Unangemessene Benachteiligung im Rahmen einer Akquise-Vereinbarung
OLG Hamm v. 6.7.2023 - 18 U 107/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Dienstleisterin für Immobilienmakler, so vermittelt sie u.a. gegen Entgelt Erstkontakte zu potentiellen Verkäufern von Immobilien. Die Beklagte ist eine 2019 gegründete Immobilienvermittlerin und hatte am 20.2.2020 mit der Klägerin die streitgegenständliche Akquise-Vereinbarung abgeschlossen, um für ihr Start-Up-Unternehmen neue, aussichtsreiche Kunden zu gewinnen. Mit E-Mail vom 23.2.2020 übersandte die Klägerin der Beklagten eine erste Rechnung, mit der sie die Einrichtungsgebühr (netto 149,95 €), die kalendermonatlichen Pauschalen (Grundgebühren) für März 2020, April 2020 und Mai 2020 (jeweils netto 59,50 €) und 1.041 Chiffre-Kontakte (jeweils netto 3,50 €) in Rechnung stellte. Der Gesamtbetrag belief sich auf 4.728,23 € (brutto).
Der Geschäftsführer der Beklagten wies nach Erhalt der Rechnung per E-Mail darauf hin, dass ihn die hohe Anzahl der Chiffre-Anzeigen irritiere, und monierte, dass hierüber nicht gesprochen worden sei. Er bat darum, dass die Klägerin nichts unternehmen solle, bevor dies nicht geklärt sei. Der per Lastschriftermächtigung eingezogene Betrag wurde zurückgebucht. Nach mehreren Telefonaten, in denen die Klägerin ihr Unverständnis äußerte, bot sie eine Vertragsänderung mit Reduzierung der Chiffre-Kontakte und einer monatlichen Flatrate i.H.v. 450 € an.
Die Beklagte reagierte nicht mehr. Vielmehr erklärte sie am 27.2.2020 die Anfechtung der Akquise-Vereinbarung "wegen arglistiger Täuschung und Irrtum über den Inhalt der angeblich geschlossenen Akquise-Vereinbarung". Zudem erklärte sie die sofortige außerordentliche Kündigung, hilfsweise die erneute ordentliche Kündigung der Vereinbarung. Den Rechnungsbetrag von mittlerweile rund 13.902 € bezahlte die Beklagte nicht.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Akquise-Vereinbarung wirksam angefochten. Der Klägerin habe eine Offenbarungspflicht hinsichtlich der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verfügbaren Chiffre-Anzeigen oblegen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die Entscheidung abgeändert und der Klage teilweise stattgegeben.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 1305,44 € aus §§ 675, 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 10 der Akquise-Vereinbarung. Diese war weder durch die Beklagte wirksam angefochten worden noch im Hinblick auf die Vergütungsvereinbarung für die von der Klägerin zu leistenden Dienste wegen unangemessener Benachteiligung der Beklagten gem. § 307 Abs. 1 S. 2 i. V. m. S. 1 BGB unwirksam.
Der Geschäftsführer der Beklagten hatte zwar erklärt, dass er nicht damit gerechnet habe, dass derart viele Vermieter angeschrieben werden könnten. Dies hänge auch damit zusammen, dass er nicht davon ausgegangen sei, dass sämtliche im Internet angebotenen Immobilien angeschrieben würden. Hierbei handelte es sich jedoch um einen unbeachtlichen Motivirrtum (Kalkulationsirrtum), der den Erklärenden nicht zur Anfechtung berechtigt. Ein Irrtum der Beklagten dahingehend, dass der objektive Sinngehalt ihrer Erklärung nicht mit ihrem Willen übereinstimmte, war nicht dargelegt worden. Die Regelungen zur Vergütung der Dienstleistung Chiffre-Kontakt war zudem nicht gem. § 307 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 BGB unwirksam. Sie genügten vielmehr den Anforderungen des Transparenzgebots, das unabhängig davon anwendbar ist, ob die Bestimmung auch in sonstiger Weise einer Inhaltskontrolle unterliegt.
Infolgedessen ergab sich insgesamt ein Anspruch der Klägerin i.H.v. 1305,44 € (390,32 € brutto für die Einrichtungsgebühr und die Monatspauschalen, 820,51 € brutto für 197 Anschreiben zu je 3,50 € netto sowie 94,61 € für zwei vereinbarte Termine zu je 39,75 € netto). Darüber hinaus war die Klage abzuweisen. § 9 der Akquise-Vereinbarung, auf den die Klägerin den Zahlungsanspruch gestützt hatte, war gem. § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil die Beklagte hierdurch unangemessen benachteiligt wurde. Gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel vor, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Und dies war hier der Fall.
Klauseln, die dem Verwender von AGB einen Schadensersatz auch in den Fällen zusprechen, in denen der Vertragspartner eine Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, verstoßen gegen § 307 Abs. 1 BGB, da es zu den wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts zählt, dass Schadensersatz auf vertraglicher Grundlage nur verlangt werden kann, wenn der Schuldner eine Pflichtverletzung zu vertreten hat. Eine solche lag hier aber durch Ausspruch einer ordentlichen Kündigung nicht vor. Die Regelung könnte daher auch dazu führen, den Vertragspartner grundsätzlich von einer Kündigung abzuhalten.
§ 309 Nr. 5a BGB gilt zwar nicht unmittelbar unter Kaufleuten, stellt jedoch eine Ausformung der Generalklausel des § 307 BGB dar und fließt für den kaufmännischen Verkehr als Wertungsmaßstab in die Inhaltskontrolle nach dieser Vorschrift ein. Regelmäßig, jedenfalls bei Kündigung vor Ablauf oder kurz nach Ablauf des ersten Monats, dürfte die Art der Berechnung des Schadensersatzes dazu führen, dass der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende entgangene Gewinn weit übertroffen wird. Denn bei Beginn des Vertrages wurden sämtliche zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Anzeigen in Printmedien und Internet und damit überproportional viele von der Klägerin angeschrieben. Diese hohe Anzahl war dann Grundlage für die von der Klägerin durchgeführte Durchschnittsberechnung für die weiteren Monate, obwohl bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vertrages sich die Anzahl der von der Klägerin anzuschreibenden Chiffre- Kontakte erheblich reduziert hätte. Auch dies führte zu einer unangemessenen Benachteiligung der Beklagten.
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Justiz NRW
Die Klägerin ist Dienstleisterin für Immobilienmakler, so vermittelt sie u.a. gegen Entgelt Erstkontakte zu potentiellen Verkäufern von Immobilien. Die Beklagte ist eine 2019 gegründete Immobilienvermittlerin und hatte am 20.2.2020 mit der Klägerin die streitgegenständliche Akquise-Vereinbarung abgeschlossen, um für ihr Start-Up-Unternehmen neue, aussichtsreiche Kunden zu gewinnen. Mit E-Mail vom 23.2.2020 übersandte die Klägerin der Beklagten eine erste Rechnung, mit der sie die Einrichtungsgebühr (netto 149,95 €), die kalendermonatlichen Pauschalen (Grundgebühren) für März 2020, April 2020 und Mai 2020 (jeweils netto 59,50 €) und 1.041 Chiffre-Kontakte (jeweils netto 3,50 €) in Rechnung stellte. Der Gesamtbetrag belief sich auf 4.728,23 € (brutto).
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§ 309 Nr. 5a BGB gilt zwar nicht unmittelbar unter Kaufleuten, stellt jedoch eine Ausformung der Generalklausel des § 307 BGB dar und fließt für den kaufmännischen Verkehr als Wertungsmaßstab in die Inhaltskontrolle nach dieser Vorschrift ein. Regelmäßig, jedenfalls bei Kündigung vor Ablauf oder kurz nach Ablauf des ersten Monats, dürfte die Art der Berechnung des Schadensersatzes dazu führen, dass der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende entgangene Gewinn weit übertroffen wird. Denn bei Beginn des Vertrages wurden sämtliche zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Anzeigen in Printmedien und Internet und damit überproportional viele von der Klägerin angeschrieben. Diese hohe Anzahl war dann Grundlage für die von der Klägerin durchgeführte Durchschnittsberechnung für die weiteren Monate, obwohl bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vertrages sich die Anzahl der von der Klägerin anzuschreibenden Chiffre- Kontakte erheblich reduziert hätte. Auch dies führte zu einer unangemessenen Benachteiligung der Beklagten.
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