07.08.2023

Orphan Drug: Verletzung des Rechts auf Marktexklusivität für seltene Leiden

Der Verordnungsgeber wollte mit dem Marktexklusivitätsrecht eine über die bloße Zulassungssituation hinausgehende Rechtsposition schaffen. Das Marktexklusivitätsrecht ist nach der Verordnung der maßgebliche Anreiz für Investitionen im Bereich der orphan drugs. Das kann nur gelingen, wenn (über die regulatorische Zulassungssituation hinaus) dem Inhaber die Möglichkeit gegeben wird, individuell gegen Umgehungen seines Rechts vorzugehen.

LG München I v. 4.8.2023, 21 O 6235/23
Der Sachverhalt:
Die Unternehmensgruppe der Verfügungsklägerin vertreibt ein Medikament, das für vier seltene Krankheiten zugelassen ist: die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie ("PNH"), das atypische Hämolytisch-Urämische Syndrom ("aHUS"), die refraktäre generalisierte Myasthenia Gravis ("gMG"), und Neuromyelitis-Optica-Spektrum-Erkrankungen ("NMOSD"). Für drei der Krankheiten, nämlich aHUS, gMG und NMOSD hält sie neben der Marktzulassung auch Exklusivitätsrechte für seltene Leiden gemäß der Verordnung (EG) 141/2000. Für die Krankheit PNH ist das Marktexklusivitätsrecht bereits abgelaufen.

Die Unternehmensgruppe der Verfügungsbeklagten hat für ihr Medikament, ein sog. Biosimilar zu dem Referenzprodukt der Klägerin, die Zulassung für die Indikation PNH erlangt und es auf den deutschen Markt gebracht. Sie wurden im einstweiligen Rechtsschutz zur Unterlassung des Vertriebs ihres Medikaments für seltene Leiden ohne bestimmte, im Einzelnen im Tenor benannte begleitende Maßnahmen zum Schutz des Orphan Drug-Marktexklusivitätsrechts der Verfügungsklägerin verurteilt. Nach Erlass der Beschlussverfügung wurde das Medikament wieder vom Markt genommen.

Die Erhebung der Hauptsacheklage ist angeordnet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Zur Überzeugung der Kammer liegen die Voraussetzung für die Gewährung einer Unterlassungsverfügung vor.

Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass die Orphan-Drugs-Verordnung nur ein (öffentlich-rechtliches) Zulassungsverbot ausspreche, aus dem sich kein zivilrechtlicher Verbotsanspruch gegen Wettbewerber herleiten lasse. Gleichwohl war ein zivilrechtlicher Verbotsanspruch zu bejahen. Das Marktexklusivitätsrecht der Verordnung 141/2000/EG für orphan drugs ist ein absolutes, subjektives Recht. Inhalt des vom Verordnungsgeber gewährten Marktexklusivitätsrechts ist es jedenfalls auch, gegenüber Wettbewerbern Schutz vor Beeinträchtigungen oder Verletzungen der gewährten Marktexklusivität für orphan drugs zu gewähren.

Der Verordnungsgeber wollte mit dem Marktexklusivitätsrecht eine über die bloße Zulassungssituation hinausgehende Rechtsposition schaffen. Das Marktexklusivitätsrecht ist nach der Verordnung der maßgebliche Anreiz für Investitionen im Bereich der orphan drugs. Das kann nur gelingen, wenn (über die regulatorische Zulassungssituation hinaus) dem Inhaber die Möglichkeit gegeben wird, individuell gegen Umgehungen seines Rechts vorzugehen.

Die Verfügungsbeklagten haben als sog. mittelbare Handlungsstörer durch Empfehlungsschreiben einen adäquat-kausalen Beitrag für eine indikationsübergreifende Verwendung ihres Medikaments auch in den drei für die Unternehmensgruppe der Klägerin geschützten Indikationen gesetzt. Die von der Verfügungsklägerin glaubhaft gemachte Begehungsgefahr haben die Verfügungsbeklagten bis zum maßgeblichen Schluss der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt. Rechtsfolge ist die Anordnung, das angegriffene Medikament nicht ohne bestimmte, im Tenor benannte Schutzmaßnahmen zu vertreiben.

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LG München I PM v. 4.8.2023
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