Patentstreit: Gehören unter dem Vorbehalt der Vertraulichkeit eingereichte Unterlagen einer Partei zu den Prozessakten?
BGH v. 14.1.2020 - X ZR 33/19
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung eines ein Mobilfunksystem betreffenden Patents in Anspruch. Das LG entsprach dem erstinstanzlich zuletzt auf Auskunft, Rechnungslegung und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz gerichteten Klagebegehren in vollem Umfang. Das OLG wies die Klage hinsichtlich eines Teils des Rechnungslegungsanspruchs ab und die weitergehende Berufung der Beklagten zurück. Hiergegen wenden sich die Parteien und die Streithelferin der Klägerin mit Revision und Nichtzulassungsbeschwerde.
Bei den vom OLG übersandten Akten befindet sich ein Sonderband, der mit "Geheimhaltungsschutz" gekennzeichnet ist und einen von der Klägerin als Teil der Berufungserwiderung eingereichten Schriftsatz nebst Anlagen enthält. Einige Seiten dieses Schriftsatzes und einige dieser Anlagen hat die Klägerin als "streng vertraulich" gekennzeichnet; zugleich hat sie sinngemäß darum gebeten, die so gekennzeichneten Teile nur an bestimmte Personen weiterzugeben und diese zur Vertraulichkeit zu verpflichten. Das OLG wies dieses Begehren zurück und stellte der Klägerin anheim, die eingereichten Unterlagen gegen ein teilgeschwärztes Exemplar auszutauschen. Die Klägerin teilte daraufhin mit, sie habe - zusätzlich zur vollständigen Fassung - bereits ein teilgeschwärztes Exemplar der in Rede stehenden Unterlagen bei Gericht eingereicht.
Daraufhin ordnete das OLG an, dass die als streng vertraulich gekennzeichneten Teile nur den anwaltlichen Vertretern der Streithelferin zur Kenntnis zu bringen und diese zur Verschwiegenheit auch gegenüber der Streithelferin verpflichtet seien und dass hinsichtlich der Beklagten eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit näher bezeichnetem Inhalt angebracht erscheine. Zum Abschluss einer solchen Vereinbarung und zur Überlassung der ungeschwärzten Unterlagen an die Beklagten kam es in der Folgezeit nicht. Die Geschäftsstelle des BGH stellte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf dessen Antrag die Gerichtsakten nebst den ungeschwärzten Unterlagen zur Verfügung. Der Überlassung dieser Unterlagen an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten trat die Klägerin entgegen. Die Geschäftsstelle stellte hat dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach Rückfrage beim Vorsitzenden die Akten ohne diese Unterlagen zur Verfügung gestellt. Die Beklagten beantragten, ihnen Einsicht in die bislang nicht übermittelten Unterlagen zu gewähren. Die Klägerin trat dem entgegen.
Die Erinnerung der Beklagten gegen die Versagung von Einsicht in die betreffenden Unterlagen hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Den Beklagten steht kein Recht auf Einsicht in die in Rede stehenden Unterlagen zu, weil diese nicht Bestandteil der Gerichtsakten geworden sind und die Klägerin deren Weitergabe an die Beklagten ohne besondere Geheimhaltungsmaßnahmen nicht zugestimmt hat.
Gem. § 299 Abs. 1 ZPO können die Parteien die Prozessakten einsehen. Diese Regelung gilt gem. § 555 Abs. 1 ZPO im Revisionsverfahren entsprechend. Zu den Prozessakten gehören grundsätzlich alle Schriftsätze und Unterlagen, die bei dem Gericht zu dem Rechtsstreit geführt werden. In den Rechtsmittelinstanzen sind hiervon auch die in den Vorinstanzen angefallenen Unterlagen umfasst, auf die diese Voraussetzung zutrifft. Im Streitfall geht es nicht um beigezogene Akten, sondern um Unterlagen, die die Klägerin eingereicht hat. Diese fallen dennoch nicht unter den Tatbestand des § 299 Abs. 1 ZPO, weil die Klägerin sie nur unter Vorbehalt eingereicht hat und das Berufungsgericht mit Rücksicht auf diesen Vorbehalt von einer Weitergabe an die Beklagten abgesehen hat.
Nach § 299 Abs. 1 ZPO hängt das Einsichtsrecht einer Partei zwar nicht von der Zustimmung der übrigen Parteien oder sonstiger Verfahrensbeteiligter ab. Hiervon zu unterscheiden ist aber die vorgelagerte Frage, unter welchen Voraussetzungen ein von einer Partei eingereichtes Dokument zu den Prozessakten zu nehmen und damit vom Gegenstand des Einsichtsrechts umfasst ist. Die Frage, welche Dokumente zur Akte zu nehmen sind, unterliegt zwar ihrerseits grundsätzlich nicht der Entscheidung der Parteien, sondern derjenigen des Gerichts. Dieses wiederum hat grundsätzlich alle Unterlagen zu den Prozessakten zu nehmen, die eine Partei oder sonstige Personen zu dem betreffenden Verfahren einreichen. Wenn indes eine Partei schon bei der Einreichung von Unterlagen zu erkennen gibt, dass diese der Gegenseite nur unter bestimmten Voraussetzungen zugänglich gemacht werden sollen, werden diese jedenfalls dann nicht zum Bestandteil der Prozessakten, wenn das Gericht mit Rücksicht auf diesen Vorbehalt von einer Weitergabe an den Gegner absieht.
BGH online
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung eines ein Mobilfunksystem betreffenden Patents in Anspruch. Das LG entsprach dem erstinstanzlich zuletzt auf Auskunft, Rechnungslegung und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz gerichteten Klagebegehren in vollem Umfang. Das OLG wies die Klage hinsichtlich eines Teils des Rechnungslegungsanspruchs ab und die weitergehende Berufung der Beklagten zurück. Hiergegen wenden sich die Parteien und die Streithelferin der Klägerin mit Revision und Nichtzulassungsbeschwerde.
Bei den vom OLG übersandten Akten befindet sich ein Sonderband, der mit "Geheimhaltungsschutz" gekennzeichnet ist und einen von der Klägerin als Teil der Berufungserwiderung eingereichten Schriftsatz nebst Anlagen enthält. Einige Seiten dieses Schriftsatzes und einige dieser Anlagen hat die Klägerin als "streng vertraulich" gekennzeichnet; zugleich hat sie sinngemäß darum gebeten, die so gekennzeichneten Teile nur an bestimmte Personen weiterzugeben und diese zur Vertraulichkeit zu verpflichten. Das OLG wies dieses Begehren zurück und stellte der Klägerin anheim, die eingereichten Unterlagen gegen ein teilgeschwärztes Exemplar auszutauschen. Die Klägerin teilte daraufhin mit, sie habe - zusätzlich zur vollständigen Fassung - bereits ein teilgeschwärztes Exemplar der in Rede stehenden Unterlagen bei Gericht eingereicht.
Daraufhin ordnete das OLG an, dass die als streng vertraulich gekennzeichneten Teile nur den anwaltlichen Vertretern der Streithelferin zur Kenntnis zu bringen und diese zur Verschwiegenheit auch gegenüber der Streithelferin verpflichtet seien und dass hinsichtlich der Beklagten eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit näher bezeichnetem Inhalt angebracht erscheine. Zum Abschluss einer solchen Vereinbarung und zur Überlassung der ungeschwärzten Unterlagen an die Beklagten kam es in der Folgezeit nicht. Die Geschäftsstelle des BGH stellte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf dessen Antrag die Gerichtsakten nebst den ungeschwärzten Unterlagen zur Verfügung. Der Überlassung dieser Unterlagen an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten trat die Klägerin entgegen. Die Geschäftsstelle stellte hat dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach Rückfrage beim Vorsitzenden die Akten ohne diese Unterlagen zur Verfügung gestellt. Die Beklagten beantragten, ihnen Einsicht in die bislang nicht übermittelten Unterlagen zu gewähren. Die Klägerin trat dem entgegen.
Die Erinnerung der Beklagten gegen die Versagung von Einsicht in die betreffenden Unterlagen hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Den Beklagten steht kein Recht auf Einsicht in die in Rede stehenden Unterlagen zu, weil diese nicht Bestandteil der Gerichtsakten geworden sind und die Klägerin deren Weitergabe an die Beklagten ohne besondere Geheimhaltungsmaßnahmen nicht zugestimmt hat.
Gem. § 299 Abs. 1 ZPO können die Parteien die Prozessakten einsehen. Diese Regelung gilt gem. § 555 Abs. 1 ZPO im Revisionsverfahren entsprechend. Zu den Prozessakten gehören grundsätzlich alle Schriftsätze und Unterlagen, die bei dem Gericht zu dem Rechtsstreit geführt werden. In den Rechtsmittelinstanzen sind hiervon auch die in den Vorinstanzen angefallenen Unterlagen umfasst, auf die diese Voraussetzung zutrifft. Im Streitfall geht es nicht um beigezogene Akten, sondern um Unterlagen, die die Klägerin eingereicht hat. Diese fallen dennoch nicht unter den Tatbestand des § 299 Abs. 1 ZPO, weil die Klägerin sie nur unter Vorbehalt eingereicht hat und das Berufungsgericht mit Rücksicht auf diesen Vorbehalt von einer Weitergabe an die Beklagten abgesehen hat.
Nach § 299 Abs. 1 ZPO hängt das Einsichtsrecht einer Partei zwar nicht von der Zustimmung der übrigen Parteien oder sonstiger Verfahrensbeteiligter ab. Hiervon zu unterscheiden ist aber die vorgelagerte Frage, unter welchen Voraussetzungen ein von einer Partei eingereichtes Dokument zu den Prozessakten zu nehmen und damit vom Gegenstand des Einsichtsrechts umfasst ist. Die Frage, welche Dokumente zur Akte zu nehmen sind, unterliegt zwar ihrerseits grundsätzlich nicht der Entscheidung der Parteien, sondern derjenigen des Gerichts. Dieses wiederum hat grundsätzlich alle Unterlagen zu den Prozessakten zu nehmen, die eine Partei oder sonstige Personen zu dem betreffenden Verfahren einreichen. Wenn indes eine Partei schon bei der Einreichung von Unterlagen zu erkennen gibt, dass diese der Gegenseite nur unter bestimmten Voraussetzungen zugänglich gemacht werden sollen, werden diese jedenfalls dann nicht zum Bestandteil der Prozessakten, wenn das Gericht mit Rücksicht auf diesen Vorbehalt von einer Weitergabe an den Gegner absieht.