15.06.2023

Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen

Das Unionsrecht steht dem nicht entgegen, dass die Verbraucher im Fall der Nichtigerklärung eines missbräuchliche Klauseln enthaltenden Hypothekendarlehensvertrags von der Bank einen über die Erstattung der gezahlten monatlichen Raten hinausgehenden Ausgleich verlangen. Dagegen steht das Unionsrecht dem entgegen, dass die Bank gegenüber den Verbrauchern entsprechende Ansprüche geltend macht.

EuGH v. 15.6.2023 - C-520/21
Der Sachverhalt:
2008 schlossen der klagende Verbraucher und dessen Ehefrau mit der beklagten Bank einen Hypothekendarlehensvertrag. Das Darlehen war an den Schweizer Franken (CHF) gekoppelt, und die mtl. Raten waren nach Umrechnung auf der Grundlage des in der am Tag der Zahlung der jeweiligen mtl. Rate geltenden Devisenkurstabelle der Beklagten veröffentlichten CHF-Verkaufskurses in polnischen Zloty (PLN) zu zahlen.

Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Umrechnungsklauseln zur Bestimmung des Wechselkurses missbräuchlich seien und ihre Aufnahme zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags führe. Mit seiner Klage verlangt er die Zahlung eines Betrags, der der Hälfte des Gewinns entspreche, den die Beklagte in einem bestimmten Zeitraum dadurch erzielt habe, dass sie die zur Erfüllung des Vertrags gezahlten mtl. Raten genutzt habe. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe diese mtl. Raten rechtsgrundlos erhalten.

Das mit der Sache befasste polnische Gericht hat das Verfahren ausgesetzte und möchte nun vom EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens wissen, ob die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln sowie die Grundsätze der Effektivität, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit es den Parteien eines Hypothekendarlehensvertrags, der mit der Begründung für nichtig erklärt wird, dass er nach Aufhebung der missbräuchlichen Klauseln nicht fortbestehen kann, gestatten, einen über die Erstattung der auf der Grundlage dieses Vertrags jeweils gezahlten Beträge hinausgehenden Ausgleich sowie die Zahlung von Verzugszinsen zum gesetzlichen Zinssatz ab dem Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung zu verlangen.

Die Gründe:
Die Richtlinie regelt nicht ausdrücklich die Folgen, die sich aus der Unwirksamkeit eines zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags nach Aufhebung der missbräuchlichen Klauseln ergeben. Die Bestimmung dieser Folgen obliegt den Mitgliedstaaten, wobei die aufgestellten Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht und insbesondere mit den mit der Richtlinie verfolgten Zielen vereinbar sein müssen. Diese Vereinbarkeit hängt von der Frage ab, ob die nationalen Rechtsvorschriften es zum einen ermöglichen, die Sach‑ und Rechtslage des Verbrauchers wiederherzustellen, in der er sich ohne den für nichtig erklärten Vertrag befunden hätte, und zum anderen den mit der Richtlinie angestrebten Abschreckungseffekt nicht gefährden.

Die Möglichkeit, dass ein Verbraucher gegenüber der Bank Forderungen geltend macht, die über die Erstattung der gezahlten monatlichen Raten hinausgehen, scheint die vorgenannten Ziele nicht zu gefährden. Insbesondere kann diese Möglichkeit dazu beitragen, Gewerbetreibende davon abzuhalten, in Verbraucherverträge missbräuchliche Klauseln aufzunehmen, da die zur vollständigen Nichtigkeit eines Vertrags führende Aufnahme solcher Klauseln finanzielle Folgen haben könnte, die über die Erstattung der von dem Verbraucher gezahlten Beträge und ggf. die Zahlung von Verzugszinsen hinausgehen. Gleichwohl ist es Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des Rechtsstreits zu beurteilen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, wenn solchen Forderungen des Verbrauchers stattgegeben wird.

Des Weiteren steht die Richtlinie dem entgegen, dass die Bank von dem Verbraucher einen Ausgleich verlangen darf, der über die Erstattung des gezahlten Kapitals sowie die Zahlung von Verzugszinsen zum gesetzlichen Zinssatz hinausgeht. Die Gewährung eines solchen Rechts würde dazu beitragen, den Abschreckungseffekt für die Gewerbetreibenden zu beseitigen. Ferner würde die Wirksamkeit des den Verbrauchern durch die Richtlinie gewährten Schutzes gefährdet, wenn sie bei der Geltendmachung ihrer Rechte aus der Richtlinie Gefahr liefen, einen solchen Ausgleich zahlen zu müssen. Bei dieser Auslegung bestünde die Gefahr, dass Situationen geschaffen würden, in denen es für den Verbraucher günstiger wäre, die Erfüllung des eine missbräuchliche Klausel enthaltenden Vertrags fortzusetzen, als seine Rechte aus dieser Richtlinie auszuüben.

Vorliegend ist die etwaige Nichtigerklärung des Hypothekendarlehensvertrags eine Folge der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch die Beklagte. Daher kann weder zugelassen werden, dass sie aus ihrem rechtswidrigen Verhalten wirtschaftliche Vorteile zieht, noch, dass sie für die durch ein solches Verhalten verursachten Nachteile entschädigt wird. Darüber hinaus kommt dem die Stabilität der Finanzmärkte betreffenden Argument im Rahmen der Auslegung der Richtlinie, deren Ziel der Schutz der Verbraucher ist, kein Gewicht zu. Ferner dürfen Gewerbetreibende die mit der Richtlinie verfolgten Ziele nicht aus Gründen der Wahrung der Finanzmarktstabilität umgehen. Denn es ist Sache der Bankinstitute, ihre Tätigkeiten im Einklang mit der Richtlinie zu organisieren.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Erstattung der Darlehensraten und gesetzliche Verzugszinsen ohne sonstige Vergütung (Gewinn) bei Nichtigkeit eines Verbraucherdarlehensvertrags
EuGH vom 16.02.2023 - C-520/21
ZIP 2023, 462

Rechtsprechung:
Bei missbräuchlicher Klausel in Verbrauchervertrag kein Rückgriff auf dispositives Recht bei fehlender Nichtigkeit des Gesamtvertrags ("D.B.P.")
EuGH vom 08.09.2022 - C-80/21-C-82/21
ZIP 2022, 1910

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EuGH PM Nr. 99 vom 15.6.2023
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