11.06.2015

Schadensersatzpflicht wegen Teilnahme an einer Internet-Tauschbörse

Allein die theoretische Möglichkeit, dass bei den Ermittlungen eines Softwareunternehmens und der Auskunft des Internetproviders Fehler passieren können, spricht nicht gegen die Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse, soweit im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden können. Ein falscher Buchstabe bei der Namenswiedergabe in einer Auskunftstabelle reicht nicht aus. Bei der Bemessung des Schadensersatzes in Form der Lizenzanalogie ist von einem Betrag von 200 € für jeden in die Schadensberechnung einbezogenen Musiktitel auszugehen.

BGH 11.6.2015, I ZR 19/14 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Klägerinnen sind vier führende deutsche Tonträgerherstellerinnen. Nach den Recherchen des von ihnen beauftragten Softwareunternehmens proMedia waren am 19.6.2007, am 19.8.2007 und am 17.12.2007 über IP-Adressen eine Vielzahl von Musiktiteln zum Herunterladen verfügbar gemacht worden. In den daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden die drei vor dem OLG in Anspruch genommenen Beklagten als Inhaber der den jeweiligen IP-Adressen zugewiesenen Internetanschlüsse benannt. Die Klägerinnen sahen darin eine Verletzung ihrer Tonträgerherstellerrechte und ließen die Beklagten durch Anwaltsschreiben abmahnen. Später nahmen die Beklagten in verschiedenen Verfahren jeweils auf Schadensersatz i.H.v. insgesamt 3.000 € sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch.

+++ Az.: I ZR 75/14 +++
In dem Rechtsstreit Az.: I ZR 75/14 hatte der Beklagte bestritten, dass ihm zum fraglichen Zeitpunkt die IP-Adresse zugewiesen gewesen sei und dass er, seine in seinem Haushalt lebenden Familienangehörigen oder ein Dritter die Musikdateien zum Herunterladen verfügbar gemacht hätten. Er behauptete vielmehr, er habe sich mit seiner Familie zur angeblichen Tatzeit im Urlaub befunden. Vor Urlaubsantritt seien Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden.

Das LG wies die Klage ab; das OLG verurteilte den Beklagten antragsgemäß. Nach zeugenschaftlicher Vernehmung eines Mitarbeiters des Softwareunternehmens und der Familienangehörigen des Beklagten war das Berufungsgericht davon überzeugt, dass die Musikdateien vom Rechner des Beklagten zum Herunterladen angeboten worden waren und die Familie sich zur fraglichen Zeit nicht im Urlaub befand. Letztlich habe der Beklagte als Anschlussinhaber für die Urheberrechtsverletzungen einzustehen, da ein anderer Täter nicht ernsthaft in Betracht komme.

+++ Az.: I ZR 19/14 +++
Auch in dem Rechtsstreit Az.: I ZR 19/14 hatte der Beklagte die Richtigkeit der Recherchen des Softwareunternehmens und der Auskunft des Internetproviders bestritten und in Abrede gestellt, dass er oder ein in seinem Haushalt lebender Familienangehöriger die Musikdateien zum Herunterladen angeboten hätten. Im Verfahren stellte sich heraus, dass der Rechner zum fraglichen Zeitpunkt im Arbeitszimmer des Beklagten installiert, eingeschaltet und mit dem Internet verbunden war. Die bei dem Beklagten angestellte Ehefrau, die den Rechner neben dem Beklagten beruflich nutzte, verfügte nicht über Administratorenrechte zum Aufspielen von Programmen. Dem damals im Haushalt des Beklagten lebenden 17-jährigen Sohn war das vor der Nutzung des Computers einzugebende Passwort nicht bekannt.

LG und OLG gaben der Klage statt. Auch hier war das OLG der Ansicht, dass die Musikdateien über den Internetanschluss des Beklagten zum Herunterladen verfügbar gemacht worden waren und der Beklagte die Urheberrechtsverletzungen zu verantworten hatte.

+++ I ZR 7/14 +++
In dem Rechtsstreit Az.: I ZR 7/14 war der Internetanschluss von der Beklagten, ihrem 16-jährigen Sohn und ihrer 14-jährigen Tochter genutzt worden. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung räumte die Tochter der Beklagten ein, die Musikdateien heruntergeladen zu haben. Die Beklagte wandte sich gegen die Verwertung des polizeilichen Geständnisses ihrer Tochter und behauptete, diese über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Musiktauschbörsen belehrt zu haben.

Das LG gab der Klage weitgehend statt. Die Berufung der Beklagten blieb im Wesentlichen erfolglos. Das OLG sah eine Verletzungshandlung der Tochter der Beklagten als erwiesen an und ging von einer Verletzung der Aufsichtspflicht der Beklagten gem. § 832 Abs. 1 S. 1 BGB aus.

Die vom OLG zugelassenen Revisionen der Beklagten blieben vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Die Eintragung der Klägerinnen in die Phononet-Datenbank stellte ein erhebliches Indiz für die Inhaberschaft der Tonträgerherstellerrechte dar und es gab keine Anhaltspunkte, die diese Indizwirkung für die jeweils streitbefangenen Musiktitel entkräften konnten. Aufgrund der von den Klägerinnen bewiesenen Richtigkeit der Ermittlungen von proMedia und des Internetproviders stand zudem fest, dass die Musiktitel über die den Beklagten als Anschlussinhabern zugeordneten Internetanschlüsse zum Herunterladen bereitgehalten worden waren. Allein die theoretische Möglichkeit, dass bei den Ermittlungen Fehler passieren konnten, sprach nicht gegen die Beweiskraft der Ermittlungsergebnisse, soweit im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden konnten. Ein falscher Buchstabe bei der Namenswiedergabe in einer Auskunftstabelle reicht - wie in der Sache Az.: I ZR 19/14 eingewandt - nicht aus.

In der Sache Az.: I ZR 75/14 war das Vorbringen des Beklagten, er und seine Familie seien im maßgeblichen Zeitraum im Urlaub gewesen und hätten vor Urlaubsantritt sämtliche technischen Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt, durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau nicht bewiesen worden. Der Beklagte war somit für die Verletzungshandlung auch als Täter verantwortlich. Das OLG war zutreffend davon ausgegangen, der Beklagte habe nicht dargelegt, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzungen in Betracht kamen. Damit griff die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses ein.

In dem Verfahren Az.: I ZR 7/14 hatte die Tochter der Beklagten die Verletzungshandlung begangen. Ausschlaggebend war hier das im polizeilichen Vernehmungsprotokoll dokumentierte Geständnis der Tochter sowie die Bestätigung des Geständnisses nach ordnungsgemäßer Belehrung als Zeugin.

Die Beklagte war für den durch ihre damals minderjährige Tochter verursachten Schaden gem. § 832 Abs. 1 S. 1 BGB verantwortlich. Zwar genügen Eltern in der Regel ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht dabei grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern nämlich erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt (BGH-Urt. v. 15.11.2012, Az.: I ZR 74/12 - Morpheus). Es blieb allerdings unklar, die Beklagte ihre Tochter entsprechend belehrt hatte. Der Umstand, dass die Beklagte für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem "ordentlichen Verhalten" aufgestellt haben mag, reichte insoweit nicht aus.

Bei der Bemessung des Schadensersatzes in Form der Lizenzanalogie war das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei von einem Betrag von 200 € für jeden der insgesamt 15 in die Schadensberechnung einbezogenen Musiktitel ausgegangen. Das OLG hatte schließlich mit Recht auch einen Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten angenommen und dessen Höhe auf der Basis des RVG berechnet.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 92 vom 11.6.2015
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