04.12.2013

Rechtsschutzversicherung: Anreizsysteme bei der Anwaltswahl sind nicht grundsätzlich unzulässig

Die durch §§ 127, 129 VVG, § 3 Abs. 3 BRAO gewährleistete freie Anwaltswahl schließt nicht jegliche Anreizsysteme des Versicherers in Bezug auf die vom Versicherungsnehmer zu treffende Entscheidung aus, welchen Anwalt er mandatiert. Die Grenze zur Verletzung des Rechts auf freie Anwaltswahl wird erst überschritten, wenn die Vertragsgestaltung einen unzulässigen psychischen Druck zur Mandatierung des vom Versicherer vorgeschlagenen Anwalts ausübt.

BGH 4.12.2013, IV ZR 215/12
Der Sachverhalt:
Die klagende Rechtsanwaltskammer hatte vom beklagten Rechtsschutzversicherer u.a. verlangt, die Verwendung von Bestimmungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2009) zu unterlassen, die ein Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteiligung im Zusammenhang mit einer Anwaltsempfehlung betrafen. Die Bedingungen sahen eine Rückstufung von maximal 150 € pro Schadenfall vor, wobei diese durch Zeitablauf in den Folgejahren wieder ausgeglichen werden konnte. Im Schadenfall sollte allerdings diese Rückstufung unterbleiben - und damit in der Regel eine höhere Selbstbeteiligung beim nächsten Versicherungsfall -, wenn der Versicherungsnehmer einen Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt.

Das LG wies die auf Unterlassung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten gerichtete Klage ab. Es war der Ansicht, dass die streitgegenständlichen Bedingungen der ARB 2009 das Recht des Versicherungsnehmers auf freie Anwaltswahl nicht verletzten und keine gravierende Einflussnahme auf seine Auswahlentscheidung vorliege. Das OLG verurteilte die Beklagte u.a. dazu, die Verwendung der Bestimmungen zu unterlassen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hatte die richtlinienkonforme Auslegung des § 127 VVG nicht berücksichtigt und infolgedessen das Recht auf freie Anwaltswahl zu Unrecht als verletzt angesehen.

Das Recht auf freie Anwaltswahl im Zuge der Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 22.6.1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (87/344/EWG) wurde im VVG verankert, weshalb der § 127 VVG richtlinienkonform ausgelegt werden muss. Nach der maßgeblichen EuGH-Rechtsprechung schließt die Freiheit der Anwaltswahl nicht jegliche Anreizsysteme des Versicherers in Bezug auf die vom Versicherungsnehmer zu treffende Entscheidung aus, welchen Anwalt er mandatiert. Die Grenze zur Verletzung des Rechts auf freie Anwaltswahl wird erst überschritten, wenn die Vertragsgestaltung einen unzulässigen psychischen Druck zur Mandatierung des vom Versicherer vorgeschlagenen Anwalts ausübt.

Das war bei den von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen allerdings nicht der Fall. Ebenso wenig wie § 127 VVG berührte das streitgegenständliche Schadenfreiheitssystem die durch § 3 Abs. 3 BRAO geschützte freie Anwaltswahl in rechtlich erheblicher Weise. Da auch andere Ansprüche - insbesondere wettbewerbsrechtliche, soweit sie Gegenstand des Verfahrens geworden waren - nicht durchgriffen, war das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 196 vom 4.12.2013
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