10.01.2017

Schadensersatz wegen überlanger Dauer eines kartellrechtlichen Verfahrens vor dem EuG

Die EU wird verurteilt, den Unternehmen Gascogne Sack Deutschland und Gascogne Schadensersatz i.H.v. mehr als 50.000 € wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem EuG zu leisten. Die überlange Verfahrensdauer hat sowohl zu einem materiellen Schaden (Bankbürgschaftskosten) als auch zu einem immateriellen Schaden (Zustand der Ungewissheit, in dem sich die beiden Unternehmen befunden haben) geführt.

EuG 10.1.2017, T-577/14
Der Sachverhalt:
Die Unternehmen Gascogne Sack Deutschland (vormals Sachsa Verpackung) und Gascogne (vormals Groupe Gascogne) erhoben am 23.2.2006 beim EuG Klagen auf Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission in einem Kartellverfahren im Sektor für industrielle Sackverpackungen. Das EuG wies diese Klagen mit Urteilen vom 16.11.2011 (T-72/06 u.a.) ab. Der mit den Rechtsmitteln befasste EuGH bestätigte mit Urteilen vom 26.11.2013 (C-40/12 P) die Urteile des EuG und damit die gegen die beiden Unternehmen verhängten Geldbußen von insgesamt 13,2 Mio. €. Der EuGH wies jedoch darauf hin, dass die beiden Unternehmen Klagen auf Ersatz eventueller Schäden wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem EuG erheben könnten.

Die Unternehmen Gascogne Sack Deutschland und Gascogne beantragen nunmehr beim EuG, die EU zur Zahlung von Schadensersatz i.H.v. fast 4 Mio. € für materielle Schäden (knapp 3,5 Mio. €) und für den immateriellen Schaden (500.000 €) zu verurteilen, die sie aufgrund der überlangen Dauer des Verfahrens erlitten hätten. Es handelt sich um die erste Rechtssache, die auf diesem Gebiet entschieden wird.

Das EuG gab der Klage teilweise statt und, und sprech Gascogne für den erlittenen materiellen Schaden Schadensersatz i.H.v. rd. 47.000 € und jedem der beiden Unternehmen für den immateriellen Schaden Schadensersatz i.H.v. 5.000 € zu.

Gründe:
Das EuG hat sich im Hinblick auf die überlange Dauer des Verfahrens - fast fünf Jahre und neun Monate - rechtswidrig verhalten. Das Recht auf eine Entscheidung einer Rechtssache innerhalb angemessener Frist, das in Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU verankert ist, wurde dadurch verletzt.

Bei Kartellsachen stellt eine Dauer von 15 Monaten zwischen dem Abschluss des schriftlichen Verfahrens und dem Beginn des mündlichen Verfahrens grundsätzlich eine angemessene Dauer dar. Vorliegend lagen jedoch rd. 46 Monate zwischen diesen Verfahrensabschnitten. Die parallele Bearbeitung im Zusammenhang stehender Rechtssachen kann zwar eine Verlängerung des Verfahrens um einen Monat pro zusätzliche Rechtssache rechtfertigen. Bei der vorliegend erfolgten parallelen Bearbeitung von zwölf Klagen gegen dieselbe Entscheidung der Kommission war demnach eine Verlängerung des Verfahrens in den beiden vorliegenden Rechtssachen um elf Monate (insgesamt also 26 Monate) gerechtfertigt. Aus der Gesamtdauer von 46 Monaten ergibt sich also in jeder der beiden Rechtssachen ein Zeitraum ungerechtfertigter Untätigkeit von 20 Monaten.

Gascogne ist auch ein tatsächlicher und sicherer materieller Schaden entstanden. Dieser ergibt sich daraus, dass sie im Verlauf des Zeitraums der ungerechtfertigten Untätigkeit des EuG Verluste durch die Kosten erlitten hat, die sie für die Bankbürgschaft zugunsten der Kommission zahlen musste. Die übrigen gemachten materiellen Schäden waren hingegen nicht anzuerkennen. Es besteht auch ein Kausalzusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Verhalten und dem geltend gemachten Schaden. Hätte nämlich das Verfahren in den vorliegenden Rechtssachen nicht die angemessene Urteilsfrist überschritten, hätte Gascogne die Kosten für die Bankbürgschaft in dem Zeitraum, der dieser Überschreitung entspricht, nicht zahlen müssen.

Gascogne war daher eine Entschädigung i.H.v. rd. 47.000 € als Ersatz des materiellen Schadens zuzuerkennen, der ihr durch die Nichteinhaltung der angemessenen Urteilsfrist entstanden ist und in der Zahlung zusätzlicher Bankbürgschaftskosten besteht. Gascogne Sack Deutschland und Gascogne ist wegen der überlangen Dauer des Verfahrens auch ein immaterieller Schaden entstanden: Die Nichteinhaltung der angemessenen Urteilsfrist in diesen Rechtssachen war nämlich geeignet, die beiden Unternehmen in einen Zustand der Ungewissheit zu versetzen, die über die Ungewissheit hinausgegangen ist, die üblicherweise durch ein Gerichtsverfahren hervorgerufen wird. Es erscheint angebracht, jedem der beiden Unternehmen eine Entschädigung i.H.v. 5.000 € als Ersatz des immateriellen Schadens zuzusprechen.

Linkhinweis:

Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.

EuG PM Nr. 1 vom 10.1.2017
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