Kraftwerk: Endlosrechtsstreit zur Rechtswidrigkeit des Tonträger-Samplings
BGH v. 30.4.2020 - I ZR 115/16
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Mitglieder der Musikgruppe "Kraftwerk". Diese veröffentlichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf dem sich das Musikstück "Metall auf Metall" befindet. Die Beklagten zu 2) und 3) sind die Komponisten des Titels "Nur mir", den die Beklagte zu 1) mit der Sängerin Sabrina Setlur auf im Jahr 1997 erschienenen Tonträgern einspielte. Zur Herstellung des Titels hatten die Beklagten zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" elektronisch kopiert ("gesampelt") und dem Titel "Nur mir" in fortlaufender Wiederholung unterlegt.
Die Kläger sehen dadurch ihre Rechte als Tonträgerhersteller verletzt. Sie haben die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen, Tonträger mit der Aufnahme "Nur mir" herzustellen und in Verkehr zu bringen. Außerdem haben sie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck der Vernichtung verlangt.
LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Das OLG wies die Berufung der Beklagten wiederum zurück. Die erneute Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg. Das BVerfG hob die Revisionsurteile und das zweite Berufungsurteil auf und verwies die Sache an den BGH zurück. Dieser hat daraufhin dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG (Urheberrechtsrichtlinie) und der Richtlinie 2006/115/EG vorgelegt, die der EuGH beantwortet hat. Nunmehr hat der BGH das erste Berufungsurteil aufgehoben und die Sache wiederum an das OLG zurückverwiesen.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung können die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche weder in Bezug auf ein Herstellen noch in Bezug auf ein Inverkehrbringen von Tonträgern zugesprochen werden.
Hinsichtlich des Herstellens ist eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der Kläger als Tonträgerhersteller gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG zu prüfen. Insoweit ist im Blick darauf, dass die Richtlinie 2001/29/EG, die in Art. 2 Buchst. c das Vervielfältigungsrecht für Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger sowie in Art. 5 Abs. 2 und 3 Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf dieses Recht regelt, nach ihrem Art. 10 auf Nutzungshandlungen ab dem 22.12.2002 anwendbar ist, zwischen dem Herstellen von Tonträgern mit der Aufnahme "Nur mir" vor dem 22.12.2002 und ab dem vorgenannten Datum zu unterscheiden. Für Vervielfältigungshandlungen vor dem 22.12.2002 lässt sich eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der Kläger als Tonträgerhersteller gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG auf der Grundlage der im ersten Berufungsurteil getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Infolge der Aufhebung durch das BVerfG kommt eine Berücksichtigung der Feststellungen im zweiten Berufungsurteil nicht in Betracht.
Der Senat hat allerdings in seinen Hinweisen für das neue Berufungsverfahren erkennen lassen, dass das Vervielfältigungsrecht der Kläger nicht verletzt sein dürfte, weil naheliegt, dass sich die Beklagten auf eine freie Benutzung i.S.d. hier entsprechend anwendbaren § 24 UrhG berufen können. Sie dürften mit dem Musikstück "Nur mir" ein selbständiges Werk i.S.d. § 24 Abs. 1 UrhG geschaffen haben. Da es sich bei der von den Beklagten entnommenen Rhythmussequenz nicht um eine Melodie i.S.d. § 24 Abs. 2 UrhG handeln dürfte und eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht kommt, dürften die Voraussetzungen einer freien Benutzung gegeben sein. Im Hinblick darauf, dass es nach Ansicht des BVerfG dem künstlerischen Schaffensprozess nicht hinreichend Rechnung tragen würde, wenn die Zulässigkeit der Verwendung von gleichwertig nachspielbaren Samples eines Tonträgers generell von der Erlaubnis des Tonträgerherstellers abhängig gemacht würde, hält der Senat nicht an seiner Auffassung fest, dass eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG ausscheidet, wenn es möglich ist, die auf dem Tonträger aufgezeichnete Tonfolge selbst einzuspielen.
Für Vervielfältigungshandlungen ab dem 22.12.2002 kommt hingegen eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der Kläger in Betracht. Seit diesem Zeitpunkt ist das in § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG geregelte Recht des Tonträgerherstellers zur Vervielfältigung des Tonträgers mit Blick auf Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG richtlinienkonform auszulegen. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG stellt eine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung des materiellen Gehalts des in ihr geregelten Rechts dar, die den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum überlässt, sondern zwingende Vorgaben macht, so dass die diese Vorschrift umsetzende Bestimmung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des GG, sondern allein am Unionsrecht und damit auch an den durch das Unionsrecht gewährleisteten Grundrechten zu messen ist. Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des EuGH ist die Vervielfältigung eines - auch nur sehr kurzen - Audiofragments eines Tonträgers durch einen Nutzer grundsätzlich als eine teilweise Vervielfältigung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG anzusehen.
Eine Vervielfältigung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG liegt nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch nicht vor, wenn ein Nutzer in Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt, um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk zu nutzen. Aus einer Abwägung der Freiheit der Kunst (Art. 13 EU-Grundrechtecharta) und der Gewährleistung des geistigen Eigentums (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) folgt, dass es in einer solchen Konstellation an einer hinreichenden Beeinträchtigung der Interessen des Tonträgerherstellers fehlt. Nach diesen Maßstäben stellt die Entnahme von zwei Takten einer Rhythmussequenz aus dem Tonträger der Kläger und ihre Übertragung auf den Tonträger der Beklagten eine Vervielfältigung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG und damit auch des § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG dar. Bei der Prüfung der Frage, ob ein von einem Tonträger entnommenes Audiofragment in einem neuen Werk in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form genutzt wird, ist auf das Hörverständnis eines durchschnittlichen Musikhörers abzustellen. Nach den Feststellungen des OLG haben die Beklagten die Rhythmussequenz zwar in leicht geänderter, aber beim Hören wiedererkennbarer Form in ihren neuen Tonträger übernommen.
Die Beklagten können sich insoweit nicht auf eine freie Benutzung i.S.d. § 24 Abs. 1 UrhG berufen. Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg auf eine Schrankenregelung berufen. Die Voraussetzungen eines Zitats i.S.d. § 51 Satz 1 und 2 Nr. 3 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG liegen nicht vor, weil kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Hörer - wie für ein Zitat erforderlich - annehmen könnten, die dem Musikstück "Nur mir" unterlegte Rhythmussequenz sei einem fremden Werk oder Tonträger entnommen worden. Das übernommene Audiofragment ist auch kein unwesentliches Beiwerk i.S.d. § 57 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. i der Richtlinie 2001/29/EG. Die Voraussetzungen einer Karikatur oder Parodie i.S.v. § 24 Abs. 1 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG liegen ebenfalls nicht vor. Die Schranke für Pastiches i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ist ebenfalls nicht einschlägig. Eine abschließende Beurteilung ist dem BGH allerdings verwehrt, weil das OLG keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Beklagten ab dem 22.12.2002 Handlungen der Vervielfältigung oder Verbreitung vorgenommen haben oder ob solche Handlungen ernsthaft und konkret zu erwarten waren.
Hinsichtlich des Inverkehrbringens ist eine Verletzung des Verbreitungsrechts der Kläger als Tonträgerhersteller gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UrhG sowie ein Verbot nach § 96 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG zu prüfen. Eine Verletzung des Verbreitungsrechts der Kläger gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UrhG, der der Umsetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG dient, ist nicht gegeben. Der EuGH hat auf Vorlage des Senats entschieden, dass ein Tonträger, der von einem anderen Tonträger übertragene Musikfragmente enthält, keine Kopie dieses anderen Tonträgers im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG darstellt. Sofern mit Blick auf ab dem 22.12.2002 begangene Handlungen das Vervielfältigungsrecht der Kläger als Tonträgerhersteller gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG verletzt wurde, kann hierauf ein Verbot des Inverkehrbringens gem. § 96 Abs. 1 UrhG nicht gestützt werden. Diese Vorschrift ist im Streitfall unanwendbar, weil sie zu einer Ausweitung unionsrechtlich vollharmonisierter Verwertungsrechte führt und insoweit richtlinienwidrig ist.
Eine abschließende Entscheidung ist dem BGH auch deshalb verwehrt, weil die Kläger ihre Ansprüche hilfsweise auf ihr Leistungsschutzrecht als ausübende Künstler (§ 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG, Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG; Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/115/EG), weiter hilfsweise auf die Verletzung des Urheberrechts des Klägers zu 1) am Musikwerk (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2, §§ 16, 17 Abs. 1 UrhG; Art. 2 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG) und äußerst hilfsweise auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz (§ 4 Nr. 9 UWG aF, § 4 Nr. 3 UWG) gestützt haben. Insoweit fehlt es bisher ebenfalls an Feststellungen des OLG, die nun von diesem zu treffen sind. Der Senat gibt auch insoweit einige Hinweise: Für auf das Leistungsschutzrecht als ausübende Künstler gestützte Ansprüche dürfte wohl nichts Anderes gelten als für auf das Leistungsschutzrecht als Tonträgerhersteller gestützte Ansprüche. Bzgl. der Ansprüche aus dem Urheberrecht ist schon fraglich, ob die entnommene Rhythmussequenz die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Jedenfalls dürfte anzunehmen sein, dass sich die Beklagten für sämtliche Nutzungshandlungen vor dem 22.12.2002 auch insoweit auf das Recht zur freien Benutzung aus § 24 Abs. 1 UrhG berufen können. Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz dürften eher fernliegen.
BGH PM Nr. 46 vom 30.4.2020
Die Kläger sind Mitglieder der Musikgruppe "Kraftwerk". Diese veröffentlichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf dem sich das Musikstück "Metall auf Metall" befindet. Die Beklagten zu 2) und 3) sind die Komponisten des Titels "Nur mir", den die Beklagte zu 1) mit der Sängerin Sabrina Setlur auf im Jahr 1997 erschienenen Tonträgern einspielte. Zur Herstellung des Titels hatten die Beklagten zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" elektronisch kopiert ("gesampelt") und dem Titel "Nur mir" in fortlaufender Wiederholung unterlegt.
Die Kläger sehen dadurch ihre Rechte als Tonträgerhersteller verletzt. Sie haben die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen, Tonträger mit der Aufnahme "Nur mir" herzustellen und in Verkehr zu bringen. Außerdem haben sie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck der Vernichtung verlangt.
LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Das OLG wies die Berufung der Beklagten wiederum zurück. Die erneute Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg. Das BVerfG hob die Revisionsurteile und das zweite Berufungsurteil auf und verwies die Sache an den BGH zurück. Dieser hat daraufhin dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG (Urheberrechtsrichtlinie) und der Richtlinie 2006/115/EG vorgelegt, die der EuGH beantwortet hat. Nunmehr hat der BGH das erste Berufungsurteil aufgehoben und die Sache wiederum an das OLG zurückverwiesen.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung können die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche weder in Bezug auf ein Herstellen noch in Bezug auf ein Inverkehrbringen von Tonträgern zugesprochen werden.
Hinsichtlich des Herstellens ist eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der Kläger als Tonträgerhersteller gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG zu prüfen. Insoweit ist im Blick darauf, dass die Richtlinie 2001/29/EG, die in Art. 2 Buchst. c das Vervielfältigungsrecht für Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger sowie in Art. 5 Abs. 2 und 3 Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf dieses Recht regelt, nach ihrem Art. 10 auf Nutzungshandlungen ab dem 22.12.2002 anwendbar ist, zwischen dem Herstellen von Tonträgern mit der Aufnahme "Nur mir" vor dem 22.12.2002 und ab dem vorgenannten Datum zu unterscheiden. Für Vervielfältigungshandlungen vor dem 22.12.2002 lässt sich eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der Kläger als Tonträgerhersteller gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG auf der Grundlage der im ersten Berufungsurteil getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Infolge der Aufhebung durch das BVerfG kommt eine Berücksichtigung der Feststellungen im zweiten Berufungsurteil nicht in Betracht.
Der Senat hat allerdings in seinen Hinweisen für das neue Berufungsverfahren erkennen lassen, dass das Vervielfältigungsrecht der Kläger nicht verletzt sein dürfte, weil naheliegt, dass sich die Beklagten auf eine freie Benutzung i.S.d. hier entsprechend anwendbaren § 24 UrhG berufen können. Sie dürften mit dem Musikstück "Nur mir" ein selbständiges Werk i.S.d. § 24 Abs. 1 UrhG geschaffen haben. Da es sich bei der von den Beklagten entnommenen Rhythmussequenz nicht um eine Melodie i.S.d. § 24 Abs. 2 UrhG handeln dürfte und eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht kommt, dürften die Voraussetzungen einer freien Benutzung gegeben sein. Im Hinblick darauf, dass es nach Ansicht des BVerfG dem künstlerischen Schaffensprozess nicht hinreichend Rechnung tragen würde, wenn die Zulässigkeit der Verwendung von gleichwertig nachspielbaren Samples eines Tonträgers generell von der Erlaubnis des Tonträgerherstellers abhängig gemacht würde, hält der Senat nicht an seiner Auffassung fest, dass eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG ausscheidet, wenn es möglich ist, die auf dem Tonträger aufgezeichnete Tonfolge selbst einzuspielen.
Für Vervielfältigungshandlungen ab dem 22.12.2002 kommt hingegen eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts der Kläger in Betracht. Seit diesem Zeitpunkt ist das in § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG geregelte Recht des Tonträgerherstellers zur Vervielfältigung des Tonträgers mit Blick auf Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG richtlinienkonform auszulegen. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG stellt eine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung des materiellen Gehalts des in ihr geregelten Rechts dar, die den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum überlässt, sondern zwingende Vorgaben macht, so dass die diese Vorschrift umsetzende Bestimmung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des GG, sondern allein am Unionsrecht und damit auch an den durch das Unionsrecht gewährleisteten Grundrechten zu messen ist. Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des EuGH ist die Vervielfältigung eines - auch nur sehr kurzen - Audiofragments eines Tonträgers durch einen Nutzer grundsätzlich als eine teilweise Vervielfältigung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG anzusehen.
Eine Vervielfältigung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG liegt nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch nicht vor, wenn ein Nutzer in Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt, um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk zu nutzen. Aus einer Abwägung der Freiheit der Kunst (Art. 13 EU-Grundrechtecharta) und der Gewährleistung des geistigen Eigentums (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) folgt, dass es in einer solchen Konstellation an einer hinreichenden Beeinträchtigung der Interessen des Tonträgerherstellers fehlt. Nach diesen Maßstäben stellt die Entnahme von zwei Takten einer Rhythmussequenz aus dem Tonträger der Kläger und ihre Übertragung auf den Tonträger der Beklagten eine Vervielfältigung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG und damit auch des § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG dar. Bei der Prüfung der Frage, ob ein von einem Tonträger entnommenes Audiofragment in einem neuen Werk in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form genutzt wird, ist auf das Hörverständnis eines durchschnittlichen Musikhörers abzustellen. Nach den Feststellungen des OLG haben die Beklagten die Rhythmussequenz zwar in leicht geänderter, aber beim Hören wiedererkennbarer Form in ihren neuen Tonträger übernommen.
Die Beklagten können sich insoweit nicht auf eine freie Benutzung i.S.d. § 24 Abs. 1 UrhG berufen. Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg auf eine Schrankenregelung berufen. Die Voraussetzungen eines Zitats i.S.d. § 51 Satz 1 und 2 Nr. 3 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG liegen nicht vor, weil kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Hörer - wie für ein Zitat erforderlich - annehmen könnten, die dem Musikstück "Nur mir" unterlegte Rhythmussequenz sei einem fremden Werk oder Tonträger entnommen worden. Das übernommene Audiofragment ist auch kein unwesentliches Beiwerk i.S.d. § 57 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. i der Richtlinie 2001/29/EG. Die Voraussetzungen einer Karikatur oder Parodie i.S.v. § 24 Abs. 1 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG liegen ebenfalls nicht vor. Die Schranke für Pastiches i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ist ebenfalls nicht einschlägig. Eine abschließende Beurteilung ist dem BGH allerdings verwehrt, weil das OLG keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Beklagten ab dem 22.12.2002 Handlungen der Vervielfältigung oder Verbreitung vorgenommen haben oder ob solche Handlungen ernsthaft und konkret zu erwarten waren.
Hinsichtlich des Inverkehrbringens ist eine Verletzung des Verbreitungsrechts der Kläger als Tonträgerhersteller gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UrhG sowie ein Verbot nach § 96 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG zu prüfen. Eine Verletzung des Verbreitungsrechts der Kläger gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UrhG, der der Umsetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG dient, ist nicht gegeben. Der EuGH hat auf Vorlage des Senats entschieden, dass ein Tonträger, der von einem anderen Tonträger übertragene Musikfragmente enthält, keine Kopie dieses anderen Tonträgers im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG darstellt. Sofern mit Blick auf ab dem 22.12.2002 begangene Handlungen das Vervielfältigungsrecht der Kläger als Tonträgerhersteller gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG verletzt wurde, kann hierauf ein Verbot des Inverkehrbringens gem. § 96 Abs. 1 UrhG nicht gestützt werden. Diese Vorschrift ist im Streitfall unanwendbar, weil sie zu einer Ausweitung unionsrechtlich vollharmonisierter Verwertungsrechte führt und insoweit richtlinienwidrig ist.
Eine abschließende Entscheidung ist dem BGH auch deshalb verwehrt, weil die Kläger ihre Ansprüche hilfsweise auf ihr Leistungsschutzrecht als ausübende Künstler (§ 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG, Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG; Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/115/EG), weiter hilfsweise auf die Verletzung des Urheberrechts des Klägers zu 1) am Musikwerk (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2, §§ 16, 17 Abs. 1 UrhG; Art. 2 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG) und äußerst hilfsweise auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz (§ 4 Nr. 9 UWG aF, § 4 Nr. 3 UWG) gestützt haben. Insoweit fehlt es bisher ebenfalls an Feststellungen des OLG, die nun von diesem zu treffen sind. Der Senat gibt auch insoweit einige Hinweise: Für auf das Leistungsschutzrecht als ausübende Künstler gestützte Ansprüche dürfte wohl nichts Anderes gelten als für auf das Leistungsschutzrecht als Tonträgerhersteller gestützte Ansprüche. Bzgl. der Ansprüche aus dem Urheberrecht ist schon fraglich, ob die entnommene Rhythmussequenz die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Jedenfalls dürfte anzunehmen sein, dass sich die Beklagten für sämtliche Nutzungshandlungen vor dem 22.12.2002 auch insoweit auf das Recht zur freien Benutzung aus § 24 Abs. 1 UrhG berufen können. Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz dürften eher fernliegen.