16.03.2021

Markenrechtliche Verwechslungsgefahr und Warenähnlichkeit - Fahrrad vs. Auto

Bei der im Rahmen der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr vorzunehmenden Prüfung, ob zwischen den Waren, für die die Marke eingetragen ist (hier: Fahrräder), und den Waren, für die das angegriffene Zeichen benutzt wird (hier: Kraftfahrzeuge), Warenähnlichkeit besteht, sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen diesen Waren kennzeichnen. Hierzu gehören insbesondere die Art dieser Waren, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren.

BGH v. 15.10.2020 - I ZR 135/19
Der Sachverhalt:
Die in Südafrika ansässige Klägerin ist Inhaberin der im Juli 2008 angemeldeten und am 8.5.2009 für Fahrräder eingetragenen Unionsmarke Nr. 007042971 "PEARL" sowie der im Juli 2003 angemeldeten und am 3.11.2003 eingetragenen deutschen Wortmarke Nr. 303 37619 "PEARL", die Schutz für "Fahrräder, Fahrradteile (soweit in Klasse 12 enthalten)" beansprucht.

Die in Frankreich geschäftsansässige Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der Peugeot S. A., die u.a. Kraftfahrzeuge, Fahrräder und Motorroller herstellt. Die Peugeot S. A. gehört zur PSA-Gruppe, unter deren Dach Fahrzeuge der Marken "Peugeot" und "Citroën" beworben, angeboten und vertrieben werden. Die Beklagte ist Inhaberin der Unionsmarke Nr. 011834926 "PURE PEARL", die im Mai 2013 angemeldet und am 3.10.2013 eingetragen wurde. Diese Marke beansprucht mit einer Priorität vom 21.5.2013 Schutz in der Klasse 12 unter anderem für "Fahrzeuge, Apparate für Beförderung auf dem Lande, Kraftfahrzeuge, Bauteile dafür".

Die Klägerin stellte im November 2013 fest, dass die Beklagte die Marke "PURE PEARL" angemeldet hatte und Kraftfahrzeuge mit dieser Bezeichnung vertrieb. Dabei wurde diese Bezeichnung wie aus der Anlage K6 ersichtlich unter anderem folgendermaßen für zwei limitierte Sondermodelle "CITROËN DS4 Pure Pearl" und "CITROËN DS5 Pure Pearl" der Beklagten verwendet, die von Ende 2011 bis Juni 2013 verkauft wurden. Vom Modell "DS4" wurden 70 Stück verkauft, vom Modell "DS5" 51 Stück. Auf den Fahrzeugen selbst war die Bezeichnung "Pure Pearl" nicht angebracht.

Die Klägerin war der Ansicht, die Beklagte verletze dadurch ihre älteren Markenrechte. Das LG hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist sowohl für die in erster Linie auf die Unionsmarke als auch für die hilfsweise auf die deutsche Wortmarke gestützten, gegen die in Frankreich ansässige Beklagte geltend gemachten Ansprüche gegeben.

Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Rechte der Klägerin aus ihrer Unionsmarke "PEARL" durch die angegriffene Verwendung des Zeichens "PURE PEARL" nicht verletzt seien. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Verwechslungsgefahr nicht verneint werden. Bei der im Rahmen der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr vorzunehmenden Prüfung, ob zwischen den Waren, für die die Marke eingetragen ist (hier: Fahrräder), und den Waren, für die das angegriffene Zeichen benutzt wird (hier: Kraftfahrzeuge), Warenähnlichkeit besteht, sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen diesen Waren kennzeichnen. Hierzu gehören insbesondere die Art dieser Waren, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen, weil sie in denselben Verkaufsstätten angeboten werden.

Allein aus der Erteilung von Lizenzen für andere als diejenigen Waren, für die der Markenschutz gilt, lässt sich jedoch kein Anhaltspunkt für eine Warenähnlichkeit ableiten. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass bei funktionsverwandten Produkten, bei denen im Falle einer Lizenzierung der Verkehr nicht nur von einem Imagetransfer, sondern auch von einem Know-how-Transfer ausgeht, die Lizenzierungspraxis einen Faktor darstellt, der im Grenzbereich für die Warenähnlichkeit bzw. bei gegebener Warenähnlichkeit für die Verwechslungsgefahr sprechen kann.

Da die Verkehrserwartung im Hinblick auf die angegriffene Verwendung der geschützten Marke zu beurteilen ist, kommt es insoweit darauf an, ob der Verkehr im Falle einer Lizenzierung der für bestimmte Waren (hier: Fahrräder) geschützten Marke zur markenmäßigen Verwendung für andere Waren (hier: Kraftfahrzeuge) von einem Know-how-Transfer ausgeht (Fortführung von BGH, Urteil vom 30.3.2006 - I ZR 96/03 - TOSCA BLU). Insofern wendet sich die Revision mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, es bestehe absolute Warenunähnlichkeit zwischen Fahrrädern, für die die Unionsmarke "PEARL" Schutz beansprucht, und Kraftfahrzeugen, auf die sich die beanstandeten Verhaltensweisen der Beklagten beziehen. Die Beurteilung wird teilweise nicht von seinen Feststellungen getragen, teilweise hat das Berufungsgericht nicht alle maßgeblichen Umstände in den Blick genommen.

Das Berufungsgericht hat zwar festgestellt, dass Zeichenähnlichkeit vorliegt. Zum Grad der Zeichenähnlichkeit hat es jedoch bislang keine Feststellungen getroffen. Das Ergebnis der Prüfung der Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen kann von Zeichenunähnlichkeit über Zeichenähnlichkeit bis zu Zeichenidentität reichen; liegt Zeichenähnlichkeit vor, ist deren Grad genauer zu bestimmen. Dabei kann zwischen sehr hoher (weit überdurchschnittlicher), hoher (überdurchschnittlicher), normaler (durchschnittlicher), geringer (unterdurchschnittlicher) und sehr geringer (weit unterdurchschnittlicher) Zeichenähnlichkeit unterschieden werden (BGH, Urteil vom 5.12.2012 - I ZR 85/11 - Culinaria/Villa Culinaria). Entsprechende Feststellungen wird das Berufungsgericht gegebenenfalls nachzuholen haben.
BGH online
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