Krankenversicherungen können Übernahme der Kosten für die Auswechslung von Brustimplantaten nicht grundsätzlich verweigern
BGH 17.3.2016, IV ZR 353/14Der Kläger verlangt von der Beklagten Krankenversicherungsleistungen wegen einer bei seiner Ehefrau (der früheren Klägerin zu 2)) durchgeführten Auswechslung von Brustimplantaten. Er hält seit Ende 2005/Anfang 2006 eine private Krankheitskostenversicherung bei der Beklagten. Seine Ehefrau ist darin mitversichert. Dem Vertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (AVB) zugrunde, deren ersten Teil die Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KK 94) bilden. Darin heißt es u.a.:
"Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse. Er gewährt im Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Keine Leistungspflicht besteht für auf Vorsatz beruhende Krankheiten und Unfälle einschließlich deren Folgen sowie für Entziehungsmaßnahmen einschließlich Entziehungskuren."
Bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages hatte sich die Ehefrau des Klägers im Jahre 2004 aus kosmetischen Gründen mittels Implantaten die Brüste vergrößern lassen, was der Kläger im Versicherungsantrag bei Beantwortung der dort gestellten Gesundheitsfragen nicht angegeben hatte. Ende 2011 bildete sich in der rechten Brust der Ehefrau des Klägers ausgelöst durch das Implantat eine schmerzhafte Kapselfibrose; in ihrer linken Brust war es zu einer Implantatdislokation gekommen. Am 19. Januar 2012 wurde deshalb ein beidseitiger Implantatwechsel vorgenommen, für den das ausführende Klinikum rd. 4.600 € in Rechnung stellte.
Der Kläger meint, die Beklagte sei hierfür eintrittspflichtig, anderenfalls schulde sie die Kostenerstattung wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten, weil sie bei Vertragsschluss darüber hätte informieren müssen, dass sie für die Folgen kosmetischer Operationen nicht einstehe. Die Beklagte lehnt die Kostenerstattung unter Berufung auf die AVB ab. Da die Ehefrau des Klägers vor ihrer Operation im Jahre 2004, die nicht zum Zwecke einer Heilbehandlung erfolgt sei, über die mit der Brustvergrößerung verbundenen Risiken aufgeklärt worden sei, zu denen auch eine Kapselfibrose oder eine unerwünschte Formveränderung zählte, habe sie diese Komplikationen bedingt vorsätzlich herbeigeführt. Weiter bestreitet die Beklagte die medizinische Notwendigkeit des Implantatwechsels.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat zu Unrecht angenommen, bereits die 2004 mittels der Implantate herbeigeführte Brustvergrößerung habe bei der Ehefrau des Klägers zu einer Krankheit i.S.v. § 201 VVG bzw. § 1 Teil I (1) und § 5 Teil I (1) Buchst. b AVB geführt.
Unter einer bedingungsgemäßen Krankheit wird ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch, wie er sich auf der Grundlage allgemein bekannt gewordener medizinischer Erkenntnisse herausgebildet hat, einen objektiv nach ärztlichem Urteil bestehenden anormalen, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verstehen, wobei sich die Einstufung als "anormal" aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als "regelwidrig" aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustandes ergibt. Eine Krankheit ist nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet.
Danach führt eine mittels ärztlichen Eingriffs vorgenommene Brustvergrößerung nach allgemeinem Sprachgebrauch zu keiner Krankheit im Sinne der Bedingung. Zwar mag die Implantation eines Fremdkörpers, etwa eines Silikonkissens, einen biologisch anormalen Körperzustand bewirken, medizinisch regelwidrig im Sinne einer Erkrankung ist dieser nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers aber schon deshalb nicht, weil - wenngleich nicht medizinisch geboten - er von einem Arzt unter Beachtung medizinischer Regeln und Sorgfaltsanforderungen herbeigeführt wird und bei normalem, komplikationsfreiem Verlauf auch nicht zur Störung körperlicher oder geistiger Funktionen führt und keinen Behandlungsbedarf begründet.
Hat mithin die 2004 durchgeführte Brustvergrößerung zunächst zu keiner bedingungsgemäßen Krankheit geführt, kommt es weder für den Leistungsausschluss nach § 201 VVG noch den aus § 5 Teil I (1) Buchst. b AVB darauf an, ob sich die Ehefrau des Klägers dieser Operation vorsätzlich und freiwillig unterzogen hat, denn Krankheiten im Sinne dieser Bestimmungen stellen allenfalls die späteren Komplikationen, d.h. die Kapselfibrose und die Implantatdislokation dar. Die Beklagte wäre nur dann leistungsfrei, wenn, wie das OLG jedenfalls in Bezug auf die Kapselfibrose weiter angenommen hat, die Ehefrau des Klägers auch diese sowie die Implantatdislokation zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Die dazu vom OLG angestellten Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung indes ebenfalls nicht stand.
Ein Erfahrungssatz, wonach sich die versicherte Person mit allen ihr durch ärztliche Aufklärung bekannt gewordenen möglichen Krankheitsfolgen eines geplanten ärztlichen Eingriffs, die mit einer gewissen Häufigkeit beobachtet werden, im Sinne einer billigenden Inkaufnahme abfindet, besteht nicht. Einer solchen generalisierenden Betrachtung steht bereits die ebenfalls nur allgemeine Erwägung entgegen, dass sich Patienten einem ärztlichen Eingriff in aller Regel in der Hoffnung unterziehen, dieser werde erfolgreich und komplikationsfrei verlaufen.
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