Patentnichtigkeitssache: LED-Leuchten mit Farb- und Helligkeitseinstellung
BGH v. 7.11.2023 - X ZB 7/21
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 102 39 449 (Streitpatents), das im August 2002 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität von Februar 2002 angemeldet wurde und LED-Leuchten mit Farb- und Helligkeitseinstellung und ein dazugehöriges Bedienelement betrifft.
Patentanspruch 1, auf den fünfzehn weitere Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet:
"Verfahren zur Farb- und Helligkeitseinstellung von LED-Leuchten mit einem dazugehörigen Bedienelement, dadurch gekennzeichnet,
- dass das Bedienelement als ein vorzugsweise flächig ausgeführtes Sensorarray mit aufgedrucktem oder andersartig beschrifteten Farbdreieck oder einem Farbkreis oder einer anderen Farbskala realisiert wird, womit über die Position des Fingers des Bedieners die Farbe eingestellt wird und
- dass die gewählte Helligkeit und Farbe über rote, grüne und blaue LEDs und ggf. zusätzliche weiße LEDs erzeugt wird und die vom Bediener eingestellte und gewünschte Farbe und Helligkeit des Lichtes über eine geeignete Elektronikschaltung während der Betriebszeit konstant gehalten wird."
Patentanspruch 17 stellt eine entsprechende Vorrichtung unter Schutz.
Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Die Beklagte verteidigte das Streitpatent in der erteilten Fassung unter Streichung der Ansprüche 3, 6 und 12 bis 16 und mit fünf Hilfsanträgen in geänderten Fassungen.
Das BPatG erklärte das Streitpatent für nichtig, soweit dessen Gegenstand über die mit Hilfsantrag 3 verteidigte Fassung hinausgeht, und wies die weitergehende Klage ab. Auf die Berufung der Klägerinnen und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten änderte der BGH das Urteil des BPatG ab und erklärte das Streitpatent für nichtig.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des BPatG geht der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht nur in der erteilten Fassung und den Fassungen der Hilfsanträge 1 und 2, sondern auch in den Fassungen der restlichen Hilfsanträge über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen hinaus.
Anders als das BPatG meint, liegt allerdings in dem Umstand, dass die Einstellung der Helligkeit nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 nicht zwingend über die Dauer der verharrenden Berührung des Fingers erfolgen muss, keine unzulässige Änderung. Sowohl den allgemeinen Ausführungen als auch der Schilderung des dargestellten Ausführungsbeispiels in der Beschreibung der Anmeldung, deren Inhalt mit der Offenlegungsschrift übereinstimmt, ist zu entnehmen, dass die Helligkeitseinstellung über die Dauer der Berührung lediglich eine bevorzugte Ausgestaltung darstellt. Daraus ergibt sich hinreichend deutlich, dass die Anmeldung nicht auf eine solche Ausgestaltung beschränkt ist, sondern auch andere Einstellmöglichkeiten umfasst. Der Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung wird nicht allein durch die darin formulierten Ansprüche bestimmt, sondern auch durch Beschreibung und Zeichnungen. Dem Umstand, dass der in der Anmeldung formulierte Hauptanspruch eine in der Beschreibung als vorzugswürdig bezeichnete Ausgestaltung zwingend vorsieht, ist deshalb nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass nur diese Ausgestaltung als zur Erfindung gehörend beansprucht wird.
Das BPatG ist jedoch zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass Merkmal 4 in der Anmeldung als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Der Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Entscheidend ist, was der Fachmann diesen Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend entnehmen kann. Bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts sind Verallgemeinerungen nicht schlechthin ausgeschlossen. So ist die Verallgemeinerung ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind. Unzulässig ist eine Verallgemeinerung hingegen, wenn den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass einzelne Merkmale in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch diese Merkmale aber nicht in ihrer Gesamtheit vorsieht.
Gemessen daran ist Patentanspruch 1 mit der Aufnahme von Merkmal 4 unzulässig erweitert. In der Beschreibung der Anmeldung wird ausgeführt, Farb- und Helligkeitsstreuungen der eingesetzten Leuchtdioden würden erfindungsgemäß durch ein geeignetes Elektronikschaltkonzept kompensiert. Dabei würden einzelne Leuchtdioden zeitweilig als Photodioden genutzt. Dies ermögliche den Einsatz unselektierter, kostengünstiger Leuchtdioden. Nach der Einstellung der gewünschten Farbe und Helligkeit durch den Bediener würden über die Farb- und Helligkeitsmessung mit den Leuchtdioden und einer geeigneten Elektronikschaltung die Farbe und die Helligkeit konstant gehalten. Die Konstanthaltung von Farbe und Helligkeit durch Messung mittels kurzzeitig als Photodioden betriebener Leuchtdioden und Steuerung über eine geeignete Elektronikschaltung sieht auch der in der Anmeldung formulierte Anspruch 1 vor. Die Messung durch Leuchtdioden und das Konstanthalten durch eine Elektronikschaltung stellen sich danach als technisch aufeinander bezogene Merkmale dar, die beide verwirklicht sein müssen, um die ihnen nach der Erfindung zukommende Funktion zu erfüllen. Dass ein Konstanthalten mit einer Elektronikschaltung auch für sich gesehen zur Erfindung gehören soll, ist der Anmeldung demgegenüber nicht zu entnehmen.
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Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 102 39 449 (Streitpatents), das im August 2002 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität von Februar 2002 angemeldet wurde und LED-Leuchten mit Farb- und Helligkeitseinstellung und ein dazugehöriges Bedienelement betrifft.
Patentanspruch 1, auf den fünfzehn weitere Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet:
"Verfahren zur Farb- und Helligkeitseinstellung von LED-Leuchten mit einem dazugehörigen Bedienelement, dadurch gekennzeichnet,
- dass das Bedienelement als ein vorzugsweise flächig ausgeführtes Sensorarray mit aufgedrucktem oder andersartig beschrifteten Farbdreieck oder einem Farbkreis oder einer anderen Farbskala realisiert wird, womit über die Position des Fingers des Bedieners die Farbe eingestellt wird und
- dass die gewählte Helligkeit und Farbe über rote, grüne und blaue LEDs und ggf. zusätzliche weiße LEDs erzeugt wird und die vom Bediener eingestellte und gewünschte Farbe und Helligkeit des Lichtes über eine geeignete Elektronikschaltung während der Betriebszeit konstant gehalten wird."
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Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Die Beklagte verteidigte das Streitpatent in der erteilten Fassung unter Streichung der Ansprüche 3, 6 und 12 bis 16 und mit fünf Hilfsanträgen in geänderten Fassungen.
Das BPatG erklärte das Streitpatent für nichtig, soweit dessen Gegenstand über die mit Hilfsantrag 3 verteidigte Fassung hinausgeht, und wies die weitergehende Klage ab. Auf die Berufung der Klägerinnen und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten änderte der BGH das Urteil des BPatG ab und erklärte das Streitpatent für nichtig.
Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des BPatG geht der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht nur in der erteilten Fassung und den Fassungen der Hilfsanträge 1 und 2, sondern auch in den Fassungen der restlichen Hilfsanträge über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen hinaus.
Anders als das BPatG meint, liegt allerdings in dem Umstand, dass die Einstellung der Helligkeit nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 nicht zwingend über die Dauer der verharrenden Berührung des Fingers erfolgen muss, keine unzulässige Änderung. Sowohl den allgemeinen Ausführungen als auch der Schilderung des dargestellten Ausführungsbeispiels in der Beschreibung der Anmeldung, deren Inhalt mit der Offenlegungsschrift übereinstimmt, ist zu entnehmen, dass die Helligkeitseinstellung über die Dauer der Berührung lediglich eine bevorzugte Ausgestaltung darstellt. Daraus ergibt sich hinreichend deutlich, dass die Anmeldung nicht auf eine solche Ausgestaltung beschränkt ist, sondern auch andere Einstellmöglichkeiten umfasst. Der Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung wird nicht allein durch die darin formulierten Ansprüche bestimmt, sondern auch durch Beschreibung und Zeichnungen. Dem Umstand, dass der in der Anmeldung formulierte Hauptanspruch eine in der Beschreibung als vorzugswürdig bezeichnete Ausgestaltung zwingend vorsieht, ist deshalb nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass nur diese Ausgestaltung als zur Erfindung gehörend beansprucht wird.
Das BPatG ist jedoch zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass Merkmal 4 in der Anmeldung als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Der Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Entscheidend ist, was der Fachmann diesen Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend entnehmen kann. Bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts sind Verallgemeinerungen nicht schlechthin ausgeschlossen. So ist die Verallgemeinerung ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind. Unzulässig ist eine Verallgemeinerung hingegen, wenn den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass einzelne Merkmale in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch diese Merkmale aber nicht in ihrer Gesamtheit vorsieht.
Gemessen daran ist Patentanspruch 1 mit der Aufnahme von Merkmal 4 unzulässig erweitert. In der Beschreibung der Anmeldung wird ausgeführt, Farb- und Helligkeitsstreuungen der eingesetzten Leuchtdioden würden erfindungsgemäß durch ein geeignetes Elektronikschaltkonzept kompensiert. Dabei würden einzelne Leuchtdioden zeitweilig als Photodioden genutzt. Dies ermögliche den Einsatz unselektierter, kostengünstiger Leuchtdioden. Nach der Einstellung der gewünschten Farbe und Helligkeit durch den Bediener würden über die Farb- und Helligkeitsmessung mit den Leuchtdioden und einer geeigneten Elektronikschaltung die Farbe und die Helligkeit konstant gehalten. Die Konstanthaltung von Farbe und Helligkeit durch Messung mittels kurzzeitig als Photodioden betriebener Leuchtdioden und Steuerung über eine geeignete Elektronikschaltung sieht auch der in der Anmeldung formulierte Anspruch 1 vor. Die Messung durch Leuchtdioden und das Konstanthalten durch eine Elektronikschaltung stellen sich danach als technisch aufeinander bezogene Merkmale dar, die beide verwirklicht sein müssen, um die ihnen nach der Erfindung zukommende Funktion zu erfüllen. Dass ein Konstanthalten mit einer Elektronikschaltung auch für sich gesehen zur Erfindung gehören soll, ist der Anmeldung demgegenüber nicht zu entnehmen.
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