12.07.2012

Nationales Recht muss bei Möglichkeit einer Umwandlung für inländische Gesellschaften diese auch für Gesellschaften aus einem Mitgliedstaat vorsehen

Sieht ein Mitgliedstaat (hier: Ungarn) für inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung vor, muss er diese Möglichkeit auch einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft einräumen. Eine nationale Regelung, die nur die Umwandlung einer inländischen Gesellschaft vorsieht, ist geeignet, Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten davon abzuhalten, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, und stellt eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Ausübung dieser Freiheit dar.

EuGH 12.7.2012, C-378/10
Der Sachverhalt:
Die italienische Gesellschaft Vale Construzioni Srl wurde 2000 gegründet und in das Handelsregister von Rom eingetragen. Im Februar 2006 beantragte diese Gesellschaft ihre Löschung im Handelsregister, da sie beabsichtigte, ihren Sitz und ihre Tätigkeit nach Ungarn zu verlegen und ihre Tätigkeit in Italien einzustellen. Im gleichen Monat wurde die Gesellschaft im italienischen Handelsregister gelöscht und dort Folgendes vermerkt: "Die Gesellschaft hat ihren Sitz nach Ungarn verlegt." Im Anschluss an diese Löschung gründeten der Geschäftsführer der Gesellschaft Vale Construzioni und eine weitere natürliche Person die Gesellschaft Vale Építési Kft.

Deren Vertreter beantragte bei einem ungarischen Registergericht ihre Eintragung in das ungarische Handelsregister unter Nennung der Gesellschaft Vale Construzioni als Rechtsvorgängerin der Gesellschaft Vale Építési Kft. Dieser Antrag wurde vom Registergericht jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine in Italien gegründete und eingetragene Gesellschaft ihren Gesellschaftssitz nicht nach Ungarn verlegen und nicht als Rechtsvorgängerin einer ungarischen Gesellschaft in das ungarische Handelsregister eingetragen werden könne.

Der für die Entscheidung über den Eintragungsantrag der Gesellschaft Vale Építési Kft zuständige Oberste Gerichtshof in Ungarn fragt den EuGH, ob die ungarische Regelung, die ungarischen Gesellschaften die Umwandlung gestattet, aber Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten die Umwandlung in eine ungarische Gesellschaft verbietet, mit dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. In diesem Zusammenhang möchte das ungarische Gericht wissen, ob sich ein Mitgliedstaat bei der Eintragung einer Gesellschaft im Handelsregister weigern darf, die aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Rechtsvorgängerin dieser Gesellschaft einzutragen.

Die Gründe:
Die in Rede stehende ungarische Regelung begründet dadurch, dass sie nur die Umwandlung einer Gesellschaft vorsieht, die ihren Sitz schon in Ungarn hat, eine unterschiedliche Behandlung von in- und ausländischen Gesellschaften. Da eine derartige unterschiedliche Behandlung geeignet ist, Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten davon abzuhalten, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, stellt sie eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Ausübung dieser Freiheit dar.

Gesellschaften existieren in Ermangelung einer einheitlichen unionsrechtlichen Definition allerdings nur vermittels der nationalen Rechtsvorschriften, die für ihre Gründung und ihre Funktionsweise maßgebend sind. Insoweit ist die Anwendung von Bestimmungen des nationalen Rechts über innerstaatliche Umwandlungen, die - wie die Anforderungen an die Erstellung einer Bilanz und eines Vermögensverzeichnisses - die Gründung und die Funktionsweise einer Gesellschaft regeln, durch Ungarn grundsätzlich nicht zu beanstanden.

Verlangt ein Mitgliedstaat im Rahmen einer innerstaatlichen Umwandlung eine strikte rechtliche und wirtschaftliche Kontinuität zwischen der Vorgängergesellschaft, die die Umwandlung begehrt, und der umgewandelten Nachfolgergesellschaft, so kann ein solches Erfordernis auch im Rahmen einer grenzüberschreitenden Umwandlung auferlegt werden. Allerdings steht das Unionsrecht einer Weigerung der Behörden eines Mitgliedstaats entgegen, bei einer grenzüberschreitenden Umwandlung im Handelsregister die Gesellschaft des Herkunftsmitgliedstaats als Rechtsvorgängerin der umgewandelten Gesellschaft einzutragen, wenn bei innerstaatlichen Umwandlungen eine solche Eintragung der Vorgängergesellschaft vorgenommen wird.

Die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, die mit der Prüfung eines Eintragungsantrags einer Gesellschaft befasst sind, müssen daher den von den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats ausgestellten Dokumenten Rechnung tragen, die bestätigen, dass diese Gesellschaft im Zeitpunkt der Einstellung ihrer Tätigkeit im Herkunftsmitgliedstaat dessen nationalen Rechtsvorschriften tatsächlich entsprochen hat.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 98 vom 12.7.2012
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