Keine Schmähkritik: Auch scharf und überzogen formulierte Kritik an Leistung von Unternehmen in der Regel von Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt
BGH 16.12.2014, VI ZR 39/14Die Klägerin stellt Hochleistungsmagneten zur Einsparung von fossilen Brennstoffen bei dem Betrieb von Heizungsanlagen her. Sie ist Inhaberin des beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragenen Patents über die "Anordnung zur magnetischen Ionisierung eines kohlenwasserstoffhaltigen Treibstoffs sowie deren Verwendung". Nach der Patentschrift liegt die Aufgabe der Erfindung darin, den Verbrennungswirkungsgrad des behandelten Treibstoffes signifikant zu erhöhen. Der Beklagte hat Physik und Architektur studiert. Er ist der Auffassung, dass die von der Klägerin hergestellten und vertriebenen Vorrichtungen keine Energieeinsparung bewirkten und die Klägerin dies wisse. Am 7.6.2011 teilte er einer Kundin der Klägerin unter voller Nennung der im Folgenden abgekürzt wiedergegebenen Namen per E-Mail mit:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
ich schreibe derzeit an einem Artikel über einen groß angelegten Schwindel durch eine Firma S-GmbH, die unter dem Markennamen E. Magnete vermarktet, die an die Brennstoffleitung einer Heizungsanlage geklemmt auf wundersame Weise enorme Energieeinsparungen bewirken sollen. Die Wirkung dieser Magnete entspricht der eines Perpetuum Mobiles, die vom Hersteller herbeigezerrte wissenschaftliche Begründung der angeblichen Wirkung der Magnete ist völliger Unsinn. Zu den Opfern dieses Betruges gehört auch Ihr Unternehmen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie zu dieser Angelegenheit Stellung beziehen könnten. Besonders interessant ist auch, wie die Messung der angeblichen Effizienzsteigerung durchgeführt wurde. Gerne wird Ihnen dazu jeder Schornsteinfeger bestätigen, dass solch eine Effizienzsteigerung nach einer normalen Wartung und Reinigung, die eventuell beim Einbau der Magnete erfolgte, problemlos messbar ist. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen, dass sich Ihr Unternehmen durch die Bereitstellung des Anwenderberichts zu Werbezwecken für dieses Scharlatanerieprodukt gegenüber dadurch beeinflussten weiteren Opfern des Betrugs eventuell schadensersatzpflichtig macht.
Vielen Dank und herzliche Grüße
T. B.
Wissenschaftsjournalist"
Die Klägerin mahnte den Beklagten ab und bezeichnete seine Äußerungen als Schmähkritik. Daraufhin teilte der Beklagte mit E-Mail vom 17.6.2011 unter Angabe eines Links mit, das Abmahnschreiben habe ihn veranlasst, den Betrug durch die Klägerin auch im Usenet bekannt zu machen.
LG und OLG gaben der Klage statt und verurteilten den Beklagten u.a. dazu, die getätigten Behauptungen zu unterlassen. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann ein Anspruch auf Unterlassung der im Tenor des landgerichtlichen Urteils im Einzelnen aufgeführten Äußerungen und Verhaltensweisen nicht bejaht werden.
Ein Anspruch des Klägers auf Unterlassung der genannten Äußerungen ergibt sich nicht aus § 824 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 824 Abs. 1 BGB sind nicht erfüllt, da die angegriffenen Äußerungen nicht als Tatsachenbehauptungen zu qualifizieren sind. § 824 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass unwahre Tatsachen und nicht bloß Werturteile mitgeteilt werden. Vor abwertenden Meinungsäußerungen und Werturteilen bietet die Vorschrift keinen Schutz. Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Danach sind die vorliegend angegriffenen Aussagen als Meinungsäußerung zu verstehen.
Die Äußerungen, die Klägerin betreibe mit der Vermarktung ihres unter dem Markennamen E. hergestellten Produktes einen "groß angelegten Schwindel" bzw. "Betrug", bei den Produkten der Klägerin handele es sich um "Scharlatanerieprodukte" und die vom Hersteller "herbeigezerrte" wissenschaftliche Begründung der angeblichen Wirkung sei "völliger Unsinn" (u.a.), sind entscheidend durch das Element des Dafürhaltens und Meinens geprägt. Zwar weisen alle Teilaussagen in ihrer Gesamtheit betrachtet auch tatsächliche Elemente auf; sie bringen aber vielmehr in erster Linie die Missbilligung des geschäftlichen Verhaltens der Klägerin durch den Beklagten zum Ausdruck und enthalten damit eine subjektive Wertung, die mit den tatsächlichen Bestandteilen der Äußerungen untrennbar verbunden ist.
Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, der Klägerin stehe gegen den Beklagten ein Anspruch auf Unterlassung der Äußerungen und Verhaltensweisen aus § 1004 Abs. 1 S. 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu. Zwar greifen die angegriffenen Äußerungen in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin ein und auch das durch Art. 12 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG gewährleistete Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist berührt. Betroffen ist das Interesse der Klägerin daran, dass ihre wirtschaftliche Stellung nicht durch inhaltlich unrichtige Informationen oder Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, geschwächt wird und andere Marktteilnehmer deshalb von Geschäften mit ihr abgehalten werden. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen aber nicht die Annahme, dass die Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin und ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb rechtswidrig sind.
Denn der Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen Rechts ist nur dann rechtswidrig, wenn das Interesse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, diese Abwägung sei vorliegend entbehrlich, weil die angegriffenen Äußerungen als Schmähkritik zu qualifizieren seien und deshalb nicht am Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG teilhätten. Eine wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens ist in der Regel auch dann vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, wenn sie scharf und überzogen formuliert ist; sie kann nur unter engen Voraussetzungen als Schmähkritik angesehen werden.
Das OLG wird daher im zweiten Rechtsgang die Schutzinteressen der Klägerin mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen haben. Dabei wird das OLG zu beachten haben, dass wahre Tatsachenbehauptungen in der Regel hingenommen werden müssen, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Auf der Grundlage des mangels gegenteiliger Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachvortrags des Beklagten hat das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs als Wirtschaftsunternehmen und ihrer unternehmensbezogenen Interessen nach diesen Grundsätzen hinter dem Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit zurückzutreten. Nach dem - u.a. durch Vorlage zweier Privatgutachten und eines Warnschreibens des Bayerischen Landesamtes für Umwelt konkretisierten - Sachvortrag des Beklagten sind die tatsächlichen Elemente seiner insgesamt als Meinungsäußerungen zu qualifizierenden Aussagen wahr.
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