Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers kann Beweislastumkehr zugunsten des Kunden zur Folge haben
BGH 13.11.2014, III ZR 544/13Die Kläger nehmen die Beklagten unter dem Vorwurf der Verletzung von Hinweis- und Beratungspflichten im Zusammenhang mit der Kündigung eines bestehenden und dem Abschluss eines neuen Lebensversicherungsvertrags auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagten sind selbständige Versicherungsvertreter und als solche für die D. V. AG tätig. Die Beklagte zu 1) überprüfte Anfang des Jahres 2011 den für die Kläger bestehenden Versicherungsschutz. Anschließend kündigten die Kläger ihre mit der Versicherung abgeschlossenen Versicherungsverträge, hierunter auch eine seit dem 1.11.2004 bestehende und bis zum 1.11.2034 laufende kapitalbildende Lebensversicherung; das diesbezügliche Kündigungsschreiben war von der Beklagten zu 1) aufgesetzt worden.
Stattdessen schlossen die Kläger über die D. V. AG neue Versicherungen einschließlich einer Lebensversicherung bei der A. M. Versicherung ab. Nachdem die Kläger zu der Einschätzung gelangt waren, dass die neuen Versicherungen für sie ungünstiger seien als die alten, widerriefen sie die Verträge mit der A. M. Versicherung mit der Begründung, sie seien falsch beraten worden. Die Kläger schlossen dann neue Versicherungsverträge mit der Versicherung ab, nachdem der Versuch gescheitert war, den alten Lebensversicherungsvertrag aus dem Jahre 2004 wieder in Kraft zu setzen. Die Kläger machen geltend, die Beklagten hätten sie fehlerhaft beraten, indem sie nicht auf die Nachteile einer Kündigung der bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hingewiesen hätten, nämlich den zwischenzeitlichen Wegfall der Steuerfreiheit, das höhere Eintrittsalter mit höheren Prämien, den erneuten Anfall von Abschlusskosten und einen geringeren Garantiezins.
Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagten hätten eine ordnungsgemäße Beratung zu beweisen. Der ihnen, den Klägern, entstandene Schaden, bemesse sich nach der Differenz der Kosten und Erträge der alten und der neuen Lebensversicherung. Die Beklagten bestreiten ihre Passivlegitimation und behaupten, die Kläger hätten die alte Lebensversicherung unbedingt beenden wollen; die Beklagten hätten die Kläger auf die Folgen einer Kündigung der alten Lebensversicherung hingewiesen und ihnen geraten, diese ruhend (beitragsfrei) zu stellen.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat erhebliches Vorbringen der Kläger nicht beachtet und in rechtlicher Hinsicht übersehen, dass sich aus einer Verletzung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvertreters nach §§ 61, 62 VVG Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr ergeben können.
Gem. § 61 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben und dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren. Bei einer Kapitallebensversicherung handelt es sich regelmäßig - so auch hier - um einen komplizierten und damit auch besonders beratungsbedürftigen Versicherungsvertrag. Der Versicherungsvermittler (hier: Versicherungsvertreter) muss seinen Kunden insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hinweisen.
Sollten die Beklagten die Kläger nicht auf die negativen Folgen einer Kündigung der alten - für die Kläger günstigen - Kapitallebensversicherung hingewiesen haben, so hätten sie ihre Beratungspflicht verletzt. Die Auffassung des OLG, die Kläger seien für den von ihnen geltend gemachten Beratungsfehler beweisfällig geblieben, ist allerdings von Rechtsfehlern beeinflusst. Im Ansatz zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass grundsätzlich der den Schadensersatz begehrende Kunde (Versicherungsnehmer) darlegen und beweisen muss, dass der Versicherungsvermittler seine Beratungspflicht verletzt hat, wobei den Versicherungsvermittler eine sekundäre Darlegungslast trifft. Das OLG hat jedoch verkannt, dass sich die Kläger u.a. auch darauf berufen haben, dass die Beklagten die Beratung nicht dokumentiert hätten, und dass sich hieraus Folgen für die Beweislastverteilung ergeben können.
Die Kläger haben unwidersprochen vorgetragen, dass es kein Protokoll und keine Auflistung über alle wesentlichen leistungs- und beitragsrelevanten Unterschiede der bestehenden und der angebotenen Versicherung gebe, und geltend gemacht, dass hieraus die Beweisbelastung der Beklagten folge. Dieses - unstreitige - Vorbringen, das in der Sache dahin geht, dass es an einer Dokumentation über die Beratung durch die Beklagten fehle, hat das OLG - obschon entscheidungserheblich - nicht berücksichtigt. Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers nach § 61 Abs. 1 S. 2, § 62 VVG kann Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr nach sich ziehen. Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung - wie er auch hier in Rede steht - nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, so ist zugunsten des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass der betreffende Hinweis nicht erteilt worden ist, der Versicherungsvermittler mithin pflichtwidrig gehandelt hat.
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