04.05.2018

Schlechte Luft? Kein Schadensersatz nach Erlass einer die Schadstoffemissionen von Fahrzeugen betreffenden Verordnung durch die EU-Kommission

Das EuG hat eine Schadensersatzklage abgewiesen, die rd. 1.500 Personen im Anschluss an den Erlass einer die Schadstoffemissionen von Fahrzeugen betreffenden Verordnung der EU-Kommission aus dem Jahr 2016 erhoben haben. Die Kläger konnten weder den tatsächlichen und sicheren Eintritt der geltend gemachten Schäden noch ihre persönliche Beeinträchtigung nachweisen.

EuG 4.5.2018, T-197/17
Der Sachverhalt:
Mit der Verordnung (EU) 2016/646 aus dem Jahr 2016 legte die EU-Kommission verbindliche Grenzwerte für die Emission von Stickoxiden bei neuen Prüfverfahren im praktischen Fahrbetrieb (real driving emissions - RDE) fest, denen die Automobilhersteller leichte Pkw und Nutzfahrzeuge u.a. im Rahmen der Verfahren zur Genehmigung neuer Fahrzeugtypen unterziehen müssen. Ziel dieser RDE-Prüfverfahren ist es, der Feststellung zu begegnen, dass die Laborprüfverfahren nicht das tatsächliche Niveau der Schadstoffemissionen im praktischen Fahrbetrieb widerspiegeln, und den möglichen Einsatz von "Betrugssoftware" zu vereiteln.

Gegen die von der Kommission festgelegten Emissionsgrenzwerte wurden beim EuG mehrere Klagen erhoben worden, u.a. von den Städten Paris, Brüssel und Madrid (Rechtssachen T-339/16, T-352/16 und T-391/16). Sie werden derzeit vom EuG geprüft; eine mündliche Verhandlung in diesen drei Rechtssachen ist für den 17.5.2018 anberaumt worden. Parallel zu diesen Nichtigkeitsklagen erhoben rd. 1.500 natürliche Personen, von denen die meisten in Frankreich wohnen, eine Klage gegen die EU, mit der sie den Ersatz des Schadens begehren, der ihnen durch die Verordnung der Kommission entstanden sein soll. Diese Schadensersatzklage ist Gegenstand des heutigen Beschlusses.

Die Kläger sind der Auffassung, dass ihnen durch die Verordnung materielle Schäden im Zusammenhang mit der Verschlechterung der Qualität ihrer Atemluft und der daraus resultierenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustands entstanden seien. Ferner seien ihnen immaterielle Schäden entstanden, weil sie sich insoweit Sorgen um ihre eigene Person und um ihr Umfeld machten und das Vertrauen darin verloren hätten, dass die Unionsorgane zur Bekämpfung der Umweltzerstörung tätig würden. Jede dieser Personen begehrt Schadensersatz i.H.v. von 1 (symbolischen) € für die materiellen Schäden und von 1.000 € für die immateriellen Schäden.

Das EuG wies die Klage ab. Gegen die Entscheidung des EuG kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden.

Die Gründe:
Eine außervertragliche Haftung der Union hängt drei kumulativen Voraussetzungen ab, und zwar muss 1. ein Unionsorgan einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift begangen haben, die dem Einzelnen Rechte verleihen soll, 2. der behauptete Schaden tatsächlich eingetreten sein und 3. ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Union und dem Schaden bestehen. Vorliegend musste das EuG weder zur ersten noch zur dritten dieser Voraussetzungen (d.h. insbesondere zur Frage der Rechtmäßigkeit der Verordnung der Kommission, die Gegenstand der Klagen der Städte Paris, Brüssel und Madrid ist) Stellung nehmen; es kam zu dem Ergebnis, dass der tatsächliche Eintritt der von den Klägern geltend gemachten Schäden nicht hinreichend erwiesen ist.

Es obliegt dem Kläger, den tatsächlichen und sicheren Eintritt sowie den Umfang des von ihm behaupteten Schadens zu beweisen und darzutun, dass er dadurch persönlich beeinträchtigt wird. Begehrt er den Ersatz eines immateriellen Schadens, muss er insbesondere den Nachweis erbringen, dass die dem betreffenden Organ vorgeworfene Handlung aufgrund ihrer Schwere geeignet ist, ihm einen solchen Schaden zuzufügen. Vorliegend wurde der Umfang des mit einer Verschlechterung der Luftqualität verbundenen Schadens nicht hinreichend nachgewiesen, weil eine Bilanz der auf die streitigen Rechtsvorschriften zurückzuführenden zusätzlichen Schadstoffemissionen nur höchst annäherungsweise und pauschal, erst nach einiger Zeit und mit sehr unsicheren Ergebnissen erstellt werden könnte. Insbesondere ließe sich nicht vorhersagen, in welchem Maß sich potenzielle Käufer, wenn die Kommission strengere Grenzwerte festgelegt hätte, sofort den - möglicherweise weniger zahlreichen - Fahrzeugtypen zugewandt hätten, die diese Grenzwerte einhielten und die Prüfverfahren erfolgreich durchlaufen hätten, oder ob sie es vorgezogen hätten, ihr altes Fahrzeug länger zu behalten.

Zum anderen haben die Kläger, obwohl sie so zahlreich sind und in verschiedenen Regionen oder unter unterschiedlichen Bedingungen wohnen und leben, zur Stützung ihrer Anträge pauschal argumentiert und allgemeine Gesichtspunkte vorgetragen, aber keinen individuellen Gesichtspunkt, der es ermöglicht hätte, die persönliche Situation jedes Einzelnen in Bezug auf die geltend gemachten Schäden zu beurteilen. Der Umstand, dass alle Betroffenen für das Problem der Luftverschmutzung besonders sensibilisiert sein mögen, reicht hinsichtlich der immateriellen Schäden nicht für den Nachweis aus, dass sich jeder von ihnen tatsächlich so große Sorgen um seine Gesundheit und die seines Umfelds macht, dass seine Existenzbedingungen in einem für die Zuerkennung von Schadensersatz hinreichenden Maß beeinträchtigt werden. Ein möglicherweise von jedem empfundenes Gefühl stellt keinen ersatzfähigen immateriellen Schaden dar. Die Abweisung der Sammelklage der 1.500 natürlichen Personen greift dem Ergebnis der von den Städten Paris, Brüssel und Madrid gegen die Verordnung der Kommission erhobenen Klagen im Übrigen nicht vor.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuG PM Nr. 61 vom 4.5.2018
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