30.07.2019

Regelungen zur Europäischen Bankenunion bei strikter Auslegung nicht kompetenzwidrig

Die EU hat durch die Regelungen zur Europäischen Bankenunion, bei strikter Auslegung ihre durch die Verträge zugewiesenen Kompetenzen nicht überschritten. Die SSM-Verordnung überstreitet nicht in offensichtlicher Weise die primärrechtliche Ermächtigungsgrundlage des Art. 127 Abs. 6 AEUV, da sie der EZB die Aufsicht über die Kreditinstitute in der Eurozone nicht vollständig überträgt. Die Errichtung und Kompetenzausstattung des Ausschusses für die einheitliche Abwicklung (Singe Resolution Board, SRB) durch die SRM-Verordnung begegnen zwar im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Bedenken. Eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung liegt jedoch nicht vor, sofern die Grenzen der dem Ausschuss zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse strikt beachtet werden.

BVerfG v. 30.7.2019 - 2 BvR 1685/14 u.a.
Der Sachverhalt:
Unter dem Begriff "Europäische Bankenunion" wird die Übertragung nationaler Kompetenzen auf europäische Institutionen und die Schaffung einheitlicher Regelungen für die Finanzmarktaufsicht und Abwicklung von Kreditinstituten zusammengefasst.

Die Verfassungsbeschwerden richten sich im Wesentlichen gegen die beiden zugrundeliegenden Verordnungen (SSM-Verordnung, SRM-Verordnung) und das zur Zustimmung ermächtigende Bundesgesetz (SSM-VO-Gesetz). Die "Single Supervisory Mechanism"-Verordnung sieht eine Zweiteilung der Bankenaufsicht vor. Dabei verbleibt es im Wesentlichen bei der Zuständigkeit der nationalen Behörden, während der EZB lediglich besondere Aufsichtsbefugnisse zukommen, die für eine kohärente und wirksame Politik der EU in diesem Bereich entscheidend sind. Die "Single Resolution Mechanism"-Verordnung beinhaltet die Errichtung und Kompetenzausstattung des Ausschusses, der im Falle Zahlungsunfähigkeit einer Bank, die unter die SRM-Verordnung fällt, die Abwicklung der Bankgeschäfte mit möglichst geringem Schaden für den europäischen Binnenmarkt und Steuerzahler lösen soll.

Die Verfassungsbeschwerden hatten vor dem BVerfG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Verordnungen zur EU-Bankenunion sind nicht kompetenzwidrig.

Der Erlass der SSM-Verordnung stellt keine hinreichend qualifizierende Überschreitung der der EU durch die Verträge zugewiesenen Kompetenzen dar. In allen nicht von der SSM-Verordnung erfassten Bereiche der Bankenaufsicht verbleibt es bei der Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden. Weiterhin führen die nationalen Aufsichtsbehörden ihre Befugnisse aufgrund originärer Zuständigkeiten aus und nicht infolge einer Ermächtigung durch die EZB. Eine solche Rückdelegation setzte eine vollständige Übertragung der Aufsicht auf die EZB voraus, die die SSM-Verordnung jedoch gerade nicht vorsieht.

Die mit der Unabhängigkeit der EZB und der nationalen Aufsichtsbehörden verbundene Absenkung des demokratischen Legitimationsniveaus im Bereich der Bankenaufsicht stellt die parlamentarische Verantwortung für die entsprechenden Maßnahmen nicht in einer Art. 20 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG berührenden Weise in Frage. Zwar ist die Absenkung bedenklich, weil sie zu dem weitreichenden und schwer einzugrenzenden Mandat der EZB im Bereich der Währungspolitik hinzutritt. Im Ergebnis ist dies jedoch hinnehmbar, weil die Einflussknicke durch besondere Vorkehrungen wie Rechtsschutzmöglichkeiten, Rechenschafts- und Berichtspflichten der EZB gegenüber den Organen der EU und den nationalen Parlamenten kompensiert werden.

Auch die SRM-Verordnung stellt keinen Ultra-vires-Akt dar und hält im Ergebnis der verfassungsgerichtlichen Identitätskontrolle stand. Auch wenn die Errichtung und Kompetenzausstattung des Ausschusses im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bedenklich erscheint, so genügen sie doch den in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Kriterien. Jedenfalls bei strikter Beachtung der zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse fehlt es an einem offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Verstoß gegen Art. 114 Abs. 1 AEUV.

Die von der SRM-Verordnung angeordnete Unabhängigkeit sowohl des Abwicklungsausschusses als auch der BaFin bei der Wahrnehmung entsprechender Aufgaben verstößt angesichts der vorhandenen Kompensationsmaßnahmen nicht gegen Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG. Die Errichtung unabhängiger Einrichtungen steht auch hier im Spannungsverhältnis zum Demokratiegebot. Das Verfahren zur Ernennung der Mitglieder es bei der Aufgabenwahrnehmung unabhängig handelnden Ausschusses, die ihm auferlegten Rechenschaftspflichten und die Unterwerfung unter eine umfassende verwaltungsinterne wie gerichtliche Kontrolle stellen jedoch eine hinreichende demokratische Steuerbarkeit dar.

Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestags wird durch die Bankenabgabe nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise beeinträchtigt. Der in Art. 67 SRM-VO geregelte Fonds soll eine Inanspruchnahme von Steuergeldern zur Abwicklung von Finanzinstituten für die Zukunft ausgeschlossen und eine gemeinschaftliche Haftung der Finanzinstitute in den teilnehmenden Mitgliedstaaten etabliert werden, die die Finanzierung einer Abwicklung auch in den Fällen sicherstellen soll, in denen die Heranziehung der Eigentümer und Gläubiger nicht genügt. Er soll insbesondere in der Praxis dazu beitragen, eine einheitliche Verwaltungspraxis bei der Abwicklungsfinanzierung sicherzustellen sowie Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt vorbeugen.

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BVerfG PM Nr. 52 vom 30.7.2019
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