Netzkostenbefreiung für Unternehmen ist nichtig
OLG Düsseldorf 6.3.2013, VI-3 Kart 14/12 [V] u.a.Seit dem 4.8.2011 ist der geänderte § 19 Abs. 2 Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) in Kraft, wonach stromintensive Unternehmen von der Zahlung der Strom-Netzentgelte befreit werden können. Bis zu der Änderung konnten stromintensive Unternehmen mit ihrem Netzbetreiber nur ein individuelles, bis auf 20 Prozent reduziertes Netzentgelt vereinbaren, das die Regulierungsbehörde genehmigen konnte. Der Umfang der Reduzierung musste dem netzkostensenkenden Nutzungsverhalten des stromintensiven Letztverbrauchers angemessen Rechnung tragen.
Seit der Änderung können sich Unternehmen grundsätzlich von den Netzentgelten befreien lassen, wenn sie mehr als 7.000 Arbeitsstunden und 10 Gigawattstunden Strom pro Jahr abnehmen. Die für die Netzbetreiber entstehenden Einnahmeausfälle werden ab dem Jahr 2012 dadurch ausgeglichen, dass die an sich von den stromintensiven Betrieben zu zahlenden Netzentgelte auf die übrigen Endkunden, Verbraucher und Unternehmen, umgelegt werden.
Der Sachverhalt:
Die Kläger, fünf regionale und überregionale Netzbetreiber, halten die Bestimmung des § 19 Abs. 2 StromNEV und die aufgrund der Verordnung erlassenen Ausführungsbestimmungen der Bundesnetzagentur für rechtswidrig. Es fehle an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für die Befreiung. Ferner verstoße die Ausnahmeregelung für stromintensive Unternehmen gegen europäisches Recht (unerlaubte Beihilfe). Auch sei eine vollständige Befreiung von den Netzentgelten nicht sachgerecht. Es werde der Wettbewerb verfälscht, weil Unternehmen, die unterhalb der Stromverbrauchs-Schwellenwerte lägen, nicht befreit werden könnten.
Die Bundesnetzagentur verweist hingegen darauf, dass die in der StromNEV vorgesehene Befreiung von der Ermächtigung gedeckt sei. Die Bestimmung sei im Hinblick auf die "Energiewende" sinnvoll und energieintensive Betriebe wirkten aufgrund ihres hohen Verbrauchs netzstabilisierend. Für das Jahr 2011 sei ein anderer Abrechnungsmodus erforderlich gewesen sei, weil es sonst zu nicht überwindbaren Abrechnungsproblemen gekommen wäre.
Das OLG gab den Klagen statt. Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Gegen die Beschlüsse kann jeweils Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt werden.
Die Gründe:
Die Befreiung stromintensiver Unternehmen von den Netzkosten ist nichtig. Die aufgrund dieser Verordnung erlassenen Ausführungsbestimmungen der Bundesnetzagentur waren aufzuheben.
Im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) ist keine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Befreiung von den Netzentgelten zu sehen. So erlaubt das EnWG in der derzeit geltenden Fassung nur, durch eine Verordnung die Methode zur Berechnung der Entgelte, das "wie", festzulegen, nicht aber eine vollständige Befreiung von den Netzentgelten, das "ob", durch eine Verordnung zu bestimmen.
Außerdem ist die vollständige Netzbefreiung für stromintensive Unternehmen schon nicht formell ordnungsgemäß zustande gekommen, weil die Änderung der Verordnung durch den Bundestag mit einem nicht mit der Regelung in Zusammenhang stehenden Gesetz verabschiedet worden ist. Im Übrigen ist eine vollständige Befreiung von den Netzentgelten aus Gleichheitsgründen nicht zulässig. Auch europarechtlich ist eine nichtdiskriminierende und kostenbezogene Regelung der Netzentgelte geboten.