01.09.2016

Korrektur im Wege der Auslegung in einem Vergabeverfahren bei Angebot eines Produktes

Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessengerechte Absichten zu unterstellen sind. Vielmehr kann es Gründe für eine Abweichung des Angebots von den Anforderungen geben, und sei es, dass die Anforderungen übersehen worden sind oder irrtümlich angenommen worden ist, sie würden erfüllt.

OLG Schleswig 11.5.2016, 54 Verg 3/16
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdegegner hatte im November 2015 die grundhafte Erneuerung des Asphaltausbaus einer Richtungsfahrbahn ausgeschrieben. Anzubieten waren u.a. Leitplanken. Das Leistungsverzeichnis (Anlage BB 3, Bl. 19 - 26 d.A.) sah bei der Beschreibung bestimmte Anforderungen an die Schutzeinrichtungen vor, u.a. für die Anpralllast eine maximale Horizontalkraft und ein maximales Moment. Zu ergänzen waren von den Anbietern eine Modulbezeichnung und ein Systemname.

Die Beschwerdeführerin trug bei ihrem Angebot in das Leistungsverzeichnis die Modulbezeichnung "M03-4" und den Systemnamen "Super Rail Eco BW, H2" ein. Dieses System erfüllte jedoch die Anforderungen an die Anpralllast nicht. Infolgedessen bat der Beschwerdegegner um den Nachweis, dass das System die Anforderungen erfülle. Die Beschwerdeführerin teilte daraufhin mit, sie habe aufgrund eines Übertragungsfehlers eine falsche Bezeichnung eingetragen.

Im Februar 2016 informierte der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin über den Ausschluss ihres Angebots. Die Beschwerdeführerin rügte dies und behauptete, ihr System sei das einzige, das die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses erfülle. Sie war der Ansicht, es sei im Wegen der Auslegung zu ermitteln gewesen, dass sie dieses System habe anbieten wollen und beantragte, den Antragsgegner zu verpflichten, die Wertung ihres Angebots neu durchzuführen und ihr Angebot zuzulassen.

Der Antrag blieb in allen Instanzen erfolglos.

Die Gründe:
Die Vergabekammer hatte den Nachprüfungsantrag zu Recht zurückgewiesen. Gründe, die ausnahmsweise dennoch für ein Überwiegen der Interessen der Beschwerdeführerin sprechen könnten, lagen nicht vor.

Die Entscheidung, ob das Angebot der Beschwerdeführerin nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit b i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG auszuschließen ist, ist im Spannungsverhältnis der verschiedenen Anforderungen an das Vergabeverfahren und die Angebote der Bieter zu treffen. Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt dabei u.a. dann vor, wenn das angebotene Produkt den Anforderungen in der Ausschreibung nicht gerecht wird, der Bieter also nicht das anbietet, was der Ausschreibende bestellt hat.

Einerseits sind an die Angebote strenge Anforderungen zu stellen. Um eine Vergleichbarkeit der Angebote und die Gefahr inhaltlich falscher Beauftragungen auszuschließen, darf ein Bieter nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EG keine Änderungen der Ausschreibungsunterlagen vornehmen. Ferner sind im Interesse der Gleichbehandlung der Bieter und der Transparenz des Verfahrens Änderungen des Angebots in einem späteren Aufklärungsverfahren nach § 15 VOB/A-EG ausgeschlossen (a.a.O., § 15 VOB/A-EG, Rn. 1, § 15 VOB/A, Rn. 17). So darf das einmal angebotene Produkt nicht später wieder geändert werden. Andererseits soll ein Angebot nicht aufgrund der Verletzung bloßer Formalien ausgeschlossen werden, um die Wahl des wirtschaftlichsten Angebots zu ermöglichen. Deswegen sind Angebote vor einem Ausschluss zunächst nach Möglichkeit auszulegen, wobei dem Bieter zu unterstellen ist, dass er redliche und wirtschaftlich vernünftige Absichten verfolgt.

Im vorliegenden Fall schied eine Auslegung des Angebots der Beschwerdeführerin aus, so dass eine Anpassung des angebotenen Systems zu einer im Aufklärungsverfahren ausgeschlossenen Änderung des Angebots führen würde. Aus der Sicht des Beschwerdegegners war weder eindeutig erkennbar, dass die Beschwerdeführerin das im Leistungsverzeichnis aufgeführte System nicht anbieten wollte, noch welches System sie stattdessen anbieten wollte. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessengerechte Absichten zu unterstellen sind. Vielmehr kann es Gründe für eine Abweichung des Angebots von den Anforderungen geben, und sei es, dass die Anforderungen übersehen worden sind oder irrtümlich angenommen worden ist, sie würden erfüllt.

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