Kosmetisches Mittel oder Funktionsarzneimittel?
BGH 8.1.2015, I ZR 141/13Die Parteien stehen beim Vertrieb von Mundspüllösungen, die Chlorhexidin enthalten, miteinander in Wettbewerb. Die Beklagte vertreibt ihre Lösung "P. 0,12 %", die Chlorhexidin in einer Konzentration von 0,12 % enthält, als kosmetisches Mittel in der im nachstehend wiedergegebenen Klageantrag abgebildeten Verpackung. Auf ihr befinden sich die Angaben
"Mundspülung zur Mundpflege
Reduziert bakteriellen Zahnbelag und hemmt dessen Neubildung
Schützt das Zahnfleisch und trägt zur Erhaltung der Mundgesundheit bei"
sowie
"pflegt und reinigt auch bei entzündetem oder gereiztem Zahnfleisch."
Weiter findet sich zur Anwendung des Mittels der Hinweis, dass mit der Lösung zweimal täglich nach dem Zähneputzen 30 Sekunden lang gespült werden sollte.
Nach Ansicht der Klägerin, die eine als Arzneimittel zugelassene Mundspüllösung in den Verkehr bringt, ist die von der Beklagten vertriebene Mundspüllösung ein nicht zugelassenes Arzneimittel, weil sie pharmakologisch wirke und sich aufgrund ihrer Verpackung und der dieser beigefügten ebenfalls im nachstehend wiedergegebenen Klageantrag abgebildeten Produktinformationen für den Durchschnittsverbraucher zudem als Arzneimittel darstelle.
Die Klägerin beantragte, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken für das Mittel "P. 0,12 %" in Flaschen und/oder Faltschachteln und/oder Gebrauchsinformationen zu werben und/oder dieses Mittel zu vertreiben, solange es nicht als Arzneimittel zugelassen ist.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das OLG zurück. Das OLG gab der Klage - nach zwischenzeitlicher Aussetzung des Verfahrens und Vorabentscheidung des EuGH - statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil erneut auf dun verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann nicht angenommen werden, dass die in Rede stehende Mundspüllösung ein Arzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG ist, das ohne arzneimittelrechtliche Zulassung nicht beworben und vertrieben werden darf (§ 8 Abs. 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.Vm. § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 21 AMG, § 3a HWG).
Bei der Beurteilung der Frage, ob Produkte, die eine physiologisch wirksame Substanz enthalten, Funktionsarzneimittel i.S.v. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG sind, Neben den pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften des Produkts sind alle seine weiteren Merkmale wie insbesondere seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken zu berücksichtigen, die seine Verwendung mit sich bringen kann. Ein Produkt kann nur als Funktionsarzneimittel angesehen werden, wenn es aufgrund seiner Zusammensetzung und bei bestimmungsgemäßem Gebrauch physiologische Funktionen des Menschen in signifikanter Weise wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen kann.
Die Monographie des Bundesgesundheitsamts aus dem Jahr 1994 hat eine breite antimikrobielle Wirkung von Chlorhexidin gegen grampositive und gramnegative Bakterien bejaht und angenommen, die Mundspüllösung solle zweibis dreimal täglich mit mindestens 10 ml einer 0,1-0,2%igen Chlorhexidin-Lösung für eine Minute erfolgen. Die Ausführungen in der Monographie lassen aber nicht den Schluss zu, dass auch der Mundspüllösung der Beklagten mit einer 0,12%igen Konzentration des Wirkstoffs Chlorhexidin und einer Spüldauer von höchstens einer Minute pro Tag ein signifikanter Einfluss auf die physiologischen Funktionen des Menschen zukommt. Die Unterschiede zwischen der in der Monographie des Bundesgesundheitsamts aus dem Jahr 1994 und der von der Beklagten angegebenen Anwendungsdauer der Mundspüllösung hat das OLG seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Es ist aber rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, die vom Senat im ersten Revisionsurteil für aufklärungsbedürftig gehaltene Frage, ob die Dosierung beim angegriffenen Präparat der Beklagten hinter der monographierten Dosierung zurückbleibe, habe sich dadurch erledigt, dass die 0,12%ige Mundspüllösung der Beklagten nach deren eigener Werbung den gleichen klinischen Nutzen biete wie eine 0,2%ige Mundspüllösung. Das OLG hat nicht berücksichtigt, dass die Behauptung, ein Stoff habe eine pharmakologische Wirkung, als solche allenfalls geeignet sein kann, diesen zu einem (Präsentations-)Arzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG (Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG) zu machen. Von einem (Funktions-)Arzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG (Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG) kann nur ausgegangen werden, wenn die pharmakologische (oder immunologische oder metabolische) Wirkung des Produkts feststellbar ist und die physiologischen Funktionen des Menschen nennenswert beeinflusst werden. Das kann nicht allein aufgrund von Werbeangaben der Beklagten angenommen werden.
Den von der Klägerin in den Rechtsstreit eingeführten Werbebehauptungen der Beklagten kann auch nicht entnommen werden, diese habe ihren gegenteiligen Sachvortrag im vorliegenden Verfahren fallen lassen. Die Beklagte ist noch mit Schriftsatz vom 13.6.2013, der auf den Vortrag der Klägerin zu den Werbeangaben über die Wirkung der 0,12%ige Mundspüllösung der Beklagten folgte, der Annahme entgegengetreten, bei ihrem Produkt handele es sich um ein Funktionsarzneimittel. Das Berufungsurteil konnte danach nicht mit der vom OLG gegebenen Begründung und i.Ü. auch nicht aus anderen Gründen aufrechterhalten werden und war daher aufzuheben.
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