14.05.2018

Kündigung eines urheberrechtlichen Lizenzvertrags wegen Störung der Geschäftsgrundlage infolge Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung

Die Rechtsprechung zur Frage der öffentlichen Wiedergabe von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen ist nicht auf die Frage der öffentlichen Wiedergabe von Hörfunksendungen in Patientenzimmern eines Krankenhauses anwendbar. Der Betreiber eines Krankenhauses, der Patientenzimmer mit Radiogeräten ausstattet, mit denen Patienten ausgestrahlte Radiosendungen über eine krankenhauseigene Kabelanlage empfangen können, gibt die Radiosendungen i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG öffentlich wieder und verletzt daher die Rechte von Urhebern, ausübenden Künstlern und Sendeunternehmen zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke oder Leistungen.

BGH 11.1.2018, I ZR 85/17
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), die auch zur Wahrnehmung der Rechte der Urheber und Leistungsschutzberechtigten mehrerer anderer Verwertungsgesellschaften befugt. Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus mit 49 Patientenzimmern, die teilweise als Mehrbettzimmer ausgestattet und im Durchschnitt zu 80 % belegt sind. Die Beklagte bietet ihren Patienten die Möglichkeit, in den Patientenzimmern Radio zu hören, indem sie Rundfunksendungen durch technische Mittel an die Patientenzimmer weiterleitet. Die Patienten können zwischen mehreren vorgegebenen Radiokanälen wählen. Die Inanspruchnahme dieses Dienstes ist für die Patienten kostenlos.

2010 schlossen die Parteien einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag, durch den die Klägerin der Beklagten das Recht zur Weiterleitung von Rundfunksendungen in ihre 49 Patientenzimmer gegen Zahlung einer Vergütung einräumte. Im Juni 2015 teilte die Klägerin der Beklagten mit, die Vergütung betrage ab dem 1.8.2015 jährlich rd. 880 €. Im Juli 2015 erklärte die Beklagte die fristlose Kündigung sämtlicher mit der Klägerin geschlossenen Verträge. Diese begründete sie mit der Störung der Geschäftsgrundlage aufgrund einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und berief sich darauf, dass die Wiedergabe von Hörfunksendungen in Zahnarztpraxen nach den Urteilen des EuGH vom 15.3.2012 (C135/10) und des BGH vom 18.6.2015 (I ZR 14/14) keine urheberrechtlich relevante öffentliche Wiedergabe darstelle. Die Beklagte entrichtete für den Zeitraum vom 1.8.2015 bis zum 31.7.2016 keine Lizenzgebühren.

AG und LG gaben der insbesondere auf Zahlung des Jahresbeitrags für diesen Zeitraum i.H.v. 880 € gerichteten Klage statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Zahlung des Jahresbeitrags für den Zeitraum vom 1.8.2015 bis zum 31.7.2016 i.H.v. 880 € ergibt sich aus dem zwischen den Parteien geschlossenen urheberrechtlichen Lizenzvertrag. Dieser ist von der Beklagten nicht mit Wirkung zum 31.7.2015 wirksam außerordentlich gekündigt worden. Der Beklagten stand kein Recht zur außerordentlichen Kündigung zu.

Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des LG, im Streitfall liege eine Störung der Geschäftsgrundlage i.S.v. § 313 BGB nicht vor. Es kann bereits nicht davon ausgegangen werden, dass der Geschäftswille der Parteien auf der gemeinschaftlichen Erwartung vom Fortbestand der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Wiedergabe von Hörfunksendungen in Zahnarztpraxen aufgebaut war. Ein gem. § 313 BGB schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung setzt voraus, dass diese Rechtsprechung nach der gemeinschaftlichen Vorstellung der Parteien auf den konkret in Rede stehenden Sachverhalt anwendbar ist. Daran fehlt es vorliegend.

Die Beklagte beruft sich auf eine Änderung der Rechtsprechung zur Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen. Im Hinblick auf diesen konkreten Sachverhalt hat es in der Tat eine Änderung der gefestigten Rechtsprechung gegeben. Hier geht es jedoch nicht um die Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen, sondern um die durch den Betreiber eines Krankenhauses mit technischen Mitteln vorgenommene Weiterleitung von Rundfunksendungen zur im Belieben der Patienten stehenden Abrufbarkeit in 49 Patientenzimmern des Krankenhauses.

Überträgt - wie im Streitfall - der Betreiber eines Krankenhauses zuvor von ihm empfangene Hörfunksignale zeitgleich, unverändert und vollständig durch technische Mittel wie Kabel i.S.v. § 20b Abs. 1 UrhG an die angeschlossenen Empfangsgeräte in 49 Patientenzimmer weiter, sind die Voraussetzungen erfüllt, die nach der Rechtsprechung des EuGH an eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 der Richtlinie 2006/115/EG zu stellen sind. Eine solche Weiterübertragung stellt daher eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG dar und verletzt daher die Rechte von Urhebern, ausübenden Künstlern und Sendeunternehmen zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke oder Leistungen.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück