28.11.2017

Muss Haftpflichtversicherung für durch Fahrzeuge in ihrer Funktion als Arbeitsmaschine versurachte Schäden einstehen?

Schäden, die durch Fahrzeuge verursacht werden, die auch als Arbeitsmaschinen verwendet werden können, müssen nur dann von einer Kfz-Haftpflichtversicherung abgedeckt sein, wenn diese Fahrzeuge in erster Linie als Transportmittel verwendet werden. Der Umstand, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls steht oder sein Motor läuft oder nicht, schließt es für sich allein nicht aus, dass die Benutzung dieses Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt von seiner Funktion als Transportmittel umfasst sein kann.

EuGH 28.11.2017, C-514/16
Der Sachverhalt:
Die Ehefrau des Klägers verstarb infolge eines Unfalls in dem landwirtschaftlichen Betrieb, in dem sie beschäftigt war. Sie wurde von einem Traktor, der auf einem Feldweg des Betriebs mit laufendem Motor stand, um eine Pumpe zum Verspritzen eines Pflanzenschutzmittels zu betreiben, erdrückt, als er von einem Erdrutsch mitgerissen wurde, der u.a. durch sein Gewicht, die Erschütterungen seines Motors und der Pumpe sowie starken Regen verursacht wurde. Der Kläger begehrt mit seiner Klage, entweder die Eigentümer des Betriebs und die Eigentümer des Traktors als Gesamtschuldner oder aber die Haftpflichtversicherungsgesellschaft - sofern zur Deckung eines solchen Schadensfall verpflichtet - zum Ersatz des immateriellen Schadens aus dem Unfall zu verurteilen.

Die Erste Richtlinie über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (Richtlinie 72/166/EWG) sieht vor, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung zu decken ist. Das mit der Sache befasste Berufungsgericht in Portugal führt aus, dass der EuGH in einer Rechtssache, die ein Rückwärtsfahrmanöver eines landwirtschaftlichen Traktors betroffen habe (EuGH 4.9.2014, C-162/13), entschieden habe, dass der Begriff "Benutzung eines Fahrzeugs" jede Benutzung eines Fahrzeugs umfasse, die dessen gewöhnlicher Funktion entspreche. Das Gericht ist der Ansicht, dass nach den Umständen jener Rechtssache davon ausgegangen werden könne, dass die gewöhnliche Funktion eines Fahrzeugs darin bestehe, in Bewegung zu sein.

Der EuGH habe sich jedoch nicht zu der Frage geäußert, ob der Begriff "Benutzung eines Fahrzeugs" auch die Benutzung des Fahrzeugs als Maschine zur Erzeugung von Antriebskraft, aber ohne Bewegung des Fahrzeugs, umfasse. Das portugiesische Gericht fragt daher, ob es angesichts des Ziels des Schutzes der Geschädigten, das die Unionsregelung über die Pflichtversicherung verfolgt, wie auch der Notwendigkeit, eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen, gerechtfertigt ist, vom Anwendungsbereich des Begriffs "Benutzung eines Fahrzeugs" die Situation auszuschließen, in der ein im Stillstand befindliches Fahrzeug in seiner gewöhnlichen Funktion als Maschine zur Erzeugung von Antriebskraft, die zur Durchführung einer anderen Arbeit bestimmt ist, benutzt wird, obwohl eine solche Benutzung zu schweren, selbst tödlichen Unfällen führen kann.

Die Gründe:
Eine Situation, in der ein landwirtschaftlicher Traktor an einem Unfall beteiligt ist, seine Hauptfunktion zum Zeitpunkt des Unfalls jedoch nicht darin bestand, als Transportmittel zu dienen, sondern vielmehr darin, als Arbeitsmaschine die für den Betrieb einer Pumpe einer Spritzvorrichtung für Pflanzenschutzmittel erforderliche Antriebskraft zu erzeugen, ist nicht von dem Begriff "Benutzung eines Fahrzeugs" im Sinne der Richtlinie umfasst ist.

Die vorgelegte Frage beruht auf der Prämisse, dass der von der Eigentümerin des Traktors abgeschlossene Versicherungsvertrag allein die Haftpflicht im Zusammenhang mit der Benutzung dieses Traktors im Verkehr abdecken soll. Es ist daher zu prüfen, ob die Situation, die zum Tod der Frau des Klägers geführt hat, als Unfall im Zusammenhang mit der Benutzung des Traktors i.S.d. Richtlinie einzustufen ist oder nicht. Der Begriff "Benutzung eines Fahrzeugs" darf nicht dem Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten überlassen werden, sondern stellt einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar, der einheitlich auszulegen ist.

Der Umfang des Begriffs "Benutzung eines Fahrzeugs" ist nicht von den Merkmalen des Geländes abhängig, auf dem das Kfz benutzt wird. Vielmehr fällt jede Verwendung eines Fahrzeugs als Transportmittel unter diesen Begriff. Der Umstand, dass das an dem Unfall beteiligte Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls stand, schließt für sich allein nicht aus, dass die Benutzung dieses Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt unter seine Funktion als Transportmittel subsumiert werden kann und folglich vom Begriff "Benutzung eines Fahrzeugs" i.S.d. Richtlinie umfasst ist. Auch ob sein Motor zum Zeitpunkt des Unfalls lief oder nicht, ist hierfür nicht maßgeblich.

Bei Fahrzeugen, die außer ihrer gewöhnlichen Verwendung als Transportmittel unter bestimmten Umständen auch als Arbeitsmaschinen verwendet werden, gilt Folgendes: Wurde ein solches Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls, an dem es beteiligt war, in erster Linie als Transportmittel verwendet, ist diese Verwendung vom Begriff "Benutzung eines Fahrzeugs" i.S.d. Richtlinie umfasst. Wurde es hingegen als Arbeitsmaschine verwendet, wäre die betreffende Verwendung nicht von diesem Begriff umfasst.

Daraus ist zu schließen, dass unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falls die Verwendung des Traktors offenbar in erster Linie an seine Funktion als Arbeitsmaschine anknüpft (nämlich als Generator für die Antriebskraft, die erforderlich war, um die Pumpe der Spritzvorrichtung für das Pflanzenschutzmittel zu betreiben, mit der der Traktor versehen war, um das Pflanzenschutzmittel in dem Weinberg des landwirtschaftlichen Betriebs auszubringen), und nicht an seine Funktion als Transportmittel. Folglich fällt diese Verwendung nicht unter den Begriff "Benutzung eines Fahrzeugs" i.S.d. Richtlinie.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 124 vom 28.11.2017
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