"Recht auf Vergessen" im Internet überwiegt nicht grundsätzlich
OLG Frankfurt a.M. 6.9.2018, 16 U 193/17Der Kläger war Geschäftsführer einer bekannten gemeinnützigen Organisation. Diese wies im Jahr 2011 ein erhebliches finanzielles Defizit auf. Kurz zuvor hatte der Kläger sich aus gesundheitlichen Gründen krankgemeldet. Die Presse berichtete daraufhin wiederholt über die finanzielle Schieflage, teilweise unter namentlicher Nennung des Klägers sowie der Tatsache, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen nicht im Dienst befinde. Die in den USA-ansässige Beklagte betreibt die Suchmaschine "Google".
Der Kläger forderte Google auf, es zu unterlassen, bei einer Suche nach seinem Vor- und Zunamen, fünf konkrete sog. URL bei den Suchergebnissen in Deutschland anzuzeigen, die zu entsprechenden Presseberichten führen. Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers blieb auch vor dem OLG erfolglos. Allerdings wurde die Revision zum BGH zugelassen.
Die Gründe:
Der Kläger hat im Ergebnis keinen Unterlassungsanspruch aus Art. 17 DSGVO.
Zwar muss auch das amerikanische Unternehmen Google die Vorgaben der DSGVO einhalten, wenn Daten von Personen in der EU verarbeitet werden. Der in Art. 17 DSGVO geregelte Löschungsanspruch umfasst zudem auch den hier geltend gemachten Unterlassungsanspruch. Es bestehe aber kein Löschungsgrund nach Art. 17 DSGVO, da hier das klägerische Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Recht von Google und seinen Nutzern auf Kommunikationsfreiheit abzuwägen war. Und insofern muss jedenfalls "noch" das Anonymitätsinteresse des Klägers hinter das Interesse der Öffentlichkeit an der weiteren Zurverfügungstellung der Berichte zurücktreten.
Zwar enthalten die verlinkten Artikel teilweise sensible Daten des Klägers, soweit es sich um Gesundheitsdaten handelt. Doch geht auch deren Schutz nur so weit, wie er "erforderlich" ist. Dabei ist zu beachten, dass Suchmaschinenbetreiber wie Google aufgrund ihrer besonderen Stellung erst dann handeln müssen, wenn sie durch einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den Inhalt einer in der Ergebnisliste der Suchmaschine nachgewiesenen Internetseite erlangt haben. Zu einer präventiven Kontrolle ist Google gerade nicht verpflichtet.
An einer derartigen Rechtsverletzung fehlte es hier, denn die ursprüngliche Berichterstattung war rechtmäßig gewesen. Es hatte zudem ein erhebliches öffentliches Interesse bestanden. Dies traf auch auf die gesundheitsbezogenen Angaben des Klägers zu. Sie erklärten, aus welchen Gründen er zu Mitarbeit in der Krise nicht zur Verfügung gestanden hatte.
Etwas anderes ergab sich auch nicht aus dem vom EuGH erstmals anerkannten "Recht auf Vergessenwerden". Denn der Ablauf von sechs bis sieben Jahren seit der Veröffentlichung der Artikel ließ nicht eindeutig auf die Erledigung jeglichen Informationsinteresses schließen. Der EuGH hatte zwar in einer Entscheidung vor Erlass der DSGVO angenommen (Urt. v. 13.5.2014, Rs.: C-131/12 - google spain), dass grundsätzlich das Interesse eines Betroffenen, nicht mehr namentlich genannt zu werden, dass Interesse an der fortbestehenden Verlinkung überwiegt. Doch hatte sich diese Entscheidung nicht auf einen vergleichbaren presserechtlichen Sachverhalt bezogen. Außerdem findet sich das vom EuGH angenommene "Regel-Ausnahme-Verhältnis" nicht im Regelungsgefüge der DSGVO wieder. Und auch die Entstehungsgeschichte spricht gegen eine Übertragung.
Der "Abwägungsmechanismus" des EuGH kann auf die DSGVO nicht "schematisch" angewendet werden. Vielmehr muss "mit Vorsicht den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung" getragen werden. Aus den dargestellten Gründen konnte der Kläger sich auch nicht auf einen Unterlassungsanspruch wegen der unerlaubten Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts berufen. Da die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der DSGVO von grundlegender Bedeutung und höchstrichterlich noch nicht geklärt sind, war die Revision zuzulassen.