14.11.2017

Preisabsprachen landwirtschaftlicher Erzeugerorganisationen können unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein

Zwischen mehreren landwirtschaftlichen Erzeugerorganisationen (oder Vereinigungen solcher Organisationen) getroffene Absprachen über Preise und Mengen können ein Kartell im Sinne des Wettbewerbsrechts darstellen. Erfolgen solche Absprachen innerhalb ein und derselben Erzeugerorganisation (oder Vereinigung), können sie zulässig sein, wenn sie den Zielen, mit denen die Organisation bzw. Vereinigung betraut ist, dienen und insoweit verhältnismäßig sind.

EuGH 14.11.2017, C-671/15
Der Sachverhalt:
Die französische Wettbewerbsbehörde verhängte 2012 im Sektor der Erzeugung und Vermarktung von Chicorée Geldbußen wegen Verhaltensweisen, die sie für wettbewerbswidrig hielt. Es ging im Wesentlichen um Absprachen über den Preis und die auf den Markt gebrachten Mengen und um den Austausch strategischer Informationen. Beteiligt waren Erzeugerorganisationen (EO), Vereinigungen von Erzeugerorganisationen (VEO) sowie verschiedene Verbände und Gesellschaften.

Gegen die Beteiligten wurde eine Geldbuße i.H.v. rd. 4 Mio. € festgesetzt, die diese vor den französischen Gerichten angefochten haben. Sie machen geltend, soweit ihre Verhaltensweisen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) erfolgten, fielen sie nicht unter das unionsrechtliche Kartellverbot. Nach dem Unionsrecht sei es Aufgabe der EO/VEO, die Erzeugerpreise zu stabilisieren und eine nachfragegerechte Erzeugung sicherzustellen.

Das mit der Sache befasste französische Gericht hat den EuGH angerufen, um Aufschluss über diese Frage zu erhalten.

Die Gründe:
Die Agrarpolitik hat nach dem AEUV Vorrang vor den Zielen im Bereich des Wettbewerbs. Daher kann der Unionsgesetzgeber Verhaltensweisen, die grundsätzlich als wettbewerbswidrig einzustufen wären, vom Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts ausschließen. Speziell im Sektor Obst und Gemüse können Verhaltensweisen, die erforderlich sind, damit die EO/VEO eine oder mehrere der Aufgaben erfüllen können, die ihnen durch das Unionsrecht übertragen sind (z.B. Sicherstellung einer nachfragegerechten Erzeugung), dem Kartellverbot entzogen sein. Die gemeinsamen Organisationen der Märkte für landwirtschaftliche Erzeugnisse stellen jedoch keinen wettbewerbsfreien Raum dar. Deshalb können Verhaltensweisen, die nicht anerkannt sind, um eines der den EO/VEO zugewiesenen Ziele zu verfolgen, dem Kartellverbot nicht entzogen sein. Nur ordnungsgemäß anerkannte Einheiten sind befugt, die Ziele der gemeinsamen Organisation des betreffenden Marktes zu verwirklichen.

Verhaltensweisen einer von einem Mitgliedstaat ordnungsgemäß anerkannten EO/VEO unterliegen aber nur dann nicht dem Kartellverbot, wenn sie innerhalb dieser betreffenden EO/VEO erfolgen. Die Aufgaben, mit denen die EO/VEO betraut sind, können bestimmte Formen der Koordinierung oder Abstimmung nämlich nur unter den Erzeugern ein und derselben von einem Mitgliedstaat anerkannten EO/VEO rechtfertigen. Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die nicht innerhalb einer EO/VEO, sondern zwischen mehreren EO/VEO erfolgen, gehen mithin über das hinaus, was erforderlich ist, um die genannten Aufgaben zu erfüllen. Also können Verhaltensweisen zwischen mehreren EO/VEO und erst recht Verhaltensweisen, an denen neben EO/VEO Organisationen beteiligt sind, die nicht von einem Mitgliedstaat im Rahmen der Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik in dem betreffenden Sektor anerkannt sind, dem Kartellverbot nicht entzogen sein.

Von den Verhaltensweisen der Erzeuger ein und derselben anerkannten EO/VEO können nur solche dem Kartellverbot entzogen sein, mit denen tatsächlich genau die Ziele verfolgt werden, mit denen die betreffende EO/VEO betraut worden ist. Das kann etwa der Fall sein beim Austausch strategischer Informationen, bei Absprachen über die auf den Markt gebrachten Mengen landwirtschaftlicher Erzeugnisse und bei der Koordinierung der Preispolitik der einzelnen Erzeuger, sofern die Verhaltensweisen tatsächlich der Verwirklichung der Ziele, mit denen die betreffenden EO/VEO betraut sind, dienen und verhältnismäßig sind. Demgegenüber kann nicht davon ausgegangen werden, dass die gemeinsame Festsetzung von Mindestverkaufspreisen innerhalb einer EO/VEO im Hinblick auf die Aufgaben der Stabilisierung der Erzeugerpreise und der Bündelung des Angebots verhältnismäßig ist, wenn sie den Erzeugern, die ihre Erzeugung selbst absetzen, nicht erlaubt, einen Preis unter diesen Mindestpreisen zu praktizieren, und bewirkt, dass der Wettbewerb, der auf den Märkten für landwirtschaftliche Erzeugnisse ohnehin schwächer ausgeprägt ist, noch mehr geschwächt wird.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 120 vom 14.11.2017
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