30.07.2018

Schlussanträge: Schadensersatzklagen wegen überlanger Dauer des Verfahrens

Der Generalanwalt Wahl schlägt vor, dass der EuGH die Urteile des Gerichts, mit denen die EU verpflichtet wurde, einer Reihe von Unternehmen den materiellen Schaden zu ersetzen, der diesen durch eine überlange Dauer des Verfahrens vor dem Gericht entstanden sein soll, aufheben soll. Das Verhalten der Organe sei nicht das entscheidende Kriterium für den Schaden gewesen. Ausschlaggebend sei in Wirklichkeit eine Entscheidung der Unternehmen gewesen.

EuGH, C-138/17 P u.a., Schlussanträge des Generalanwalts vom 25.7.2018
Der Sachverhalt:

Im Februar 2006 klagten Gascogne Sack Deutschland und Gascogne, Kendrion, ASPLA und Armando Álvarez beim EuG auf Nichtigerklärung der Entscheidung, die die Kommission ihnen gegenüber in Bezug auf ein Kartell betreffend Industriesäcke aus Plastik erlassen hatte (K(2005) 4634 vom 30.11.2005).

2011 wies das Gericht diese klagen ab. Im Rechtsmittelverfahren bestätigte der EuGH mit Urteilen aus 2013 die Urteile des EuG und damit auch die gegen die Unternehmen verhängten Geldbußen. Der EuGH stellte in seinen Urteilen jedoch fest, dass sich die Dauer des Verfahrens vor dem EuG durch keinen der besonderen Umstände der Rechtssachen rechtfertigen lässt. 2014 und 2015 erhoben die betroffenen Unternehmen daraufhin Klage gegen die EU auf Ersatz des Schadens, der ihnen infolge der Dauer der Verfahren entstanden sein sollte. 2017 verurteilte das EuG die EU zum Ersatz des den Unternehmen entstandenen Schadens. (vgl. T-577/14, T-479/14, T-40/15).

Die EU, vertreten durch den EuGH legte 2017 Rechtsmittel gegen diese Urteile ein mit der Begründung, das EuG habe die Begriffe Kausalzusammenhang und Schaden rechtsfehlerhaft ausgelegt. Auch die Unternehmen legten Rechtsmittel ein. Sie sind der Auffassung, das EuG habe die Entschädigung fehlerhaft berechnet. Darüber hinaus machte Kendrion geltend, dass das Rechtsmittel der EU unzulässig sei, da die EU durch den EuGH als Organ vertreten werde und dieser über die Rechtssache entscheiden werde.

Die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl:

Das Rechtsmittel der EU ist zulässig. Für Klagen gegen die EU wegen außervertraglicher Haftung, auch für eigenes Handeln oder Unterlassen ist ausschließlich der EuGH zuständig. Nach den Verträgen darf der EuGH sich nicht für unzuständig erklären, wenn die Voraussetzungen für die Klage - wie hier - erfüllt sind. Dem EuGH fehlt es auch nicht an Unparteilichkeit. Innerhalb des Organs wird klar zwischen Verwaltungs- und Rechtsprechungstätigkeiten unterschieden. Zu dieser Unterscheidung gehört auch, die Voraussetzung, dass in Bezug auf die Verfahren keine einseitige Kommunikation zwischen Mitarbeitern des jeweils anderen Tätigkeitsbereichs stattfindet. Im Streitfall habe der Präsident hat den Rechtsberater für Verwaltungsangelegenheiten mit der Durchführung seiner Entscheidung, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen, beauftragt. Er war seither nicht mehr in die gerichtliche Behandlung eingebunden.

Zudem hat das EuG den Begriff Kausalzusammenhang rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewandt, da kein hinreichend unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß des EUG, nicht binnen einer angemessenen Frist zu entscheiden, und der Zahlung der Kosten für die Bankbürgschaft, dem entstandenen Schaden der Unternehmen, besteht. Die Voraussetzung, dass das Verhalten des Organs die entscheidende Ursache für den geltend gemachten Schaden darstellt, ist im Streitfall nicht erfüllt. Denn ausschlaggebend sind Entscheidungen der Unternehmen gewesen, weiterhin von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, nicht die in der Entscheidung der Kommission festgesetzte Geldbuße zu zahlen, sondern stattdessen eine Bankbürgschaft zu stellen.

Unternehmen haben in einem solchen Fall die Wahl, ob sie die Zahlung direkt vornehmen oder aufschieben und stattdessen eine Bankbürgschaft stellen bis über die Nichtigkeitsklage gegen die Geldbuße entschieden wurde. Diese Wahl kann nicht nur einmal getroffen werden. Während des gesamten Verfahrens können Unternehmen die Geldbuße doch noch zahlen, wenn sie dies für vorteilhaft halten. Folglich sind die Entscheidungen Bankbürgschaften zu stellen während des laufenden sich lang hinziehenden Verfahrens mehrfach bestätigt worden.

Darüber hinaus hat das EuG die Höhe des Schadens rechtsfehlerhaft berechnet, in dem es die Kosten der Bankbürgschaft mit dem zu ersetzenden Schaden gleichgesetzt hat. Der finanzielle Vorteil des Aufschubs der Zahlung der Geldbuße hätte berücksichtigt werden müssen.

Es ist nur der immaterielle Schaden entgegen der Auffassung der Unternehmen in der vom EuG zugesprochenen Höhe zu ersetzen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichen Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 121/2018 vom 25.7.2018
Zurück