Keine Pfändung eingefrorener Gelder und wirtschaftlicher Ressourcen ohne Freigabe durch die zuständige Behörde
BGH v. 25.1.2024 - IX ZR 19/22Die G. GmbH (G.) erstritt einen Schiedsspruch des Internationalen Schiedsgerichtshofs in Paris vom 31.10.2013 gegen den L., einen libyschen Staatsfonds (L.). Danach steht ihr ein Anspruch auf Zahlung von rd. 1,8 Mio. € nebst Zinsen i.H.v. rd. 770.000 € und Kosten (rd. 570.000 €, 22.000 US$ und 1.700 £) zu.
Die Klägerin ist die alleinige Gesellschafterin der G. Die G. ermächtigte die Klägerin, den Anspruch aus dem Schiedsspruch im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen. Die Klägerin beantragte beim OLG Frankfurt a.M., den Schiedsspruch für vollstreckbar zu erklären und Sicherungsmaßnahmen zuzulassen. Mit Beschluss vom 28.7.2014 ließ der Vorsitzende des 26. Zivilsenats des OLG die einstweilige Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch zur Sicherung des titulierten Anspruchs zu und sprach die Pfändung einer angeblichen Forderung des L. gegen die Beklagte auf Auszahlung eines Kontoguthabens von rd. 16 Mio. US$ bis zum titulierten Betrag aus.
Bereits zuvor - am 30.12.2011 - überwies die Beklagte das Kontoguthaben nach erfolgter Genehmigung durch die Deutsche Bundesbank vom 23.12.2011 an den Streithelfer zu 1). Anschließend kündigte sie das Konto gegenüber dem L. zum 30.6.2012. Mit der Klage verlangt die Klägerin die Hinterlegung des gepfändeten Betrages zu ihren Gunsten und zu Gunsten des L. beim AG Frankfurt a.M. unter Verzicht auf das Rücknahmerecht.
Das LG wies die Klage mangels erforderlicher Genehmigung der Deutschen Bundesbank ab. Das OLG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß, rd. 3,1 Mio. € nebst Nebenkosten unter Verzicht auf die Rücknahme bei der Hinterlegungsstelle des AG Frankfurt a.M. zugunsten der Klägerin und des L. zu hinterlegen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG zurück.
Die Gründe:
Die Klage auf Hinterlegung der gepfändeten Gelder aus § 1281 Satz 2 BGB, § 804 Abs. 2 ZPO ist unbegründet. Ohne Genehmigung der Deutschen Bundesbank durften aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 204/2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen und - ab Inkrafttreten am 20.1.2016 - der Verordnung (EU) 2016/44 des Rates vom 18.1.2016 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libyen und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 204/2011 (im Folgenden zusammenfassend "die Verordnungen") eingefrorene Gelder und wirtschaftliche Ressourcen der mit Sanktionen belegten libyschen Personen und Organisationen, darunter der L., nicht sicherungsgepfändet werden. Ohne Genehmigung der Deutschen Bundesbank ist es der Beklagten auch nicht erlaubt, Gelder an eine Hinterlegungsstelle auszuzahlen. An der notwendigen Genehmigung der Deutschen Bundesbank fehlt es.
Bei dem gepfändeten Guthaben des L. handelt es sich um gemäß den Verordnungen eingefrorenes und damit nach den Embargo-Bestimmungen ohne vorherige Genehmigung der Deutschen Bundesbank unpfändbares Vermögen. Die Klägerin ist daher materiell-rechtlich nicht Inhaberin eines Pfandrechts geworden. Der Anspruch aus § 1281 Satz 2 BGB steht ihr nicht zu. Gelder i.S.d. Sanktionsbestimmungen sind gem. Art. 1 Buchst. a Doppelbuchst. ii der Verordnungen Einlagen bei Finanzinstituten oder anderen Einrichtungen, Guthaben auf Konten, Zahlungsansprüche und verbriefte Forderungen. Einfrieren von Geldern bedeutet nach Art. 1 Buchst. b der Verordnungen die Verhinderung jeglicher Form der Bewegung, des Transfers, der Veränderung und der Verwendung von Geldern sowie des Zugangs zu ihnen und ihres Einsatzes, wodurch das Volumen, die Höhe, die Belegenheit, das Eigentum, der Besitz, die Eigenschaften oder die Zweckbestimmung der Gelder verändert oder sonstige Veränderungen bewirkt werden, die eine Nutzung der Gelder einschließlich der Vermögensverwaltung ermöglichen.
Unter dem Einfrieren von wirtschaftlichen Ressourcen verstehen die Verordnungen gem. Art. 1 Buchst. d die Verhinderung der Verwendung für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen, die auch den Verkauf, das Vermieten oder das Verpfänden dieser Ressourcen einschließt, aber nicht darauf beschränkt ist. Abweichend hiervon können die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten - in Deutschland gem. der im Anhang IV der Verordnungen genannten Website die Deutsche Bundesbank - unter bestimmten, in den einzelnen Bestimmungen der Verordnungen genannten Bedingungen die Freigabe von Geldern und Vermögenswerten genehmigen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die von der Klägerin gepfändete Forderung des L. gegen die Beklagte nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. b VO (EU) Nr. 204/2011 und nach Art. 5 Abs. 4, Anlage VI Nr. 2 VO (EU) 2016/44 eingefrorenes Vermögen darstellt.
Auf eingefrorene Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen dürfen ohne vorherige Genehmigung der zuständigen nationalen Behörde keine Sicherungsmaßnahmen angewandt werden, mit denen dem betreffenden Gläubiger das Recht eingeräumt wird, im Vergleich zu anderen Gläubigern vorrangig befriedigt zu werden, auch wenn derartige Maßnahmen nicht die Wirkung haben, Vermögensgegenstände aus dem Vermögen des Schuldners herauszulösen. Dies hat der EuGH in seinem Urteil vom 11.11.2021 (C-340/20) zur Verordnung (EG) Nr. 423/2007 des Rates vom 19.4.2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran entschieden. Die verwendeten Definitionen des Einfrierens von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen in den Verordnungen wortgleich. Die Rechtsprechung gilt auch für die hier einschlägigen Verordnungen.
Der Wortlaut der Definition des Einfrierens von Geldern ("Verhinderung jeglicher Form") oder wirtschaftlichen Ressourcen ("Verwendung [...], die auch den Verkauf, das Vermieten oder das Verpfänden dieser Ressourcen einschließt, aber nicht darauf beschränkt ist") zeigt, dass Transaktionen, die mit eingefrorenem Vermögen abgeschlossen werden können, so weit wie möglich begrenzt werden sollen. Auch bloße Sicherungsmaßnahmen, die im Ergebnis zu einer bevorrechtigten Befriedigung bestimmter Gläubiger führen, bewirken wegen dieses Ergebnisses eine Änderung der Zweckbestimmung der eingefrorenen Gelder und sind geeignet, eine Verwendung für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen zu bewirken.
Der Generalanwalt hat in seinem Schlussantrag vom 17.6.2021 im Verfahren C-340/20 ausgeführt und der EuGH hat sich zueigen gemacht, dass schon der Umstand, dass Gläubiger eine Vorzugsstellung bei der Befriedigung von Vermögen erlangen könnten, geeignet sei, die Effektivität der Sanktionen einzuschränken; denn Gläubiger könnten versucht sein, Geschäfte mit den Rechtsträgern der eingefrorenen Vermögensmassen abzuschließen, wenn ihnen eine Möglichkeit geboten würde, gegenüber anderen Gläubigern im Falle der Freigabe des Vermögens eine Vorzugsstellung zu erlangen. Es kommt nicht darauf an, ob die Maßnahme - etwa eine Sicherungspfändung - den Gegenstand schon aus dem Vermögen des Schuldners herauslöst. Die Verordnung umfasst ausdrücklich die Verpfändung von Gütern.
Nach alldem dürfen aufgrund der Verordnungen ohne Freigabe durch die zuständige Behörde eines Mitgliedsstaats eingefrorene Gelder und wirtschaftliche Ressourcen nicht gepfändet werden; dies gilt auch bei Vollstreckungsmaßnahmen, die auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt sind. Erfolgt eine Forderungspfändung ohne die erforderliche Genehmigung, steht dem Pfandgläubiger kein Einziehungsrecht gegenüber dem Drittschuldner zu.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung (die im Leitsatz zitierte EuGH-Entscheidung:
Zur Auslegung von EG- und EU-Verordnungen im Hinblick auf restriktive Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran insbesondere durch Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen
EuGH vom 11.11.2021 - RS. C-340/20
WM 2022, 70
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