18.12.2014

Kreditgeber trägt Beweislast für Erfüllung der vorvertraglichen Pflichten zur Information und zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers

Die Beweislast für die Erfüllung der vorvertraglichen Pflichten zur Information und zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers obliegt dem Kreditgeber. Der Effektivitätsgrundsatz wäre gefährdet, wenn die Beweislast für die Nichterfüllung der Verpflichtungen des Kreditgebers dem Verbraucher obläge.

EuGH 18.12.2014, C-449/13
Hintergrund:
Die EU-Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge erlegt dem Kreditgeber Informations- und Erläuterungspflichten auf, um dem Verbraucher zu ermöglichen, bei Abschluss des Kreditvertrages eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Sie verpflichtet den Kreditgeber auch dazu, dem Verbraucher ein Europäisches Standardinformationsblatt auszuhändigen und die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu prüfen.

Der Sachverhalt:
Im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten in Frankreich konnten mehrere Personen die Raten ihres jeweiligen Kredits nicht zurückzahlen, so dass die Bank Klagen auf sofortige Rückzahlung der geschuldeten Restbeträge zzgl. Zinsen erhob. Die Bank ist weder in der Lage, das Europäische Standardinformationsblatt noch ein anderes Dokument zum Nachweis der Erfüllung ihrer Erläuterungspflicht vorzulegen. In einem der Fälle enthält der Kreditvertrag allerdings eine Standardklausel, in der der Kreditnehmer bestätigt, das Formular erhalten und davon Kenntnis genommen zu haben.

Das mit der Sache befasste französische Gericht ist der Auffassung, dass eine solche Klausel Schwierigkeiten verursachen könnte, wenn sie im Ergebnis die Beweislast zu Lasten des Verbrauchers umkehrt. Seiner Ansicht nach könnte diese Art von Klausel dem Verbraucher die Ausübung seines Rechts, die vollständige Erfüllung der Pflichten seitens des Kreditgebers zu bestreiten, unmöglich machen. Was die Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit angeht, weist das französische Gericht darauf hin, dass der Kreditnehmer im anderen Fall der Bank keine Einkommensnachweise vorgelegt habe.

Das Gericht möchte daher im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vom EuGH wissen, ob die Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers allein anhand der vom Verbraucher vorgelegten Informationen ohne tatsächliche Kontrolle dieser Informationen anhand anderer Anhaltspunkte durchgeführt werden kann. Das vorlegende Gericht fragt auch danach, ob die Erläuterungs- und Unterstützungspflicht als erfüllt angesehen werden kann, wenn der Kreditgeber nicht vorher die Kreditwürdigkeit und die Bedürfnisse des Verbrauchers geprüft hat.

Die Gründe:
Die Richtlinie sagt nichts dazu, wer die Beweislast dafür trägt, dass der Kreditgeber seine Informationspflicht und seine Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit erfüllt hat, so dass diese Frage von der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats abhängt. Insoweit dürfen die Bestimmungen nationalen Rechts nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der von der Richtlinie eingeräumten Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). Hinsichtlich der Einhaltung des Äquivalenzgrundsatzes bestehen vorliegend zwar keine Zweifel, aber der Effektivitätsgrundsatz würde gefährdet, wenn die Beweislast für die Nichterfüllung der Verpflichtungen des Kreditgebers dem Verbraucher obläge. Denn der Verbraucher verfügt nicht über die Mittel, um zu beweisen, dass ihm der Kreditgeber die vorgesehenen Informationen nicht erteilt und seine Kreditwürdigkeit nicht geprüft hat.

Demgegenüber wird der Effektivitätsgrundsatz gewahrt, wenn der Kreditgeber vor dem Richter den Beweis für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner vorvertraglichen Verpflichtungen erbringen muss: Ein sorgfältiger Kreditgeber muss sich nämlich der Notwendigkeit bewusst sein, Beweise für die Erfüllung seiner Informations- und Erläuterungspflichten zu sammeln und zu sichern. Was die in einem der betreffenden Kreditverträge enthaltene Standardklausel angeht, darf diese dem Kreditgeber nicht ermöglichen, seine Verpflichtungen zu umgehen. Die in Rede stehende Standardklausel stellt daher ein Indiz dar, das der Kreditgeber durch ein oder durch mehrere relevante Beweismittel untermauern muss. Eine solche Klausel würde, wenn sie zur Folge hätte, dass der Verbraucher mit ihr die vollständige und korrekte Erfüllung der dem Kreditgeber obliegenden vorvertraglichen Verpflichtungen bestätigt, zu einer Umkehr der Beweislast führen, was die Effektivität der von der Richtlinie eingeräumten Rechte gefährden könnte.

Was die Frage angeht, ob die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers lediglich anhand der vom Verbraucher vorgelegten Informationen ohne tatsächliche Kontrolle dieser Informationen anhand anderer Anhaltspunkte vorgenommen werden kann, ist festzuhalten, dass die Richtlinie dem Kreditgeber einen Ermessensspielraum einräumt, wenn es darum geht, ob die Angaben, über die er verfügt, ausreichend sind, um die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu bescheinigen, und ob er diese anhand anderer Kriterien überprüfen muss. Der Kreditgeber kann sich daher unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit den Auskünften begnügen, die ihm der Verbraucher erteilt hat, oder es für notwendig befinden, eine Bestätigung dieser Angaben zu erhalten.

Außerdem ergibt sich aus der Richtlinie nicht, dass die Bewertung der finanziellen Situation und der Bedürfnisse des Verbrauchers vor der Erteilung angemessener Erläuterungen abgeschlossen werden müsste. Es besteht grundsätzlich kein Zusammenhang zwischen den beiden vorvertraglichen Verpflichtungen. Der Kreditgeber kann dem Verbraucher daher Erläuterungen geben, ohne verpflichtet zu sein, zuvor dessen Kreditwürdigkeit zu prüfen. Die Informationspflichten müssen aufgrund ihres vorvertraglichen Charakters vor Unterzeichnung des Kreditvertrags erfüllt sein müssen, wobei diese Erläuterungen nicht notwendigerweise in einem spezifischen Dokument zu erteilen sind, sondern auch mündlich im Zuge eines Gesprächs gegeben werden können.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 184 vom 18.12.2014
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