Streit um die Zulassung des Arzneimittels Aplidin
EuGH v. 22.6.2023 - C-6/21 P u.a.
Der Sachverhalt:
Gestützt auf das negative Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) lehnte die Kommission mit Beschluss vom 17.7.2018 (streitiger Beschluss) den Antrag des Unternehmens Pharma Mar auf Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels für seltene Leiden Aplidin ab. Dieses Arzneimittel, dessen Wirkstoff Plitidepsin ist, wurde zur Behandlung einer schweren Form von Knochenmarkkrebs entwickelt. Pharma Mar erhob daraufhin vor dem EuG Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.
Das EuG erklärte den streitigen Beschluss für nichtig. Es kam zu dem Ergebnis, dass das Verfahren, das zu seinem Erlass geführt habe, keine hinreichenden Garantien geboten habe, um jeden berechtigten Zweifel in Bezug auf eine etwaige Voreingenommenheit der an der Bewertung des Arzneimittels beteiligten Sachverständigen auszuschließen, von denen zwei an einem Universitätskrankenhaus tätig waren. Auf die Rechtsmittel von Deutschland und Estland hob der EuGH das Urteil des EuG auf und verwies die Sache dorthin zurück.
Die Gründe:
Das EuG hat einen Rechtsfehler begangen, als es das fragliche Universitätskrankenhaus allein deshalb als "pharmazeutisches Unternehmen" eingestuft hat, weil es ein Zentrum für Zelltherapie kontrollierte, das seinerseits die Kriterien des "pharmazeutischen Unternehmens" erfüllte.
Zur Harmonisierung des Binnenmarkts sollte für neue Arzneimittel das zentralisierte Genehmigungsverfahren der Union auch für Arzneimittel für seltene Leiden vorgeschrieben werden, damit Patienten mit seltenen Leiden denselben Anspruch auf Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln haben wie andere Patienten. Dem Unionsgesetzgeber ist durch die Verträge ein Ermessensspielraum hinsichtlich der zur Erreichung des angestrebten Ergebnisses am besten geeigneten Angleichungstechnik eingeräumt worden, insbesondere in den durch komplexe technische Besonderheiten gekennzeichneten Bereichen.
In einem Kontext, in dem die in Aussicht genommene Angleichung physikalische, chemische oder biologische Untersuchungen sowie die Berücksichtigung wissenschaftlicher Entwicklungen in Bezug auf die betreffende Materie erfordert, hat der Unionsgesetzgeber der EMA die Abwägung überlassen, die zwischen dem doppelten Erfordernis der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ihrer Sachverständigen und dem öffentlichen Interesse daran vorzunehmen ist, über den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln zu verfügen.
Deutschland und Estland haben dem EuG u.a. vorgeworfen, dadurch einen Rechtsfehler begangen zu haben, dass es das Universitätskrankenhaus einem "pharmazeutischen Unternehmen" im Sinne der EMA-Vorschriften, wonach eine Beschäftigung bei einem solchen Unternehmen grundsätzlich mit der Beteiligung an den Tätigkeiten der Agentur unvereinbar ist, gleichgesetzt habe. Hierzu ist festzustellen, dass Universitätskrankenhäuser ein Näheverhältnis zu einer Universität aufweisen, sich der Pflege, Lehre und Forschung widmen und sich nicht an der Vermarktung von Arzneimitteln beteiligen. Daraus ist zu schließen, dass ihr Ausschluss vom Begriff "pharmazeutisches Unternehmen" zur Herbeiführung eines Gleichgewichts zwischen der Notwendigkeit einer unparteiischen Prüfung der Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen und einer sorgfältigen und möglichst genauen wissenschaftlichen Prüfung beiträgt.
Es würde gegen das Unionsrecht verstoßen, wenn davon ausgegangen würde, dass das gesamte Personal eines Universitätskrankenhauses bei einem "pharmazeutischen Unternehmen" beschäftigt ist. Im Fall eines umfassenden Ausschlusses der Sachverständigen von Universitätskrankenhäusern, zu denen eine oder mehrere Einrichtungen gehören, die pharmazeutische Unternehmen darstellen könnten, von der Beteiligung an wissenschaftlichen Gutachten bestünde die Gefahr, dass Sachverständige mit vertieften medizinischen Kenntnissen, insbesondere im Bereich der Arzneimittel für seltene Leiden und der neuartigen Arzneimittel, knapp würden.
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EuGH PM Nr. 108 vom .6.2023
Gestützt auf das negative Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) lehnte die Kommission mit Beschluss vom 17.7.2018 (streitiger Beschluss) den Antrag des Unternehmens Pharma Mar auf Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels für seltene Leiden Aplidin ab. Dieses Arzneimittel, dessen Wirkstoff Plitidepsin ist, wurde zur Behandlung einer schweren Form von Knochenmarkkrebs entwickelt. Pharma Mar erhob daraufhin vor dem EuG Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.
Das EuG erklärte den streitigen Beschluss für nichtig. Es kam zu dem Ergebnis, dass das Verfahren, das zu seinem Erlass geführt habe, keine hinreichenden Garantien geboten habe, um jeden berechtigten Zweifel in Bezug auf eine etwaige Voreingenommenheit der an der Bewertung des Arzneimittels beteiligten Sachverständigen auszuschließen, von denen zwei an einem Universitätskrankenhaus tätig waren. Auf die Rechtsmittel von Deutschland und Estland hob der EuGH das Urteil des EuG auf und verwies die Sache dorthin zurück.
Die Gründe:
Das EuG hat einen Rechtsfehler begangen, als es das fragliche Universitätskrankenhaus allein deshalb als "pharmazeutisches Unternehmen" eingestuft hat, weil es ein Zentrum für Zelltherapie kontrollierte, das seinerseits die Kriterien des "pharmazeutischen Unternehmens" erfüllte.
Zur Harmonisierung des Binnenmarkts sollte für neue Arzneimittel das zentralisierte Genehmigungsverfahren der Union auch für Arzneimittel für seltene Leiden vorgeschrieben werden, damit Patienten mit seltenen Leiden denselben Anspruch auf Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln haben wie andere Patienten. Dem Unionsgesetzgeber ist durch die Verträge ein Ermessensspielraum hinsichtlich der zur Erreichung des angestrebten Ergebnisses am besten geeigneten Angleichungstechnik eingeräumt worden, insbesondere in den durch komplexe technische Besonderheiten gekennzeichneten Bereichen.
In einem Kontext, in dem die in Aussicht genommene Angleichung physikalische, chemische oder biologische Untersuchungen sowie die Berücksichtigung wissenschaftlicher Entwicklungen in Bezug auf die betreffende Materie erfordert, hat der Unionsgesetzgeber der EMA die Abwägung überlassen, die zwischen dem doppelten Erfordernis der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ihrer Sachverständigen und dem öffentlichen Interesse daran vorzunehmen ist, über den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln zu verfügen.
Deutschland und Estland haben dem EuG u.a. vorgeworfen, dadurch einen Rechtsfehler begangen zu haben, dass es das Universitätskrankenhaus einem "pharmazeutischen Unternehmen" im Sinne der EMA-Vorschriften, wonach eine Beschäftigung bei einem solchen Unternehmen grundsätzlich mit der Beteiligung an den Tätigkeiten der Agentur unvereinbar ist, gleichgesetzt habe. Hierzu ist festzustellen, dass Universitätskrankenhäuser ein Näheverhältnis zu einer Universität aufweisen, sich der Pflege, Lehre und Forschung widmen und sich nicht an der Vermarktung von Arzneimitteln beteiligen. Daraus ist zu schließen, dass ihr Ausschluss vom Begriff "pharmazeutisches Unternehmen" zur Herbeiführung eines Gleichgewichts zwischen der Notwendigkeit einer unparteiischen Prüfung der Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen und einer sorgfältigen und möglichst genauen wissenschaftlichen Prüfung beiträgt.
Es würde gegen das Unionsrecht verstoßen, wenn davon ausgegangen würde, dass das gesamte Personal eines Universitätskrankenhauses bei einem "pharmazeutischen Unternehmen" beschäftigt ist. Im Fall eines umfassenden Ausschlusses der Sachverständigen von Universitätskrankenhäusern, zu denen eine oder mehrere Einrichtungen gehören, die pharmazeutische Unternehmen darstellen könnten, von der Beteiligung an wissenschaftlichen Gutachten bestünde die Gefahr, dass Sachverständige mit vertieften medizinischen Kenntnissen, insbesondere im Bereich der Arzneimittel für seltene Leiden und der neuartigen Arzneimittel, knapp würden.
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