06.02.2023

Schadensersatz für Eisenbahnverkehrsunternehmen wegen verspäteter Bereitstellung von Trassen

Kann ein Eisenbahnverkehrsunternehmen infolge schuldhaft verspäteter Bereitstellung von Trassen seine Pünktlichkeitsverpflichtung aus dem Verkehrsvertrag mit seinem Auftraggeber nicht erfüllen und wird deshalb seine Vergütung gemindert, kann es vom Betreiber des Schienennetzes Schadensersatz verlangen. Ordnet der Schienennetzbetreiber die Ursache für die verspätete Bereitstellung selbst seinem Verantwortungsbereich zu, begründet dies eine Beweiserleichterung für die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung.

OLG Frankfurt a.M. v. 3.2.2023 - 2 U 88/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen. Die Beklagte betreibt das bundesweite Schienennetz. Auf der Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Infrastrukturvertrags bestellte die Klägerin bei der Beklagten Zugtrassen. Die Klägerin war ihrem regionalen Auftraggeber gegenüber zur Erbringung der Verkehrsleistungen im Personennahverkehr verpflichtet. Wegen Verspätungen an von der Klägerin bedienten Haltepunkten kürzte der Auftraggeber die Vergütung der Klägerin für die Jahre 2016 und 2017. Die Klägerin nimmt deshalb die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe der entgangenen Vergütung von gut 560.000 € in Anspruch.

Das LG gab der Klage nur teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von rd. 60.000 €. Die hiergegen eingelegten Berufungen beider Parteien hatten vor dem OLG keinen Erfolg. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Revision zum BGH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die Gründe:
Die Beklagte haftet dem Grunde nach.

Aufgrund des als Mietvertrag einzuordnenden Infrastrukturvertrags ist sie verpflichtet, der Klägerin die Schienenbenutzung zu den vertraglich vereinbarten Trassenzeiten zu ermöglichen. Wenn die Beklagte die Trassen zu spät bereitstellt, begründet dies einen Mangel der Mietsache. Für Verspätungen und dadurch verursachte Vergütungskürzungen durch den Auftraggeber muss die Beklagte bei schuldhaft verspäteten Bereitstellungen Schadensersatz leisten. Der Schadensersatzanspruch ist insoweit nicht auf erhebliche Mängel begrenzt.

Grundsätzlich ist die Klägerin verpflichtet, ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten konkret darzulegen und nachzuweisen. Hat die Beklagte allerdings in ihrem internen Kodiersystem die verspätete Bereitstellung selbst ihrem Obhuts- und Verantwortungsbereich zugeordnet, begründet dies eine Beweiserleichterung zugunsten der Klägerin. Will die Beklagte dann später behaupten, die Verspätung sei entgegen dieser Kodierung nicht ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen, so muss sie dies in jedem Einzelfall widerlegen und Alternativursachen im Einzelnen darlegen und beweisen.

Ersatzfähig sind hier Verspätungen von mehr als 90 Sekunden, die von der Beklagten in ihrem Kodiersystem den Rubriken "Betriebsplanung/Betriebsführung, Infrastrukturtechnik und bauliche Gründe" zugeordnet worden waren. Weitergehende schuldhafte Pflichtverletzungen hat die Klägerin indes nicht belegt. Soweit die Beklagte verspätete Bereitstellungen auf extreme Einflüsse, etwa in Form der Witterung, zurückgeführt hat, liegen diese nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten. Folglich müsste die Klägerin im Einzelfall schuldhafte Pflichtverletzungen nachweisen. Dies gilt auch für sog. sekundäre Verspätungsursachen, etwa in Form von gefährlichen Ereignissen, Zugfolge, Anschluss. Die Klägerin hat diesen Nachweis nicht geführt.
OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 8 vom 6.2.2023
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