04.09.2015

Unionsrecht steht italienischer Regelung zur Verzinsung zurückzuzahlender unzulässiger staatlicher Beihilfe nicht entgegen

Das Unionsrecht steht einer italienischen Regelung nicht entgegen, die durch Verweis auf eine damals noch nicht in Kraft getretene Unionsverordnung die Erhebung von Zinseszinsen bei der Rückforderung einer staatlichen Beihilfe vorsieht. Ein Mitgliedstaat muss, wenn er Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts erlässt, die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, wie die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beachten.

EuGH 3.9.2015, C-89/14
Der Sachverhalt:
Traditionell haben in Italien die Gemeinden in der Vergangenheit verschiedene Dienstleistungen in ihrem Gebiet erbracht. Dazu gehörten etwa die Wasserversorgung und -aufbereitung, Verkehrswesen, Gasversorgung usw. Diese Dienstleistungen konnten direkt oder durch Mittelspersonen, u.a. Gesellschaften mit öffentlicher Mehrheitsbeteiligung erbracht werden. Zu Beginn der 90er Jahre gewährte Italien diesen Unternehmen Steuerbefreiungen und Darlehen zu Vorzugsbedingungen. Die betroffenen Unternehmen wurden u.a. für drei Jahre von der Körperschaftsteuer befreit und konnten zinsvergünstigte Darlehen abschließen.

Im Juni 2002 hatte die Kommission festgestellt, dass diese Steuerbefreiungen eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellten. Sie forderte Italien auf, die streitigen Beihilfen zurückzufordern. Mehrere Unternehmen, darunter ASM Brescia und AEM, klagten daraufhin zusammen mit  Italien vor dem EuGH. Die Nichtigkeitsklagen blieben allerdings erfolglos (EuGH-Urt. v. 11.6.2009, Rs.: T-292/02 u.a.).

Mit einem Urteil vom 1.6.2006 hat der EuGH bereits festgestellt, dass Italien dadurch gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, dass es die Beihilfen nicht von den Empfängern zurückgefordert hatte. Auf dieses Urteil hin erließ Italien im Jahr 2008 die notwendigen Maßnahmen, um die in Rede stehenden Beihilfen zurückzufordern. Es sah in seinen Rechtsvorschriften u.a. durch einen Verweis auf eine 2004 (d.h. nach der Entscheidung der EU-Kommission aus dem Jahr 2002) in Kraft getretene Unionsverordnung vor, dass auf die zurückzufordernden Beträge Zinseszinsen erhoben werden. Infolgedessen verlangten die italienischen Behörden von den Gesellschaften ASM Brescia und AEM, die zwischenzeitlich zur Gesellschaft A2A fusioniert waren, die Zahlung von 170 Mio. € an geschuldeter Körperschaftsteuer, die sie aufgrund der von Italien gewährten Steuerbefreiung nicht entrichtet hatten, sowie die Zahlung von 120 Mio. € an nach der Zinseszinsformel berechneten Zinsen.

Auf die hiergegen gerichtete Klage der A2A wandte sich der mit der Rechtssache in letzter Instanz befasste Italienische Kassationsgerichtshof an den EuGH. Dieser entschied, dass die Gesellschaft A2A nicht nur die Hauptforderung von 170 Mio. € sondern auch nach der Zinseszinsformel berechnete Zinsen i.H.v. 120 Mio. € zurückzahlen muss.

Die Gründe:
Das Unionsrecht enthielt zum Zeitpunkt, zu dem die EU-Kommission die Rückforderung der Beihilfen angeordnet hatte, keine Angaben dazu, ob der Zinssatz nach der Zins- oder der Zinseszinsformel zu berechnen war. Da die Entscheidung über die Rückforderung der Beihilfen vor Inkrafttreten der betreffenden Unionsverordnung erlassen wurde, wurde die Frage, ob einfache Zinsen oder Zinseszinsen zu berechnen waren, zu diesem Zeitpunkt von keiner Bestimmung des Unionsrechts geregelt, vielmehr verwies die Praxis der Kommission zu dieser Frage auf das nationale Recht. Es hatte sich damit allein nach italienischem Recht zu bestimmen, ob der Zinssatz nach der Zins- oder der Zinseszinsformel zu berechnen war.

Ein Mitgliedstaat muss, wenn er Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts erlässt, die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, wie die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beachten. Zu prüfen war daher, ob die italienischen Rechtsvorschriften diese Grundsätze wahrten. Insofern stand der Grundsatz der Rechtssicherheit der rückwirkenden Anwendung einer Verordnung auf einen vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossenen Sachverhalt entgegen. Und auch wenn die neue Regelung nur für die Zukunft galt, wirkte sie sich auch auf die unter dem alten Recht entstandenen Sachverhalte aus.

Die Steuerbescheide, die die Anwendung von Zinseszinsen vorsahen, wurden A2A nach dem Inkrafttreten der italienischen Regelung bekannt gegeben, die die Berechnung der Zinsen nach der Zinseszinsformel vorsah. Da die in Rede stehende staatliche Beihilfe noch nicht zurückgefordert worden war und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der italienischen Regelung noch nicht einmal Gegenstand von Steuerbescheiden war, konnte nicht angenommen werden, dass sich diese Regelung auf einen zuvor abgeschlossenen Sachverhalt ausgewirkt hat. Somit hat die italienische Regelung keine Rückwirkung und beschränkt sich darauf, eine neue Regelung auf die künftigen Auswirkungen von unter Geltung der früheren Regelung entstandenen Sachverhalten anzuwenden.

In Anbetracht des großen Zeitraums zwischen dem Ergehen der Rückforderungsentscheidung der Kommission im Jahr 2002 und der von den italienischen Behörden erlassenen Rückforderungsanordnung gegen A2A im Jahr 2009 war ferner davon auszugehen, dass die Erhebung von Zinseszinsen ein besonders wirksames Mittel darstellt, um den Wettbewerbsvorteil zu neutralisieren, der den von der staatlichen Beihilfe begünstigten Unternehmen rechtswidrig gewährt wurde.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM v. 3.9.2015
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