifft es zu, dass die Kombination für sich genommen nicht schutzfähiger, weil etwa auf vorbekannten Gestaltungen beruhender Elemente Urheberrechtsschutz erlangen kann, sofern sie in ihrer Gesamtheit eine Schöpfung individueller Prägung darstellt. Mit der Rüge zeigte die Revision jedoch einen Rechtsfehler der Vorinstanz nicht auf.

So hat auch die Beurteilung des OLG, das von der Beklagten vertriebene Tischmodell sei keine Entstellung des Originaltischs i.S.d. § 14 UrhG, im Ergebnis Bestand. Gegenstand der Klage waren Ansprüche wegen des Vertriebs des Modells "E2" in den Jahren 2009 bis 2019. Die Kläger gingen also nicht gegen die seinerzeitige Zerlegung und Änderung eines "Gestells 1953" vor, sondern beanstandeten den Vertrieb des "E2" als unzulässige Nachbildung des "Gestells 1953". Damit war die Zulässigkeit der Änderung des Originals - hier: der seinerzeitigen Zerlegung eines Tischs - nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Die Revision hat weiter keinen Erfolg, soweit sie die Beurteilung des Berufungsgerichts angegriffen hatte, mangels Eingriffs in den geistig-ästhetischen Gesamteindruck liege in dem Vertrieb des "E2" keine Beeinträchtigung i.S.v.§ 14 UrhG. Eine Verletzung des Urheberrechts durch die (inhaltliche) Änderung eines Werks als solche kommt weder unter dem Gesichtspunkt der Verwertungsrechte (§§ 15 ff. UrhG) noch demjenigen des Urheberpersönlichkeitsrechts (§ 13 Satz 1, § 14 UrhG) in Betracht, wenn es sich bei der (inhaltlichen) Änderung um eine freie Benutzung i.S.v. § 24 Abs. 1 UrhG aF, § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG nF handelt, weil der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, so dass die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks eingreift.

Die geltend gemachten Ansprüche waren auch nicht nach § 97 Abs. 2 und § 13 UrhG i.V.m. § 242 BGB begründet. Denn wie das Entstellungsverbot nach § 14 UrhG schützt das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft nach § 13 UrhG nicht vor einer etwaigen Fehlzuordnung der Urheberschaft an fremden Werken. Die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Rechte gegen Entstellung (§ 14 UrhG) und auf Anerkennung der Urheberschaft (§ 13 UrhG) schützen allein die Beziehung des Urhebers zu seinem Werk, also zu einem von ihm geschaffenen konkreten Werk und nicht zu seinem gesamten Werkschaffen. Das Interesse des Urhebers, die wahrheitswidrige Zuschreibung der Urheberschaft an einer nicht von ihm geschaffenen Gestaltung zu verhindern und sich und seinem Werkschaffen nicht fremde Gestaltungen zurechnen lassen zu müssen, kann im Falle von Identitätsverwirrungen durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot geschützt sein, nicht aber durch das Urheberpersönlichkeitsrecht.

Mehr zum Thema:

Beratermodul Zeitschriften Wirtschaftsrecht:
Jetzt neu: Führende Zeitschriften zum Wirtschaftsrecht, Aktienrecht, Gesellschaftsrecht und Versicherungsrecht stehen hier zur Online-Recherche bereit. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO bei ausgewählten Zeitschriften (GmbHR, ZIP, VersR). Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Beratermodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Zurück