11.06.2015

Klagen deutscher Anleger wegen griechischer Staatsanleihen können an griechischen Staat zugestellt werden

Die in Deutschland von Privatpersonen erhobenen Klagen gegen den griechischen Staat wegen des Zwangsumtauschs ihrer Staatsanleihen können nach der EU-Zustellungsverordnung an den griechischen Staat zugestellt werden. Es ist nicht offenkundig, dass solche Klagen keine Zivil- oder Handelssachen sind.

EuGH 11.6.2015, C-226/13 u.a.
Hintergrund:
Die EU-Zustellungsverordnung (EG) Nr. 1393/2007 soll die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen verbessern und beschleunigen. So sieht die Verordnung u.a. die Verwendung von Formblättern sowie eine unmittelbare und schnellstmögliche Übermittlung zwischen den von den Mitgliedstaaten hierzu benannten Stellen vor. Sie bestimmt jedoch ausdrücklich, dass sie nicht die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte erfasst.

Der Sachverhalt:
Die Kläger sind in Deutschland wohnhafte Inhaber griechischer Staatsanleihen. Sie machen mit ihren Klagen gegen den griechischen Staat geltend, dadurch geschädigt worden zu sein, dass Griechenland sie im März 2012 gezwungen habe, ihre Wertpapiere gegen neue Staatsanleihen mit einem erheblich niedrigeren Nominalwert zu tauschen. Griechenland hatte zur Bewältigung einer schweren Finanzkrise im Februar 2012 ein Gesetz erlassen, das vorsah, dass die Inhaber bestimmter griechischer Staatsanleihen ein Umstrukturierungsangebot erhalten und dass in die betreffenden Emissionsverträge eine Umstrukturierungsklausel aufgenommen wird, nach der eine Änderung der ursprünglichen Emissionsbedingungen der Wertpapiere mit qualifizierter Mehrheit des ausstehenden Kapitals beschlossen werden konnte (und diese Beschlüsse auch für die Minderheit galten).

Keiner der Kläger nahm das vom griechischen Staat auf der Grundlage des Gesetzes unterbreitete Umtauschangebot an. Im Rahmen des Verfahrens zur Zustellung der Klagen an den griechischen Staat (als Beklagten) ist fraglich, ob sie Zivil- oder Handelssachen im Sinne der Zustellungsverordnung betreffen (so dass die Zustellung auf der Grundlage der Verordnung durchgeführt werden könnte) oder eine staatliche Handlung oder Unterlassung im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte zum Gegenstand haben (so dass die Verordnung nicht anwendbar wäre).

Die mit den Verfahren befassten LG Wiesbaden und LG Kiel möchten daher vom EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens wissen, ob Klagen auf Entschädigung, auf Vertragserfüllung und auf Schadensersatz, die von den privaten Anleiheinhabern gegen den emittierenden Staat erhoben worden sind, unter den Begriff "Zivil- oder Handelssachen" im Sinne der Verordnung fallen, so dass die Verordnung anwendbar ist.

Die Gründe:
Klagen, wie sie in den Ausgangsverfahren von privaten Anleiheinhabern gegen den emittierenden Staat erhoben worden sind, fallen in den Anwendungsbereich der Verordnung. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sie offenkundig keine Zivil- oder Handelssachen sind. Bei den vorliegenden Klagen kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie offenkundig keine Zivil- oder Handelssachen im Sinne der Verordnung betreffen. Daher ist die Verordnung auf sie anwendbar.

Ein Gericht, das die Anwendbarkeit der Verordnung prüft, muss sich auf eine erste Prüfung der ihm vorliegenden, notwendigerweise unvollständigen Informationen beschränken. Dabei ist die Verordnung allerdings schon dann anwendbar, wenn das angerufene Gericht zu dem Schluss kommt, dass es nicht offenkundig ist, dass die bei ihm erhobene Klage keine Zivil- oder Handelssache ist. Das Ergebnis dieser Prüfung kann selbstverständlich nicht den späteren Entscheidungen vorgreifen, die das angerufene Gericht insbesondere in Bezug auf seine eigene Zuständigkeit und die Begründetheit der Rechtssache zu treffen hat.

Die Emission von Anleihen setzt nicht notwendigerweise die Wahrnehmung von Befugnissen voraus, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen. Vorliegend geht aus den Akten nicht offenkundig hervor, dass die finanziellen Bedingungen der betreffenden Wertpapiere einseitig vom griechischen Staat festgelegt worden wären und nicht auf der Grundlage der Marktbedingungen, die den Handel und die Rendite dieser Finanzinstrumente regeln. Es trifft zu, dass das in Rede stehende griechische Gesetz im Rahmen der Verwaltung der öffentlichen Finanzen und insbesondere der Umstrukturierung der öffentlichen Schulden ergangen ist, um eine schwere Finanzkrise zu bewältigen, und im Übrigen hat Griechenland zu diesem Zweck die Möglichkeit eines Umtauschs der Wertpapiere in die fraglichen Verträge aufgenommen.

Der Umstand, dass diese Möglichkeit durch ein Gesetz eingeführt wurde, ist als solcher nicht ausschlaggebend dafür, dass der Staat seine hoheitlichen Rechte ausgeübt hat. Es ist zudem nicht offenkundig, dass der Erlass des in Rede stehenden griechischen Gesetzes zu unmittelbaren und sofortigen Änderungen der finanziellen Bedingungen der betreffenden Wertpapiere geführt und somit den von den Privatpersonen geltend gemachten Schaden verursacht hätte. Diese Änderungen sollten nämlich im Anschluss an eine Entscheidung der Mehrheit der Anleiheinhaber auf der Grundlage der durch dieses Gesetz in die Emissionsverträge eingefügten Umtauschklausel erfolgen, was im Übrigen durch die Absicht des griechischen Staats bestätigt wird, die Verwaltung der Anleihen im zivilrechtlichen Rahmen fortzuführen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 67 vom 11.6.2015
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