03.11.2017

Musterverfahren nach dem KapMuG ist nicht interventionsfähig

Ist ein Zivilprozess wegen eines Musterverfahrens nach dem KapMuG ausgesetzt, können Dritte, die im ausgesetzten Rechtsstreit Nebenintervenienten sind, ihre Beteiligungsrechte auch im Musterverfahren wahrnehmen. Das Musterverfahren selbst ist nicht interventionsfähig. Ein nur auf diesen Abschnitt bezogener Beitritt oder bezogene Streitverkündung ist nicht statthaft; die Streitverkündungsschrift ist daher vom Gericht nicht zuzustellen.

BGH 19.9.2017, XI ZB 13/14
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem KapMuG über die Verletzung von Informationspflichten des Kapitalmarkts. In den ausgesetzten Ausgangsverfahren nehmen Anleger, die zwischen 2007 und dem 15.1.2008 Aktien der Musterbeklagten zu 1 erworben haben, die Musterbeklagte zu 1 und in einigen Fällen auch deren damaligen Vorstandsvorsitzenden (Musterbeklagter zu 2) und deren damaligen Finanzvorstand (Musterbeklagter zu 3) auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Musterbeklagte zu 1) verkündete in der ersten Instanz des Kapitalanleger-Musterverfahrens ehemaligen Vorstand- und Aufsichtsratsmitgliedern, u.a. auch den Musterbeklagten zu 2) und 3), den Streit. Das OLG stellte die Streitverkündungsschrift zu. Daraufhin traten einige Streitverkündungsempfänger dem Musterverfahren auf Seiten der Musterbeklagten zu 1) bei. Das OLG entschied sodann mit Musterentscheid vom 15.12.2014. Dagegen legten sowohl der Musterkläger und ein Beigeladener als auch die Musterbeklagten Rechtsbeschwerde ein. 129 weitere Beteiligte traten sodann dem Rechtsbeschwerdeverfahren auf Seiten des Musterklägers bei.

Der Prozessbevollmächtigte der Musterbeklagten zu 1)wollte im Rechtsbeschwerdeverfahren mit Streitverkündungsschrift vom 4.7.2017 erstmals Herrn H.T. den Streit verkünden. Er ersuchte, die Streitverkündungsschrift dem Streitverkündungsempfänger H.T. förmlich zuzustellen. Der BGH lehnte das Ersuchen ab.

Die Gründe:
Die Streitverkündungsschrift vom 4.7.2017 ist nicht zuzustellen. Das Musterverfahren nach dem KapMuG ist nicht interventionsfähig.

Grundsätzlich kann Dritten in den Ausgangsverfahren gem. § 72 Abs. 1 ZPO der Streit verkündet werden und der Streitverkündungsempfänger kann in dem Ausgangsverfahren gem. § 74 Abs. 1 ZPO beitreten. Dies gilt auch während das Ausgangsverfahren wegen des Musterverfahrens gem. § 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG ausgesetzt ist. Aber der Beitritt oder die Streitverkündung können eben nicht auf einen Abschnitt beschränkt werden.

Nach dem Beitritt hat der Dritte die Stellung eines Nebenintervenienten gem. § 74 Abs. 1 ZPO. Er kann im Musterverfahren, während der Aussetzung, seine Beteiligungsrechte gem. § 11 Abs. 1 S. 1 KapMuG i.V.m. § 67 Halbs. 2 ZPO und die Rechte der unterstützten Partei - soweit sie sich nicht zu dieser in Widerspruch setzen - wahrnehmen. Er kann jedoch den Streitgegenstand weder ändern noch über diesen verfügen. Den Nebenintervenienten darf zudem keine stärkere verfahrensrechtliche Position i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG als den Beigeladenen zukommen, die auch den Musterkläger unterstützen, aber Partei der Ausgangsverfahren sind. Im Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 20 KapMuG müssen sie daher entweder Rechtsbeschwerde für den unterstützen Beteiligten einlegen, für diesen der Rechtsbeschwerde eines anderen Beteiligten beitreten oder sich der Rechtsbeschwerde der unterstützten Partei anschließen.

Zudem sind die Vorschriften §§ 66 ff. ZPO nicht analog anwendbar. Das Musterverfahren ist nicht interventionsfähig. Denn mit dem Musterverfahren nach dem KapMuG wird kein bestimmter Rechtsstreit geführt, sondern es wird lediglich über ein Muster von Rechtsfragen und Tatsachen mit Bindungswirkung für alle ausgesetzten Verfahren entschieden. Nebenintervention und Streitverkündung können nicht auf einen bestimmten zeitlichen Abschnitt beschränkt werden. Rechtsstreit i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO und § 72 Abs. 1 ZPO ist daher allein das ausgesetzte Ausgangsverfahren. Da die Streitverkündung im Streitfall unstatthaft ist, ist sie vom Gericht nicht gem. § 73 S. 2 ZPO zuzustellen. Durch die Einführung des § 72 Abs. 1 ZPO und der vormaligen BGH-Rechtsprechung kommt zum Ausdruck, dass die Zustellung einer unstatthaften Streitverkündung aufgrund eines nicht interventionsfähigen Verfahrens vom Gericht bereits zu verweigern ist. Das Gericht hat vor Zustellung zu prüfen, ob die Vorschriften der § 66 ff. ZPO überhaupt anwendbar sind. Ob der Rechtsstreit seiner Art nach interventionsfähig ist, steht nicht zur Disposition der Parteien.

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