20.09.2018

Parteivortrag muss auch bei Widerspruch zu ausdrücklich aufgegebenem früherem Vortrag berücksichtigt werden

Im Prozessrecht findet sich keine Grundlage, Parteivortrag nur deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil er im Widerspruch zu vorangegangenem, ausdrücklich aufgegebenem Vortrag steht. Im Gegenteil ist eine Partei nicht daran gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen; eine Vortragsänderung kann nur bei der Beweiswürdigung Bedeutung erlangen.

BGH 24.7.2018, VI ZR 599/16
Der Sachverhalt:

Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage. Der Beklagte war Vorstand der P. & Z. AG (Emittentin). Diese finanzierte sich ausschließlich über Anleihen und Genussrechte. Hierzu gab sie im Oktober 2005 Genussscheine für insgesamt 19,55 Mio. € heraus. Sie erstellte hierfür einen Prospekt. Den Vertrieb der Genussscheine übernahm u.a. die A-AG. Im Jahr 2008 stellte die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung DPR e.V. im Rahmen einer Stichprobenprüfung Fehler in dem Jahresabschluss der Emittentin zum Abschlussstichtag 31.12.2004, im Lagebericht für das Geschäftsjahr 2004 und im Jahresabschluss zum Abschlussstichtag 31.5.005 fest.

Den Feststellungen des DPR zufolge enthielten die vorstehend genannten Dokumente jeweils falsche Angaben zu dem Finanzanlagevermögen, den Forderungen, den Haftungsverhältnissen und zur Zukunftsprognose der Emittentin. Im September 2008 ordnete die BaFin die Veröffentlichung der festgestellten Fehler an. Im März 2011 wurde über das Vermögen der Emittentin das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Kläger erwarben in der Zeit vom 30.11.2006 bis 12.11.2007 über die A-AG Genussscheine der Emittentin im Nominalwert von 100.500 € zu einem Gesamtpreis von rd. 98.500 €. Mit der - näher ausgeführten - Behauptung, der Erwerb der Genussscheine beruhe auf den dem Beklagten bekannten Fehlern in den Jahresabschlüssen 2004 und 2005 sowie im Lagebericht 2004 und dem entsprechend fehlerhaften Prospekt, nehmen sie den Beklagten auf Ersatz der für den Erwerb der Genussscheine aufgewendeten Kosten abzgl. erzielter Erträge Zug-um-Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus den Genussscheinen, auf entgangene Erträge einer Alternativanlage und auf vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Anspruch. Zudem verlangen sie die Feststellung, dass sich der Beklagte mit der Gegenleistung im Annahmeverzug befindet.

Das LG wies die Klage ab. Das KG wies die Berufung der Kläger mit Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hob der BGH den Beschluss des KG auf und verwies die Rechtsache zur Verhandlung und neuen Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das KG die Kläger mit diesen Ausführungen in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat. Es hat Parteivortrag der Kläger nicht berücksichtigt, ohne dass sich hierfür eine Grundlage im Prozessrecht findet.

Mit Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde zunächst als Gehörsverstoß, dass das KG den Vortrag der Kläger, die Genussscheine seien von Mitarbeitern der A-AG ohne Rücksprache mit den Klägern für die Kläger erworben worden, deshalb für unerheblich hält, weil die Kläger "in erster Instanz auch vorgetragen" hätten, der Erwerb der Genussscheine sei aufgrund einer vorherigen Beratung durch die A-AG erfolgt. Zutreffend ist, dass die Kläger in erster Instanz zunächst vorgetragen hatten, sie hätten die streitgegenständlichen Genussscheine nach entsprechender, auf der Grundlage des Prospekts erfolgter Beratung erworben. Sie sind von diesem Vortrag allerdings noch in erster Instanz abgerückt.

Im Prozessrecht findet sich keine Grundlage, Parteivortrag nur deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil er im Widerspruch zu vorangegangenem, ausdrücklich aufgegebenem Vortrag steht. Im Gegenteil ist eine Partei nicht daran gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen; eine Vortragsänderung kann nur bei der Beweiswürdigung Bedeutung erlangen.

Weiter hat das KG die Kläger in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch dadurch verletzt, dass es den dargestellten Vortrag im angefochtenen Beschluss nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zurückgewiesen hat. Diese Zurückweisung findet in § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO schon deshalb keine Grundlage, weil die Vortragsänderung - wie gezeigt - bereits in erster Instanz erfolgte. Ob die zweitinstanzlich erfolgte Ergänzung des geänderten Vortrags dahingehend, dass der Kauf der Genussscheine "nach Abschluss mehrerer Vermögensverwaltungsverträge" erfolgte, vom KG nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zurückgewiesen werden durfte, kann dahinstehen. Denn dieser Umstand ist auf der Grundlage des klägerischen Vortrags zur Kausalität unerheblich.

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