14.07.2016

Partielle Nichtanwendung von § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. im Bereich der Lebensversicherungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden

Die vom BGH vorgenommene Einschränkung des Anwendungsbereichs der zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Regelung des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. (gültig bis Ende 2007) und die damit einhergehende Einräumung eines "ewigen" Widerspruchsrechts im Bereich der Lebensversicherungen, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden war oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das BVerfG hat zwei Verfassungsbeschwerden gegen entsprechende Urteile des BGH nicht zur Entscheidung angenommen.

BVerfG 23.5.2016, 1 BvR 2230/15 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Kläger der beiden Ausgangsverfahren schlossen in den Jahren 1999 und 2003 im Wege des in § 5a VVG a.F. geregelten "Policenmodells" fondsgebundene Lebensversicherungen sowie eine fondsgebundene Rentenversicherung bei der beklagten Beschwerdeführerin ab. Die Kläger widersprachen dem Vertragsschluss in den Jahren 2010 beziehungsweise 2013. Die von den Klägern gegen die Beschwerdeführerin erhobenen Klagen, die u.a. jeweils auf Rückzahlung der den Rückkaufswert übersteigenden, von ihnen gezahlten Versicherungsprämien gerichtet waren, hatten vor dem BGH teilweise Erfolg (Urteile vom 29.7.2015, IV ZR 448/14 und IV ZR 384/14).

Zur Begründung des Anspruchs der Kläger führte der BGH aus, dass die Kläger nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden seien. Für einen solchen Fall habe § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. zwar bestimmt, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlösche. Die erst in den Jahren 2010 und 2013 erklärten Widersprüche seien jedoch ungeachtet dieser Jahresfrist rechtzeitig erfolgt. Denn die Widerspruchsfrist sei in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung nicht in Lauf gesetzt worden. Das ergebe eine richtlinienkonforme, an der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung orientierte Auslegung des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a. F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des EuGH vom 19.12.2013 (C-209/12). Dies habe zur Folge, dass die Jahresfrist für das Erlöschen des Widerspruchsrechts nur noch im Bereich der Versicherungen anderer Art, namentlich der Sachschadenversicherungen anwendbar sei.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Urteile des BGH und rügt u.a. die Verletzung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und Gesetzesbindung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG.

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen des BGH wahren die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfindung und Gesetzesbindung und verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG.

Der BGH hat durch seine Urteile die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert, den erkennbaren, ursprünglichen Willen des Gesetzgebers nicht beiseitegeschoben und den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck der Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Richtlinien zur Lebensversicherung möglichst weitgehend zur Geltung gebracht.

Es ist jedenfalls vertretbar und damit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der BGH davon ausgegangen ist, die Regelung des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a. F. stehe mit dem Ziel des Gesetzgebers in Konflikt, die Dritte Richtlinie Lebensversicherung ordnungsgemäß umzusetzen. Indem der BGH die Wirkung der Norm - die Ausschlussfrist von einem Jahr für den Widerspruch - auf "Versicherungen anderer Art" beschränkt, entspricht er insoweit dem Willen des nationalen Gesetzgebers, trägt zugleich aber den gewandelten Bedingungen Rechnung, die sich aus den Anforderungen des Unionsrechts in der späteren Auslegung des EuGH ergeben.

Der BGH hat dabei von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung auch in vertretbarer Weise Gebrauch gemacht und die Grenzen herkömmlicher Gesetzesinterpretation und richterlicher Rechtsfortbildung nicht überschritten.

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BVerfG PM Nr. 40 vom 14.7.2016
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