Überprüfung eines Infrastrukturnutzungsentgelts für die Nutzung von Eisenbahnstationen
BGH v. 29.1.2019 - KZR 12/15Die beklagte DB Station & Service AG, eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG, ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen i.S.d. § 2 Abs. 1 AEG. Sie unterhält etwa 5.400 Bahnhöfe (Verkehrsstationen) in Deutschland. Die klagende Die Länderbahn GmbH DLB, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, nutzt Verkehrsstationen der Beklagten im Rahmen des Schienenpersonennahverkehrs. Die Parteien streiten über die Höhe des dafür zu entrichtenden Entgelts. Die Beklagte schließt mit den Eisenbahnverkehrsunternehmen, die die von ihr vorgehaltene Infrastruktur in Anspruch nehmen wollen, jeweils Rahmenverträge über die Stationsnutzung ab. Darin nimmt sie hinsichtlich der Höhe der Nutzungsentgelte Bezug auf ihre jeweils gültige Stationspreisliste (Stationspreissystem, SPS). Die Einzelnutzungen der Bahnhöfe werden in gesonderten Stationsnutzungsverträgen geregelt.
Die Parteien schlossen im November 1998 einen derartigen Rahmenvertrag. Damals galt das Preissystem 1999 (SPS 99), das Preise für jeden Bahnhof unter Berücksichtigung u.a. der Kosten des Betriebs dieses Bahnhofs vorsah. Zum 1.1.2005 führte die Beklagte ein neues Preissystem (SPS 05) ein. Danach wurden die Preise nach bestimmten Preiskategorien und bezogen auf die jeweiligen Bundesländer pauschal ermittelt. Die Klägerin, für die das neue System zu Preiserhöhungen führte, zahlte die Erhöhungsbeträge ab dem 1.1.2005 nur noch unter Vorbehalt. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Rückzahlung von rd. 750.000 €; das sind die von ihr gezahlten Stationsnutzungsentgelte für November 2006 bis Februar 2008, soweit sie über die Entgelte nach dem Preissystem 1999 hinausgehen.
Das LG gab der Klage i.H.v. rd. 600.000 € statt und wies sie im Übrigen ab. Das OLG verurteilte die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von rd. 470.000 €. Dagegen wehren sich beide Parteien mit den vom erkennenden Senat zugelassenen Revisionen. Der Senat hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, das er zurückgenommen hat, nachdem der EuGH auf eine Vorlage des LG Berlin das Urteil vom 9.11.2017 in der Sache CTL Logistics GmbH gegen DB Netz AG (C-489/15) erlassen hat. Die Klägerin beantragte im November 2018 bei der Bundesnetzagentur u.a. die nachträgliche Überprüfung der Stationsnutzungsentgelte für den Zeitraum November 2006 bis Februar 2008.
Der BGH setzte das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung der Bundesnetzagentur aus.
Die Gründe:
Es erscheint sachgerecht, die Verhandlung gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung der Bundesnetzagentur auszusetzen.
Das OLG hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Klägerin ein Rückzahlungsanspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) zustehe, soweit die geleisteten Zahlungen die in das Jahr 2004 fortgeschriebenen Entgelte nach dem SPS 99 zzgl. eines der allgemeinen Teuerungsrate entsprechenden Zuschlags überstiegen. Das SPS 05 sei nicht maßgebend, weil es im Verhältnis der Parteien weder vereinbart noch von der Beklagten wirksam einseitig festgelegt worden sei. Zwar habe der Beklagten ein einseitiges Preisbestimmungsrecht zugestanden. Die in Ausübung dieses Rechts angeordnete Geltung des SPS 05 sei für die Klägerin aber nicht verbindlich, weil sie nicht billigem Ermessen entspreche (§ 315 BGB). Ob diese Beurteilung der revisionsrechtlichen Nachprüfung standhält, hängt zunächst von der Entscheidung der Bundesnetzagentur ab. Der geltend gemachte Bereicherungsanspruch besteht, wie das OLG zu Recht angenommen hat, nicht schon deshalb, weil sich die Parteien nicht auf die von der Beklagten in den Jahren 2006 bis 2008 vorgegebenen Stationsentgelte geeinigt haben. Unterbleibt eine Einigung über das Entgelt und wird die vertragliche Nutzung gleichwohl durchgeführt, so ist die Vertragslücke im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot (§ 14 Abs. 1 Satz 1 AEG) durch Rückgriff auf die von der Beklagten erstellten Entgeltlisten zu schließen, sofern deren Heranziehung keine sonstigen Rechtsgründe entgegenstehen.
An der bisherigen Rechtsprechung des BGH, nach der das jeweilige Preissystem der Beklagten - wie anderer Eisenbahninfrastrukturunternehmen - im Rechtsstreit um einen Zahlungsanspruch des Infrastrukturunternehmens oder einen Rückzahlungsanspruch des Eisenbahnverkehrsunternehmens daraufhin zu überprüfen ist, ob die festgelegten Entgelte billigem Ermessen entsprechen, kann jedenfalls dann nicht festgehalten werden, wenn die Überprüfung der Entgelte durch die Bundesnetzagentur eine effektive Durchsetzung des Anspruchs der Eisenbahnverkehrsunternehmen auf einen diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur ermöglicht und einen fairen Wettbewerb bei der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen sicherstellt. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 9.11.2017 zu Trassenentgelten entschieden, dass die Normen der Richtlinie 2001/14/EG über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung wie der des § 315 BGB entgegenstehen, wonach die Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr von den ordentlichen Gerichten im Einzelfall auf Billigkeit überprüft und ggf. unabhängig von der in Art. 30 der Richtlinie 2001/14 vorgesehenen Überwachung durch die Regulierungsstelle abgeändert werden können.
Die mit der Überwachung einer effizienten Verwaltung und der gerechten und nicht diskriminierenden Nutzung von Eisenbahnfahrwegen betraute und zugleich als Beschwerdestelle fungierende Regulierungsstelle kann von einem Antragsteller befasst werden, der der Auffassung ist, ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein; Gegenstand der Beschwerde können insbesondere Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers zur Höhe oder Struktur der zu zahlenden Wegeentgelte sein (Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie). Die Regulierungsstelle hat also nicht nur die im Einzelfall anwendbaren Entgelte zu beurteilen; sie hat auch dafür Sorge zu tragen, dass die Gesamtheit der Entgelte, d.h. die Entgeltregelung, mit der Richtlinie in Einklang steht. Die zentrale Überwachung durch die Regulierungsstelle, die dafür Sorge trägt, dass die Entgelte nicht diskriminierend sind, entspricht nach der Entscheidung des EuGH dem Grundsatz, dass die zentrale Entgeltfestlegung unter Beachtung des Diskriminierungsverbots vom Betreiber vorgenommen wird. Eine mit dieser Überwachung durch die Regulierungsstelle kollidierende Entgeltüberprüfung im Zivilrechtsstreit widerspricht danach dem Überwachungskonzept der Richtlinie, insbesondere, aber nicht nur dann, wenn sie zur Entgeltüberprüfung Maßstäbe heranzieht, die in der Richtlinie nicht vorgesehen sind. Diese Auslegung des Unionsrechts ist auch dann zu beachten, wenn, wie hier, keine Wegeentgelte in Streit stehen.
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