10.07.2023

Nachhaltigkeit im Finanzsektor: Sustainable-Finance-Strategie der BaFin

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat sich zu ihrer Rolle als Aufsichtsbehörde bei der Berücksichtigung von Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen durch die Akteure des Finanzsektors geäußert.

Klimawandel und Umwelt, soziale Fragen und eine gute Unternehmensführung: Diese Themen haben auch für die Akteure des Finanzsektors eine hohe Bedeutung. Sie werden häufig unter dem Begriff ESG (Environmental, Social, Governance) zusammengefasst. Beaufsichtigte Unternehmen brauchen auch für die daraus resultierenden Risiken ein angemessenes Risikomanagement. Marktteilnehmer müssen unterschiedliche Transparenz- und Vertriebspflichten erfüllen.

Die entsprechende Regulierung zum Thema Nachhaltigkeit hat sich in den vergangenen Jahren sehr dynamisch entwickelt. Nicht zuletzt berücksichtigen Anlegerinnen und Anleger zunehmend ESG-Kriterien in ihren Investitionsentscheidungen oder wollen mit ihren Anlagen eine entsprechende Nachhaltigkeitswirkung erzielen.

Die Rolle der BaFin als Aufsichtsbehörde

Für die Transformation zu einer klimaneutralen und insgesamt nachhaltigeren Wirtschaft ist es erforderlich, Kapital zielgerichtet einzusetzen. Auf europäischer und nationaler Ebene gibt es verschiedene Sustainable-Finance-Initiativen. Diese zielen insbesondere darauf ab, private Gelder in nachhaltigere Wirtschaftsaktivitäten zu lenken. Nur in einem funktionsfähigen, stabilen Finanzsystem kann ausreichend Kapital in nachhaltige Investitionen fließen. Und nur dann ist eine effiziente Transition der Realwirtschaft möglich. Die BaFin sorgt für ein stabiles und integres Finanzsystem.

Außerdem sollen Anlegerinnen und Anleger Investitionsentscheidungen treffen können, die ihren Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechen. Dafür benötigen sie vollständige und verständliche Informationen. Sie müssen vor Irreführung geschützt und gemäß den gesetzlichen Vorgaben beraten werden. Die BaFin setzt sich für Transparenz ein. Sie will so erreichen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eigenverantwortliche und gut informierte Entscheidungen treffen können.

Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Aufsicht ist ein Mittelfristziel der BaFin. Es ist damit einer von insgesamt zehn Schwerpunkten, die sich die Behörde für die nächsten Jahre gesetzt hat. Ihre Aktivitäten basieren auf folgendem Rollenverständnis:
  • Nachhaltigkeit ist grundsätzlich im Sinne von Environmental, Social und Governance (ESG)-Aspekten zu verstehen. Der Schwerpunkt der BaFin-Aufsicht liegt derzeit aufgrund des Regulierungsstands und der verfügbaren Daten auf der Dimension "Environmental" und hier insbesondere auf dem Klimawandel.
  • Die BaFin behandelt ESG-Risiken als Teil ihrer regulären Aufsicht über Unternehmen der Finanzbranche.
  • Die BaFin verfolgt keine eigenen umwelt-, sozial- oder wirtschaftspolitischen Ziele oder lenkt Finanzflüsse. Es ist Aufgabe der Politik zu entscheiden, ob und wie sie Finanzflüsse effizient steuert.
  • Die BaFin legt nicht selbst Bewertungskriterien für die ESG-Wirksamkeit von Anlagestrategien oder Finanzprodukten fest. Im Rahmen ihres Mandates beaufsichtigt sie die Umsetzung der ESG-Transparenzpflichten durch Unternehmen und bei Finanzprodukten. Diese legt der Gesetzgeber fest.


Handlungsschwerpunkte der BaFin

Die BaFin konzentriert sich derzeit auf folgende Schwerpunkte:

1. Risikoorientierte und praxistaugliche Regulierung

Als integrierte Finanzaufsichtsbehörde bringt die BaFin konstruktiv ihre fachliche Expertise in gesetzgeberische Vorhaben ein. Sie verfolgt dabei drei Prinzipien:

  • Aufsichtsrecht soll ausschließlich den Zielen der Solvenz-, Verhaltens- und Marktaufsicht dienen. Dies betrifft insbesondere prudenzielle Anforderungen, die die Institute erfüllen müssen. Das sind Mindestkapitalanforderungen (Säule 1) und zusätzliche Kapitalanforderungen (Säule 2). Die BaFin lehnt hier insbesondere unterstützende oder benachteiligende Faktoren (supporting factors, penalising factors) ab, da diese zu nicht-risikokonsistenten Kapitalanforderungen führen.
  • Bei der Weiterentwicklung des regulatorischen Rahmens setzt sich die BaFin als integrierte Finanzaufsichtsbehörde für Konsistenz zwischen den verschiedenen Finanzmarktsektoren, für angemessene Proportionalität und für Praxistauglichkeit ein.
  • Die BaFin begleitet konstruktiv die Implementierung von neuer Regulierung und setzt sich für Rechtssicherheit bei der Auslegung ein.


2. Zuverlässigere Daten zu finanziellen Klimarisiken

Beaufsichtigte Unternehmen können Transitions- und physische Risiken in der eigenen Bilanz oder bei ihren Finanzinstrumenten bzw. Finanzdienstleistungen nur effektiv steuern, wenn sie auf verlässliche Daten von Unternehmen in allen Wirtschaftssektoren zurückgreifen können.

Über die nächsten Jahre wird sich die Informationslage sukzessive verbessern. Grund sind umfassendere Offenlegungsanforderungen auf Unternehmensebene. Dazu zählen insbesondere die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die konkretisierenden European Sustainability Reporting Standards (ESRS).

Hinzu kommen spezifische Offenlegungspflichten für beaufsichtigte Unternehmen.

Im Einzelnen bedeutet dies für die Aufsichtspraxis:

  • Die BaFin prüft risikoorientiert, wie die beaufsichtigten Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsrisiken offenlegen und über ihre Umweltrisiken informieren.
  • Die BaFin überwacht im Rahmen der Bilanzkontrolle die Offenlegung der Unternehmen nach der CSRD und baut entsprechende Kapazitäten im Enforcement auf.


3. Angemessenes Management von umweltbezogenen finanziellen Risiken

Die BaFin behandelt finanzielle Klimarisiken nicht als neue Risikoart, sondern entlang der etablierten Risikokategorien (Kredit-, Markt-, Liquiditäts-, operationelle inkl. Haftungs- bzw. Reputationsrisiken, versicherungstechnische Risiken, strategische Risiken). Bei den finanziellen Klimarisiken existieren jedoch spezifische Herausforderungen für das Risikomanagement: Es ist teilweise noch unklar, wie sich Nachhaltigkeitsrisiken in etablierte (vor allem finanzielle) Risikokategorien des Aufsichtsrechts übertragen lassen. Außerdem sind wesentliche Variablen zum Teil mit hohen Unsicherheiten behaftet. Das führt vor allem bei einem langfristigen Betrachtungshorizont zu einem breiten Spektrum an Szenarien.

Die BaFin berücksichtigt diese Besonderheiten. Sie fördert verschiedene methodische Ansätze und deren Weiterentwicklung.

Die Position der BaFin beinhaltet im Einzelnen:

  • Die Aufsichtsschwerpunkte und -aktivitäten der BaFin sind proportional und risikoorientiert. Die bereits bestehenden Aufsichtsinstrumente können genutzt werden.
  • Umweltrisiken sind Risikotreiber mit besonderen Eigenschaften. Die beaufsichtigten Unternehmen sollten daher kontinuierlich daran arbeiten, Umweltrisiken besser zu erkennen, zu messen und zu managen. Dabei sollten sie berücksichtigen, dass relevante Daten zunehmend besser verfügbar sind und ihre Qualität steigt.
  • Sensitivitäts- bzw. Szenario-Analysen - sowohl top-down als auch bottom-up - schärfen vor allem das Bewusstsein für spezifische Verwundbarkeiten und Konzentrationsrisiken. Mit solchen Analysen können die beaufsichtigten Unternehmen eine strategische Antwort auf mittel- bis langfristige Herausforderungen formulieren, ihr Risikomanagement verbessern sowie Datenlücken identifizieren und schließen.
  • Die BaFin setzt sich risikoorientiert mit Transitionsplänen von beaufsichtigten Unternehmen auseinander. Sie geht dabei nicht über ihr Aufsichtsmandat hinaus.


4. Prävention und Bekämpfung von Greenwashing insbesondere durch verlässliche Informationen für Anlegerinnen und Anleger

Greenwashing beschreibt eine Praxis, bei der nachhaltigkeitsbezogene Informationen das Nachhaltigkeitsprofil eines Unternehmens, eines Finanzprodukts oder einer Finanzdienst-leistung nicht eindeutig und redlich widerspiegeln. So können Kundinnen und Kunden in die Irre geführt werden. Marktstatistiken zeigen, dass Anlegerinnen und Anleger verstärkt Interesse daran haben, mit ihren Investitionsentscheidungen neben finanzieller Rendite auch eine positive ESG-Wirkung zu erzielen. Greenwashing kann das Vertrauen in einen funktionierenden Markt für nachhaltige Investitionen untergraben.

Durch mehr Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit sollen Anlegerinnen und Anleger zu Investitionsentscheidungen befähigt werden, die ihren Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechen. Hierfür sind nützliche, redliche und nicht irreführende Informationen entscheidend. Auf Produkt- und auch auf Unternehmensebene gibt es spezifische Offenlegungs- und Berichtspflichten, die Transparenz in Fragen der Nachhaltigkeit fördern sollen, wie etwa die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), die CSRD oder - perspektivisch - die EU-Green Bond-Verordnung.

Es ist wichtig, dass sich die Marktteilnehmer bereits bei der Produktentwicklung mit den nachhaltigkeitsbezogenen Eigenschaften ihrer Produkte bzw. den Nachhaltigkeitszielen des adressierten Zielmarkts, also der potentiellen Kundinnen und Kunden, angemessen auseinandersetzen. Bei der Beratung sind die Nachhaltigkeitspräferenzen der Anlegerinnen und Anleger zu berücksichtigen.

Die BaFin nimmt im Einzelnen folgende Positionen ein:

  • Greenwashing wird in der öffentlichen Diskussion unterschiedlich verstanden. Unumstritten betrifft es Praktiken im Vertrieb von Produkten bzw. bei Finanzdienstleistungen. Und zwar dann, wenn beaufsichtigte Unternehmen das Nachhaltigkeitsprofil nicht eindeutig und redlich offenlegen. Anlegerinnen und Anleger werden damit potentiell in die Irre geführt, dass ihre Anlagen nicht die von ihnen gewünschte ESG-Wirkung entfalten. Teilweise wird Greenwashing auch weitergehend darauf bezogen, dass beaufsichtigte Unternehmen das Ausmaß von Transition und physische Risiken unterschätzen bzw. den Umgang damit im Risikomanagement nicht transparent darstellen. In beiden Fallkonstellationen hat die Aufsicht eine Rolle zu spielen.
  • Die BaFin schöpft ihr Instrumentarium aus, um Greenwashing zu verhindern: In der Produkt- und Marktaufsicht prüft die BaFin die Einhaltung von Transparenz- und Offenlegungspflichten zur ESG-Wirkung (v.a. SFDR und Artikel 5 bis 7 Taxonomie-Verordnung). Bei der Wohlverhaltensaufsicht schaut die BaFin insbesondere auf die Umsetzung der Vertriebsvorgaben nach den Delegierten Verordnungen zur Insurance Distribution Directive (IDD) bzw. zur MiFiD II, der zweiten europäischen Finanzmarktrichtlinie. Die Bilanzkontrolle der BaFin wird die Einhaltung der CSRD-Transparenzpflichten überwachen. Das angemessene Management von Transitions- und physischen Risiken und die diesbezügliche transparente Offenlegung adressiert die BaFin im Rahmen der Solvenzaufsicht (Säulen 1 und 2 in den Regelwerken für Banken- und Versicherer).
  • Bei regulatorischen Weiterentwicklungen setzt sich die BaFin für verständlichere und aussagekräftigere Informationen für Anlegerinnen und Anleger ein.
    Die BaFin überwacht die Einhaltung der SFDR.


5. Generieren und Teilen von Wissen im offenen Dialog

Hohe Dynamik, breites Themenspektrum, enorme Detailtiefe - diese Eigenschaften machen das Thema Sustainable Finance überaus komplex. Dies zeigt sich derzeit insbesondere in der Regulierung. Es ist daher sinnvoll, Wissen und Erfahrungen mit relevanten Stakeholdern auszutauschen. So ist es auch möglich, sich stufenweise neuen Ansätzen und Lösungen zu nähern. Der offene Austausch mit Expertinnen und Experten hat deswegen einen großen Stellenwert für die BaFin. Es gilt daher:

  • Die BaFin erläutert ihr Mandat und dessen Grenzen. Sie pflegt einen intensiven und offenen Dialog mit allen Stakeholdern und bietet Formate, um Wissen zu gewinnen und miteinander zu teilen.
  • Die BaFin gestaltet die Arbeiten in den europäischen Institutionen und auf internationaler Ebene mit. Sie tauscht sich auch bilateral mit anderen Aufsichtsbehörden aus. Im Rahmen ihrer technischen Unterstützung zum Aufbau oder der Weiterentwicklung ausländischer Aufsichtssysteme setzt sie einen Schwerpunkt auf ESG-Themen.
  • Die BaFin hat eine Beobachterrolle im Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung. Sie bringt sich beim Bundesfinanzministerium und anderen federführenden Stellen in ESG-Diskussionen ein.


Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Berücksichtigung von ESG-Risiken im Rahmen der Kreditvergabe- und -überwachungsprozesse von Finanzinstituten
Stefanie Gadow / Ullrich Hartmann / Dieter Lienland / Benjamin Bruhn, DB 2023, 564

Aufsatz:
Was bringt"s? Der Effekt einer positiven ESG-Darstellung bei der klassischen Bankfinanzierung
Mario Englert / Paul Glang / Matthias Mahlendorf, DB 2023, 337

Aufsatz:
Nachhaltigkeitskriterien in der Mittelstandsfinanzierung deutscher Sparkassen
Gabor Stein / Bernd Heitzer, CF 2022, 306

Aufsatz:
ESG-Pflichten für Finanzanlagenvermittler und Honorar-Finanzanlagenberater
Detmar Loff / Cornelius Hille / Tobias Bauerfeind, ESGZ 2023, 44

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