Mitgliedstaaten dürfen Luftfahrtunternehmen nicht zur aufschlagsfreien Beförderung von Gepäck verpflichten
EuGH 18.9.2014, C-487/12Im August 2010 erhöhte die klagende Fluggesellschaft Vueling Airlines den Grundpreis der von Frau Arias Villegas online gekauften vier Flugscheine (rd. 240 €) für den Hin- und Rückflug zwischen La Coruña und Amsterdam wegen der Aufgabe von zwei Gepäckstücken um 40 €. Frau Villegas reichte daraufhin Beschwerde gegen die Klägerin ein, da der mit der Gesellschaft geschlossene Luftbeförderungsvertrag ihres Erachtens eine missbräuchliche Klausel enthielt. Sie bezieht sich dabei auf die spanischen Rechtsvorschriften, die es den Luftfahrtunternehmen untersagen, fakultative Zusatzkosten für die Aufgabe des Gepäcks der Fluggäste zu erheben.
Daraufhin verhängte das beklagte Verbraucherinstitut der Autonomen Gemeinschaft Galizien in Spanien gegen die Beklagte eine verwaltungsrechtliche Sanktion i.H.v. 3.000 €. Das mit der Rechtssache befasste Verwaltungsgericht Nr. 1 von Ourense fragt den EuGH, ob die spanischen Rechtsvorschriften mit dem im Unionsrecht verankerten Grundsatz der Preisfreiheit vereinbar sind. Letztlich geht es um die Frage, ob das Unionsrecht das von einigen Luftfahrtunternehmen wie insbes. den "Low cost"-Fluggesellschaften seit der Liberalisierung des Sektors angewandte Geschäftsmodell in Frage stellen kann.
Die Gründe:
Das Unionsrecht steht den spanischen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen Luftfahrtunternehmen verpflichtet sind, in jedem Fall für den Preis des Flugscheins ohne Zusatzkosten nicht nur den Fluggast zu befördern, sondern auch das von ihm aufgegebene Gepäck.
Der für die Beförderung des aufgegebenen Gepäcks von Fluggästen zu zahlende Preis ist kein unvermeidbarer und vorhersehbarer Bestandteil des Preises für den Luftbeförderungsdienst. Es kann sich dabei aber im Sinne des Unionsrechts um fakultative Zusatzkosten für einen Dienst handeln, der den Luftbeförderungsdienst ergänzt. Mit der zunehmenden Verbreitung der Luftverkehrsnutzung haben sich die Geschäftsmodelle der Luftfahrtunternehmen erheblich verändert. So verfolgen heute mehrere Unternehmen ein Geschäftsmodell, das darin besteht, Flugdienste zum günstigsten Preis anzubieten, wobei die Kosten der Gepäckbeförderung als Bestandteil des Preises solcher Flugdienste ein bedeutendes Element sind. Daher können die betreffenden Luftfahrtunternehmen bestrebt sein, dafür einen Zuschlag zu verlangen.
Zudem ist nicht auszuschließen, dass einige Fluggäste es vorziehen, ohne aufgegebenes Gepäck zu reisen, wenn dies den Preis ihres Flugtickets verringert. Die Beförderung von aufgegebenem Gepäck kann demnach nicht als obligatorisch oder unerlässlich für die Beförderung von Fluggästen angesehen werden. Handgepäck ist dagegen grundsätzlich als unverzichtbarer Bestandteil der Beförderung von Fluggästen anzusehen. Für die Beförderung von Handgepäck darf daher kein Zuschlag verlangt werden, sofern sein Gewicht und seine Abmessungen vernünftigen Anforderungen entsprechen und die geltenden Sicherheitsbestimmungen erfüllen. Durch die Handhabung und Überwachung des aufgegebenen Gepäcks können für das Luftfahrtunternehmen Zusatzkosten entstehen, was bei der Beförderung von Handgepäck nicht der Fall ist. Zudem haftet das Luftfahrtunternehmen für Schäden an Gepäck strenger, wenn es aufgegeben worden ist.
Die spanische Regelung gestattet es den Luftfahrtunternehmen offensichtlich nicht, für die Beförderung von aufgegebenem Gepäck einen Zuschlag zu verlangen und damit die freie Preisfestsetzung für die Beförderung von Fluggästen verhindert. Zwar verwehrt es das Unionsrecht den Mitgliedstaaten nicht, einige Aspekte des Luftbeförderungsvertrags insbes. zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Geschäftspraktiken zu reglementieren. Doch darf eine solche nationale Regelung nicht die auf Unionsebene ergangenen Entgeltregelungen in Frage stellen. Die spanische Regelung verbietet die Festlegung unterschiedlicher Preise in Abhängigkeit davon, ob ein Flugschein die Möglichkeit der Aufgabe von Gepäck umfasst oder nicht.
Damit verstößt sie zum einen gegen das Recht der Luftfahrtunternehmen, den für die Beförderung von Fluggästen zu zahlenden Preis und die Bedingungen, unter denen dieser Preis gilt, frei festzulegen. Zum anderen ist sie geeignet, das im Unionsrecht verankerte Ziel eines effektiven Preisvergleichs in Frage zu stellen, weil die von dieser Regelung betroffenen Luftfahrtunternehmen keinen gesonderten Tarif für die Beförderung von aufgegebenem Gepäck ausweisen dürfen, wohl aber Luftfahrtunternehmen, die der Regelung eines anderen Mitgliedstaats unterliegen. Im Übrigen ist es Sache der nationalen Behörden, ggf. zu prüfen, ob Vueling Airlines den Informations- und Transparenzpflichten nachkommt, die ihr hinsichtlich der Zusatzkosten obliegen (nämlich dass diese auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn jedes Buchungsvorgangs mitgeteilt werden müssen, wobei die Annahme durch den Kunden auf "Opt-in"-Basis erfolgt).
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