14.03.2016

Reiserücktritt: Zur anderweitigen Verwertung der Reise durch den Reiseveranstalter

Der Reiseveranstalter kann eine Reiseleistung, die Gegenstand eines Reisevertrags sein sollte, von dem der Reisende zurückgetreten ist, nur dann durch die erneute Buchung der gleichen Reiseleistung durch einen anderen Reisenden anderweitig verwenden, wenn er die weitere Nachfrage nach der Reiseleistung ohne den Rücktritt mangels freier Kapazität nicht hätte befriedigen können. Den Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der gewöhnlichen Möglichkeit anderweitiger Verwendung von Reiseleistungen, die Gegenstand stornierter Reiseverträge waren, bilden Erfahrungswerte.

BGH 3.11.2015, X ZR 122/13
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Reiseveranstalterin und bietet u.a. Kreuzfahrten in den Tarifen "Premium", "Vario" und "Just" an. Sie verwendet Reisebedingungen, die für den Fall des Rücktritts durch den Kunden eine von diesem zu leistende pauschale Entschädigung vorsehen. Diese ist nach den jeweiligen Tarifen und dem Tag des Rücktritts gestaffelt.

Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände. Er hatte die Regelung für den Tarif "Just", die im Fall des Rücktritts bis zum 60. Tag vor Reisebeginn eine pauschale Entschädigung pro Person von 50 % (mindestens 50 € pro Person) des Reisepreises vorsieht, beanstandet. Der Tarif dient der Vermarktung von Reisen zu stark ermäßigten Preisen. Dabei gibt es für die Buchung zwei Varianten. Entweder nennt der Reisende einen ungefähren Reisetermin und überlässt der Beklagten die Wahl von Schiff, Reiseziel und Route oder er bestimmt das (ungefähre) Reiseziel und lässt der Beklagten einen größeren Spielraum bei der Auswahl des Reisetermins. Die Reiseunterlagen mit dem genauen Abfahrtstermin erhält der Reisende spätestens 14 Tage vor der Abreise.

LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagte hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Zwar handelte es sich bei der angegriffenen Klausel um eine für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingung, die die Beklagte ihren Vertragspartnern bei Abschluss eines Vertrags stellt und die nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB der Inhaltskontrolle unterliegt. Zu Unrecht hatte das Berufungsgericht jedoch angenommen, aus dem von der Beklagten vorgebrachten Zahlenmaterial folge, dass diese durch die erneute Vermarktung von Reiseleistungen, die bereits Gegenstand einer spätestens 60 Tage vor Reisebeginn durch Rücktritt vom Reisevertrag "stornierten" Buchung im Tarif "Just" waren, durchschnittlich mehr als 50 % des Reisepreises nach diesem Tarif erwirtschaften könne, dass die vorgetragenen Zahlen "im Gegenteil" sehr viel höhere Einnahmen aus anderweitiger Verwendung der stornierten Reiseleistung ergäben.

Der Reiseveranstalter kann eine Reiseleistung, die Gegenstand eines Reisevertrags sein sollte, von dem der Reisende zurückgetreten ist, nur dann durch die erneute Buchung der gleichen Reiseleistung durch einen anderen Reisenden anderweitig verwenden, wenn er die weitere Nachfrage nach der Reiseleistung ohne den Rücktritt mangels freier Kapazität nicht hätte befriedigen können. Aus dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Vortrag der Beklagten folgte nicht, dass diese Reiseleistungen, die im Tarif "Just" gebucht waren, nach Rücktritt vom Reisevertrag anderweitig in demselben oder gar in einem höherpreisigen Tarif verwenden konnte. Zu Recht machte die Revision geltend, dass der höhere Preis, den die Beklagte ab dem 49. Tag vor Reisebeginn dadurch erzielt, dass sie eine Kabine nicht zu Sonderkonditionen abgeben oder unbesetzt lassen muss, sondern sie in den Preisklassen "Premium", "Vario" oder "Just" absetzen kann, den Verlust, den sie durch den Rücktritt von einer Just Reise erleidet, nur dann kompensieren oder gar wie das Berufungsgericht angenommen hatte - überkompensieren könnte, wenn der Beklagten jene Absatzgeschäfte ohne die Stornierung im Tarif "Just" gebuchter Reisen ganz oder teilweise nicht möglich gewesen wären.

Den Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der gewöhnlichen Möglichkeit anderweitiger Verwendung von Reiseleistungen, die Gegenstand stornierter Reiseverträge waren, bilden Erfahrungswerte, die hinreichend verlässlich Auskunft darüber geben, wie sich die typische Nachfrage nach einer diese Reiseleistungen umfassenden Reise darstellt. Wird die Reiseleistung im Rahmen unterschiedlicher Reisen angeboten, darf die Betrachtung weder auf willkürlich gewählte Reiseangebote beschränkt werden, noch ist stets ohne weiteres eine Durchschnittsbetrachtung zulässig. Die Erfahrungswerte müssen vielmehr repräsentativ für die Gesamtheit der Reisen sein, die der Reiseveranstalter in der jeweiligen Kategorie oder Preisklasse anbietet.

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