15.06.2020

Territoriale Beschränkung der Deckung der Haftpflichtversicherung in Vertrag zwischen Medizinproduktehersteller und Versicherung wirksam

Das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gem. Art. 18 Abs. 1 AEUV kann nicht geltend gemacht werden, um eine Klausel anzufechten, die in einem zwischen einem Hersteller von Medizinprodukten und einer Versicherungsgesellschaft geschlossenen Vertrag die Deckung der Haftpflichtversicherung territorial beschränkt. Ein solcher Sachverhalt fällt nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht in dessen Anwendungsbereich.

EuGH v. 11.6.2020 - C-581/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin, eine in Deutschland wohnende deutsche Staatsangehörige, ließ sich im Jahr 2006 in Deutschland Brustimplantate einsetzen, die von der Poly Implant Prothèses SA (im Folgenden: PIP), einer Gesellschaft mit Sitz in Frankreich, hergestellt worden waren. Seit 1997 hatte PIP die beklagte TÜV Rheinland LGA Products GmbH gem. der Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte mit der Bewertung des Qualitätssicherungssystems beauftragt, das für die Entwicklung, Herstellung und Endkontrolle der von ihr hergestellten Brustimplantate geschaffen worden war. Nach mehreren bei PIP durchgeführten Inspektionen hatte TÜV Rheinland das Qualitätssicherungssystem genehmigt und die EG-Prüfungsbescheinigungen erneuert, die die Konformität der Brustimplantate mit den Anforderungen der Richtlinie garantieren.

Des Weiteren hatte PIP mit dem Unternehmen AGF IARD SA, deren Nachfolgerin die ebenfalls beklagte Allianz IARD SA ist, einen Versicherungsvertrag abgeschlossen, der ihre Haftpflicht wegen der Herstellung der Brustimplantate abdeckte. Der Vertrag enthielt eine Klausel, die die geografische Reichweite des Versicherungsschutzes auf im metropolitanen Frankreich oder in den französischen überseeischen Departements und Gebieten eingetretene Schadensfälle beschränkte. In 2010 stellte die Französische Agentur für die gesundheitliche Sicherheit von Gesundheitserzeugnissen fest, dass die von PIP hergestellten Brustimplantate mit nicht zugelassenem Industriesilikon befüllt waren. PIP wurde 2011 liquidiert. Des Weiteren empfahl das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Deutschland) den betroffenen Patientinnen im Jahr 2012, die von PIP hergestellten Implantate wegen der Gefahr ihres vorzeitigen Reißens und der Entzündungswirkung des verwendeten Silikons vorsorglich entfernen zu lassen.

Die Klägerin erhob in Deutschland eine Schadensersatzklage, die sich gegen den beklagten Arzt, der ihr die fehlerhaften Brustimplantate eingesetzt hatte, sowie die weiteren Beklagten TÜV Rheinland und Allianz als Gesamtschuldner richtete. Sie macht u.a. geltend, dass ihr nach französischem Recht ein Direktanspruch gegen Allianz zustehe, obwohl der Versicherungsvertrag eine Klausel enthalte, die den Versicherungsschutz auf in Frankreich eingetretene Schadensfälle beschränke, da diese Klausel gegen das Unionsrecht verstoße.

Das LG wies die Klage ab. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Das mit der Sache befasste OLG fragt sich, ob diese Klausel mit dem Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 18 Abs. 1 AEUV vereinbar sei. Es hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Gründe:
Nach ständiger Rechtsprechung hängt die Anwendung von Art. 18 Abs. 1 AEUV (auf die vorliegende Rechtssache) davon ab, dass zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind: Der Sachverhalt, der der geltend gemachten Diskriminierung zugrunde liegt, muss in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und auf diesen Sachverhalt darf kein in den Verträgen vorgesehenes besonderes Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit anwendbar sein.

Um zu ermitteln, ob die erste Voraussetzung vorliegend erfüllt ist, war zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren fragliche Sachverhalt unionsrechtlich geregelt ist. Im sekundären Unionsrecht (insbesondere in den Richtlinien 93/42 und 85/3743) existiert keine Bestimmung, die einen Hersteller von Medizinprodukten dazu verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung zur Deckung von Risiken abzuschließen, die mit Medizinprodukten verbunden sind, oder die eine solche Versicherung regelt. Die Haftpflichtversicherung der Hersteller von Medizinprodukten für Schäden im Zusammenhang mit diesen Produkten ist durch das Unionsrecht nach dessen gegenwärtigen Stand also nicht geregelt.

Weiterhin war zu prüften, ob die fragliche Situation dadurch in den Anwendungsbereich einer der im AEU Vertrag geregelten Grundfreiheiten fällt, dass zwischen dieser Situation und einer solchen Grundfreiheit ein konkreter Bezug besteht, der es ermöglicht, die Situation in den Anwendungsbereich der Verträge i.S.v. Art. 18 Abs. 1 AEUV einzubeziehen. Hinsichtlich der Freizügigkeit der Unionsbürger ist festzustellen, dass die Klägerin vorliegend von ihrer Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, da sie die Zahlung einer Versicherungsentschädigung wegen der Schäden beansprucht, die durch das Einsetzen von Brustimplantaten in dem Mitgliedstaat, in dem sie wohnt, verursacht wurden, so dass kein konkreter Bezug der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Situation zu dieser Freiheit besteht.

Im Hinblick auf den freien Dienstleistungsverkehr ist festzuhalten, dass der fragliche Sachverhalt auch keinen konkreten Bezug zu dieser Freiheit aufweist, zum einen weil die Klägerin in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat medizinische Leistungen erhalten hat und zum anderen weil der in Rede stehende Versicherungsvertrag zwischen zwei Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, vorliegend Frankreich, geschlossen wurde. Was den freien Warenverkehr angeht, gilt, dass der Ausgangsrechtsstreit nicht den grenzüberschreitenden Warenverkehr als solchen betrifft - und im Übrigen der grenzüberschreitende Verkehr der fraglichen Brustimplantate durch keine diskriminierende Beschränkung beeinträchtigt wurde -, sondern die Schäden, die durch Waren verursacht wurden, die Gegenstand eines solchen Verkehrs waren. Folglich weist der fragliche Sachverhalt auch keinen konkreten Bezug zum freien Warenverkehr auf.

Daher ist der EuGH zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts i.S.v. Art. 18 Abs. 1 AEUV fällt, so dass die Anwendung dieser Bestimmung auf die vorliegende Rechtssache ausgeschlossen ist.
EuGH PM Nr. 69 vom 11.6.2020
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