Profilname - Pseudonymverbot auf Social Media Plattform
OLG München v. 8.12.2020, 18 U 2822/19 Pre
Der Sachverhalt:
Die Muttergesellschaft der Beklagten mit Sitz in Kalifornien betreibt ein bekanntes soziales Netzwerk. Für Nutzer in Europa ist die Beklagte der Anbieter und Vertragspartner. Der Kläger unterhält bei der Beklagten ein privates Nutzerkonto. In den aktuellen Nutzungsbedingungen der Beklagten heißt es u.a.:
"Wenn Personen hinter ihren Meinungen und Handlungen stehen, ist unsere Gemeinschaft sicherer und kann stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Aus diesem Grund musst du Folgendes tun: - Denselben Namen verwenden, den du auch im täglichen Leben verwendest."
Der Kläger hatte sich ursprünglich einen Profilnamen in Form eines Pseudonyms gegeben. Im März 2018 forderte die Beklagte den Kläger auf, seinen Namen innerhalb der nächsten sieben Tage zu überprüfen. Dem Kläger wurde mitgeteilt, nach Ablauf dieses Zeitraums könne er sich erst wieder anmelden, wenn er seinen Namen aktualisiert habe. Ihm wurde die Frage gestellt: "Ist ... der Name, den du auch im Alltag verwendest?" Unter "Deine Antwort" war folgende Alternative vorgegeben: "Ja, bestätige den Namen" oder "Nein, den Namen ändern".
Am 23.3.2018 wurde der Kläger von der Beklagten gesperrt. Nachdem er seinen Profilnamen in "..." geändert hatte, wurde die Sperre am selben Tage aufgehoben. Mit Anwaltsschreiben vom 26.3.2018 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum 9.4.2018 zur Erklärung darüber auf, dass sie die Klarnamenpflicht aus ihren Nutzungsbedingungen nicht auf ihn anwende, eine Änderung des Profilnamens zulasse und ihn von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freistelle. Die Beklagte kam diesen Aufforderungen nicht nach.
Das LG hat die anschließende Klage insgesamt abgewiesen. Im Berufungsverfahren verlangte der Kläger von der Beklagten nur noch, es zu unterlassen, ihn an der Änderung des von ihm verwendeten Profilnamens (Pseudonym) auf der Social-Media-Plattform zu hindern. Die Berufung vor dem OLG blieb auch insoweit erfolglos. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum BGH zugelassen.
Die Gründe:
Die Beklagte ist nicht gem. § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG verpflichtet, ihren Vertragspartnern die Nutzung der von ihr angebotenen Dienste unter einem Pseudonym zu ermöglichen. Die unter den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten statuierte Verpflichtung des Nutzers, denselben Namen zu verwenden, dessen er sich auch im täglichen Leben bedient, hält der rechtlichen Überprüfung stand.
Die Verpflichtung zur Verwendung des auch im Alltag verwendeten Namens benachteiligt den Nutzer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben in unangemessener Weise (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist nicht ersichtlich. Die in den Nutzungsbedingungen geregelte Verpflichtung, auf denselben Namen zu verwenden, den der Nutzer auch im täglichen Leben verwendet, ist klar und verständlich formuliert. Die Klausel ist auch nicht i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Bestimmung des § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG unvereinbar.
Die letztgenannte Vorschrift wird zwar entgegen der Ansicht der Beklagten nicht durch den Anwendungsvorrang der Datenschutzgrundverordnung verdrängt. Das liegt aber nur daran, dass ein Widerspruch zwischen den vorrangigen Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung und § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG jedenfalls durch die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung dieser Vorschrift vermieden werden kann. Im Hinblick auf die zwingenden Vorgaben des europäischen Datenschutzrechts hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass der Beklagten nicht zugemutet werden kann, gegen ihren Willen die Nutzung der angebotenen "F."-Dienste unter einem Pseudonym zu ermöglichen.
Seit dem 25.5.2018 ist die Datenschutzgrundverordnung in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EU (Art. 99 Abs. 2 DSGVO). Nationale Datenschutzgesetze können lediglich nationale Ausführungs-, Durchführungs- und Spezialbestimmungen enthalten und gelten nur subsidiär (§ 1 Abs. 3 BDSG). Daraus folgt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber nicht, dass die nationalen Datenschutzvorschriften von vornherein keine Anwendung mehr fänden. Ein Anwendungsvorrang der Datenschutzgrundverordnung kommt vielmehr nur in Betracht, soweit zwischen dem unmittelbar anwendbaren Recht der Europäischen Union und dem nationalen deutschen Recht ein Widerspruch auftritt.
Das supranational begründete Recht der EU entfaltet gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht keine rechtsvernichtende (derogierende) Wirkung, sondern drängt nur dessen Anwendung soweit zurück, wie es die Verträge erfordern und es die durch das Zustimmungsgesetz erteilten Rechtsanwendungsbefehle erlauben. Dabei ist es Sache der innerstaatlichen Gerichte, die Vorschriften des nationalen Rechts soweit wie möglich derart auszulegen, dass sie in einer zur Verwirklichung des Unionsrechts beitragenden Art und Weise angewandt werden können. § 13 Abs. 6 TMG ist als datenschutzrechtliche Regelung zu qualifizieren.
§ 13 Abs. 6 Satz 1 TMG verpflichtet den Anbieter von Telemedien nur insoweit dazu, deren Nutzung anonym oder unter einem Pseudonym zu ermöglichen, als ihm dies zumutbar ist. Die Zumutbarkeit ist im Rahmen einer auf den konkreten Fall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ermitteln, bei der das Interesse des Anbieters mit dem Recht des Nutzers auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen ist. Diese Abwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten der Beklagten aus. Das von der Beklagten mit der Verpflichtung der Nutzer zur Verwendung ihres wahren Namens verfolgte Interesse erschöpft sich nicht darin, Nutzer bei Verstößen gegen ihre Nutzungsbedingungen leichter identifizieren zu können. Der Senat teilt die Ansicht des LG, dass die Verpflichtung zur Verwendung des wahren Namens grundsätzlich geeignet ist, Nutzer von einem rechtswidrigen Verhalten im Internet abzuhalten.
Die streitentscheidende Frage, ob eine in den Nutzungsbedingungen einer Social-MediaPlattform vorgesehene Pflicht zur Verwendung des Klarnamens wirksam ist und § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG dieser Pflicht - gegebenenfalls auch infolge Verdrängung oder Auslegung im Lichte der Datenschutzgrundverordnung - nicht entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht entschieden. In der einschlägigen Kommentarliteratur werden hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten. Angesichts der Bedeutung und Reichweite der von der Beklagten betriebenen Plattform erscheint die Frage klärungsbedürftig, weil sie sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann.
Bayern.Recht
Die Muttergesellschaft der Beklagten mit Sitz in Kalifornien betreibt ein bekanntes soziales Netzwerk. Für Nutzer in Europa ist die Beklagte der Anbieter und Vertragspartner. Der Kläger unterhält bei der Beklagten ein privates Nutzerkonto. In den aktuellen Nutzungsbedingungen der Beklagten heißt es u.a.:
"Wenn Personen hinter ihren Meinungen und Handlungen stehen, ist unsere Gemeinschaft sicherer und kann stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Aus diesem Grund musst du Folgendes tun: - Denselben Namen verwenden, den du auch im täglichen Leben verwendest."
Der Kläger hatte sich ursprünglich einen Profilnamen in Form eines Pseudonyms gegeben. Im März 2018 forderte die Beklagte den Kläger auf, seinen Namen innerhalb der nächsten sieben Tage zu überprüfen. Dem Kläger wurde mitgeteilt, nach Ablauf dieses Zeitraums könne er sich erst wieder anmelden, wenn er seinen Namen aktualisiert habe. Ihm wurde die Frage gestellt: "Ist ... der Name, den du auch im Alltag verwendest?" Unter "Deine Antwort" war folgende Alternative vorgegeben: "Ja, bestätige den Namen" oder "Nein, den Namen ändern".
Am 23.3.2018 wurde der Kläger von der Beklagten gesperrt. Nachdem er seinen Profilnamen in "..." geändert hatte, wurde die Sperre am selben Tage aufgehoben. Mit Anwaltsschreiben vom 26.3.2018 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum 9.4.2018 zur Erklärung darüber auf, dass sie die Klarnamenpflicht aus ihren Nutzungsbedingungen nicht auf ihn anwende, eine Änderung des Profilnamens zulasse und ihn von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freistelle. Die Beklagte kam diesen Aufforderungen nicht nach.
Das LG hat die anschließende Klage insgesamt abgewiesen. Im Berufungsverfahren verlangte der Kläger von der Beklagten nur noch, es zu unterlassen, ihn an der Änderung des von ihm verwendeten Profilnamens (Pseudonym) auf der Social-Media-Plattform zu hindern. Die Berufung vor dem OLG blieb auch insoweit erfolglos. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum BGH zugelassen.
Die Gründe:
Die Beklagte ist nicht gem. § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG verpflichtet, ihren Vertragspartnern die Nutzung der von ihr angebotenen Dienste unter einem Pseudonym zu ermöglichen. Die unter den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten statuierte Verpflichtung des Nutzers, denselben Namen zu verwenden, dessen er sich auch im täglichen Leben bedient, hält der rechtlichen Überprüfung stand.
Die Verpflichtung zur Verwendung des auch im Alltag verwendeten Namens benachteiligt den Nutzer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben in unangemessener Weise (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist nicht ersichtlich. Die in den Nutzungsbedingungen geregelte Verpflichtung, auf denselben Namen zu verwenden, den der Nutzer auch im täglichen Leben verwendet, ist klar und verständlich formuliert. Die Klausel ist auch nicht i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Bestimmung des § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG unvereinbar.
Die letztgenannte Vorschrift wird zwar entgegen der Ansicht der Beklagten nicht durch den Anwendungsvorrang der Datenschutzgrundverordnung verdrängt. Das liegt aber nur daran, dass ein Widerspruch zwischen den vorrangigen Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung und § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG jedenfalls durch die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung dieser Vorschrift vermieden werden kann. Im Hinblick auf die zwingenden Vorgaben des europäischen Datenschutzrechts hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass der Beklagten nicht zugemutet werden kann, gegen ihren Willen die Nutzung der angebotenen "F."-Dienste unter einem Pseudonym zu ermöglichen.
Seit dem 25.5.2018 ist die Datenschutzgrundverordnung in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EU (Art. 99 Abs. 2 DSGVO). Nationale Datenschutzgesetze können lediglich nationale Ausführungs-, Durchführungs- und Spezialbestimmungen enthalten und gelten nur subsidiär (§ 1 Abs. 3 BDSG). Daraus folgt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber nicht, dass die nationalen Datenschutzvorschriften von vornherein keine Anwendung mehr fänden. Ein Anwendungsvorrang der Datenschutzgrundverordnung kommt vielmehr nur in Betracht, soweit zwischen dem unmittelbar anwendbaren Recht der Europäischen Union und dem nationalen deutschen Recht ein Widerspruch auftritt.
Das supranational begründete Recht der EU entfaltet gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht keine rechtsvernichtende (derogierende) Wirkung, sondern drängt nur dessen Anwendung soweit zurück, wie es die Verträge erfordern und es die durch das Zustimmungsgesetz erteilten Rechtsanwendungsbefehle erlauben. Dabei ist es Sache der innerstaatlichen Gerichte, die Vorschriften des nationalen Rechts soweit wie möglich derart auszulegen, dass sie in einer zur Verwirklichung des Unionsrechts beitragenden Art und Weise angewandt werden können. § 13 Abs. 6 TMG ist als datenschutzrechtliche Regelung zu qualifizieren.
§ 13 Abs. 6 Satz 1 TMG verpflichtet den Anbieter von Telemedien nur insoweit dazu, deren Nutzung anonym oder unter einem Pseudonym zu ermöglichen, als ihm dies zumutbar ist. Die Zumutbarkeit ist im Rahmen einer auf den konkreten Fall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ermitteln, bei der das Interesse des Anbieters mit dem Recht des Nutzers auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen ist. Diese Abwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten der Beklagten aus. Das von der Beklagten mit der Verpflichtung der Nutzer zur Verwendung ihres wahren Namens verfolgte Interesse erschöpft sich nicht darin, Nutzer bei Verstößen gegen ihre Nutzungsbedingungen leichter identifizieren zu können. Der Senat teilt die Ansicht des LG, dass die Verpflichtung zur Verwendung des wahren Namens grundsätzlich geeignet ist, Nutzer von einem rechtswidrigen Verhalten im Internet abzuhalten.
Die streitentscheidende Frage, ob eine in den Nutzungsbedingungen einer Social-MediaPlattform vorgesehene Pflicht zur Verwendung des Klarnamens wirksam ist und § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG dieser Pflicht - gegebenenfalls auch infolge Verdrängung oder Auslegung im Lichte der Datenschutzgrundverordnung - nicht entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht entschieden. In der einschlägigen Kommentarliteratur werden hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten. Angesichts der Bedeutung und Reichweite der von der Beklagten betriebenen Plattform erscheint die Frage klärungsbedürftig, weil sie sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann.