Kreditverträgen mit ausländischen Kreditgebern kann nicht mit nationalem Gesetz rückwirkend Gültigkeit genommen werden
EuGH v. 14.2.2019 - C-630/17Die Klägerin ist kroatische Staatsangehörige. Sie schloss 2007 mit der in Österreich ansässigen beklagten Raiffeisenbank einen Vertrag über einen einmaligen Kredit i.H.v. 47.000 € für Renovierungsarbeiten an ihrem Haus, insbesondere um dort Wohnungen zum Zweck der Vermietung einzurichten. Der Kreditvertrag wurde mit Hilfe eines in Kroatien ansässigen Vermittlers abgeschlossen und enthält eine alternative Gerichtsstandsvereinbarung, zugunsten entweder der österreichischen oder der kroatischen Gerichte. Um die Rückzahlung des Kredits sicherzustellen, unterzeichnete die Klägerin auch eine notarielle Urkunde über die Bestellung einer Hypothek aus diesem Vertrag, die anschließend im kroatischen Grundbuch eingetragen wurde.
2015 erhob die Klägerin beim zuständigen Gericht in Kroatien Klage gegen die Beklagte auf Feststellung der Nichtigkeit des Kreditvertrags und der notariellen Urkunde sowie auf Löschung der Hypothek im Grundbuch. Während die Beklagte geltend macht, dass dieser Vertrag in Österreich geschlossen worden sei, behauptet die Klägerin, dass der Vertragsabschluss in Kroatien erfolgt sei.
Am 14.7.2017 trat ein kroatisches Gesetz in Kraft, das die rückwirkende Nichtigkeit von Kreditverträgen vorsieht, die in Kroatien mit einem ausländischen Kreditgeber geschlossen wurden, der nicht über die notwendigen Zulassungen oder Genehmigungen der kroatischen Behörden verfügt. Dieses Gesetz könnte im Ausgangsrechtsstreit anwendbar sein. Das kroatische Gericht vertritt zum einen die Auffassung, dass dann, wenn festgestellt werde, dass der in Rede stehende Vertrag in Kroatien geschlossen worden sei, dieser nunmehr nichtig sein könnte, und zum anderen, dass diese Regelung die Freiheit der Beklagten, Finanzdienstleistungen zu erbringen, beeinträchtigen könnte. Es befragt den EuGH zu einem etwaigen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt der Union und - im Hinblick auf die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Gerichtsstandsverordnung) - zu verschiedenen Aspekten im Zusammenhang mit seiner internationalen Zuständigkeit für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens. Es möchte ferner wissen, ob der in Rede stehende Vertrag als "Verbrauchervertrag" eingestuft werden könnte und ob der Ausgangsrechtsstreit den Regeln der ausschließlichen Zuständigkeit für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, unterliegt.
Die Gründe:
Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Kreditverträge und die sonstigen auf ihnen beruhenden Rechtshandlungen rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses nichtig sind, wenn sie mit einem in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Dienstleistungsempfängers ansässigen Kreditgeber geschlossen wurden, der nicht über sämtliche erforderlichen von den zuständigen Behörden erteilten Zulassungen verfügt.
Der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit verlangt die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit und die Aufhebung aller Beschränkungen, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. In der kroatischen Rechtsordnung ist die Nichtigkeit von mit einem nicht zugelassenen Kreditgeber geschlossenen Kreditverträgen zum einen im Gesetz vom 14.7.2017 und zum anderen im Verbraucherkreditgesetz vom 30.9.2015 vorgesehen.
Angesichts des Umstands, dass für die Zeit vom 1.7.2013, dem Tag des Beitritts Kroatiens zur Union, bis zum 30.9.2015 diese Nichtigkeit nur für die Kreditverträge gilt, die von einem nicht zugelassenen Kreditgeber mit Sitz außerhalb Kroatiens geschlossen wurden, ist festzustellen, dass das kroatische Recht für diesen Zeitraum eine unmittelbare Diskriminierung zum Nachteil der außerhalb Kroatiens ansässigen Kreditgeber vorsah. Da ab diesem Zeitpunkt die Nichtigkeitsregel unterschiedslos für alle nicht zugelassenen Kreditgeber gilt, enthält das Gesetz vom 14.7.2017 eine Beschränkung der Ausübung der Dienstleistungsfreiheit. Was die Zeit vom 1.7.2013 bis zum 30.9.2015 anbelangt, war vorliegend zu prüfen, ob das nationale Gesetz aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt werden kann. Es ist insoweit festzustellen, dass ein derartiger Rechtfertigungsgrund voraussetzt, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wobei Erwägungen wirtschaftlicher Art eine Ausnahme von der Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen können.
Für die Zeit, in der die Regel der Nichtigkeit der in Rede stehenden Kreditverträge unterschiedslos galt, ist festzuhalten, dass sie eine Beschränkung der Ausübung der Dienstleistungsfreiheit enthält. Zwar gehören die im vorliegenden Fall geltend gemachten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zu denen, die in seiner Rechtsprechung bereits anerkannt wurden, jedoch geht dieses Gesetz offensichtlich über das hinaus, was zur Erreichung der mit ihm verfolgten Ziele erforderlich ist. Im System der Gerichtsstandsverordnung ist die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die beklagte Person ihren Wohnsitz hat, der allgemeine Grundsatz. Folglich widerspricht eine nationale Vorschrift, die von diesem allgemeinen Grundsatz abweichende, nicht in einer anderen Bestimmung dieser Verordnung vorgesehene Regeln für die Zuständigkeit vorsieht, dem mit der Verordnung eingeführten System.
Hinsichtlich der möglichen Einstufung eines Kreditvertrags, den ein Schuldner für Renovierungsarbeiten an einer Immobilie, die sein Wohnsitz ist, abgeschlossen hat, um dort u.a. Beherbergungsleistungen für Touristen zu erbringen, als "Verbrauchervertrag", ist klarzustellen, dass diese Bestimmungen einem Schuldner nur dann zugutekommen könnten, wenn die Verbindung zwischen diesem Vertrag und der beruflichen bzw. gewerblichen Tätigkeit so schwach wäre, dass auf der Hand läge, dass dieser Vertrag im Wesentlichen private Zwecke hat, was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist. Zu den Anträgen auf Feststellung der Nichtigkeit des in Rede stehenden Vertrags und der notariellen Urkunde über die Bestellung einer Hypothek gilt, dass sich diese auf einen persönlichen Anspruch stützen, der nur gegen die Raiffeisenbank geltend gemacht werden kann. Was hingegen den Antrag auf Löschung der Eintragung einer Hypothek im Grundbuch betrifft, ist festzustellen, dass die Hypothek ein dingliches Recht ist, das Wirkungen gegenüber jedermann entfaltet und somit in die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats fällt, in dem das Grundstück belegen ist.
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