25.10.2016

Unterlassungsschuldner hat für das Handeln selbständiger Dritter grundsätzlich nicht einzustehen

Ein auf den Vertrieb von Produkten gerichteter Unterlassungstenor umfasst nicht die Verpflichtung des Schuldners, diese Produkte von Händlern, die nicht in seine Vertriebsstruktur eingegliedert sind, zurückzurufen (Abgrenzung zu BGH-Urt. v. 19.11.2015, Az.: I ZR 109/14 - HOT SOX). Das Unterlassungsgebot macht den Schuldner nicht zum Garanten dafür, dass Dritte keine Rechtsverstöße begehen.

OLG Frankfurt a.M. 19.9.2016, 6 W 74/16
Der Sachverhalt:
Das LG hatte der Antragsgegnerin im September 2015 im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, im geschäftlichen Verkehr Verpackungen von Produkten zur Wundversorgung, die mit dem Kennzeichen "X" und/oder "X/Y" gekennzeichnet sind, ohne Zustimmung der Markeninhaberin durch Aufbringen eines Klebeetiketts zu verändern sowie veränderte Verpackungen abzugeben, in Verkehr zu bringen und zu bewerben. Das Verbot war auf § 14 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG und Art. 9 Abs. 1 S. 2 lit. a) UMV gestützt.

Außerdem hatte es der Antragsgegnerin untersagt, entsprechende Produkte in Verkehr zu bringen und/oder in Verkehr bringen zu lassen, denen eine wie im Beschluss wiedergegebene umgestaltete Gebrauchsinformation beigefügt ist, ohne für dieses Produkt im Hinblick auf den Umpackvorgang eine Konformitätsbewertung nach § 6 Abs. 2 MPG durchgeführt zu haben. Das Verbot war auf § 6 MPG i.V.m. §§ 8, 3a UWG gestützt. Die die einstweilige Verfügung war der Antragsgegnerin spätestens am 6.10.2015 zugestellt worden. Sie legte zwar Widerspruch ein, doch das LG hat die einstweilige Verfügung mit Urteil vom 22.1.2 016 bestätigt.

Auf Antrag der Antragstellerin vom 23.10.2015 hatte das LG gegen die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 6.6.2016 wegen Zuwiderhandlung gegen die mit einstweiliger Verfügung aus 2015 ausgesprochene Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld i.H.v. 1.800 € verhängt. Den Streitwert des Ordnungsmittelverfahrens hat es auf über 46.666 € festgesetzt. Gegen die Verhängung des Ordnungsgeldes und die Festsetzung des Streitwerts für das Vollstreckungsverfahren wandte sich die Antragsgegnerin mit der (sofortigen) Beschwerde.

Das OLG hat den angefochtenen Beschluss teilweise abgeändert. Den Vollstreckungsantrag der Antragstellerin aus 2015 zurückgewiesen. Die gegen die Streitwertfestsetzung gerichtete Beschwerde allerdings zurückgewiesen.

Die Gründe:
In der Sache hat nur die gegen die Verhängung des Ordnungsgeldes gerichtete Beschwerde Erfolg, da ein Verstoß gegen die einstweilige Verfügung nicht vorlag.

Entgegen der Ansicht des LG hat die Antragsgegnerin nicht dadurch gegen das gerichtliche Verbot verstoßen, dass sie keine Maßnahmen ergriffen hatte, um die rechtsverletzend gekennzeichneten Produkte von Großhändlern zurückzurufen, an die sie bereits vor Zustellung der einstweiligen Verfügung ausgeliefert worden waren. Bei den OLGs wird nicht einheitlich beurteilt, ob ein Vertriebsverbot im Regelfall auch die Obliegenheit umfasst, bereits ausgelieferte Ware vom Großhandel zurückzurufen. Teilweise wird dies zwar angenommen. So müsse der Unterlassungsschuldner aktiv tätig werden, um nach Kräften auch die Verletzung abzuwenden, die auf Grund bereits vorgenommener Handlungen drohe. Dies gelte selbst dann, wenn die Abnehmer nicht in die Vertriebsorganisation der Schuldnerin eingebunden wären.

Der BGH hat zu dem Meinungsstreit bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen. Seiner Entscheidung "HOT SOX" vom 19.11.2015 (Az.: I ZR 109/14), die einen Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO wegen einer zu Unrecht erwirkten Unterlassungsverfügung betrifft, ist allerdings zu entnehmen, dass sich das Verbot, bestimmte Produkte in den Verkehr zu bringen, nicht auf die Einstellung des Vertriebs beschränkt. Vielmehr obliege der Schuldnerin auch, die bereits an den Großhandel ausgelieferten Produkte zurückzurufen. Nach Ansicht des Senats ist die Streitfrage damit aber noch nicht entschieden. Der BGH hatte darüber zu befinden, ob ein Schuldner, der in Erfüllung einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen Verfügung Produkte zurückgerufen hat, hierfür vom Gläubiger Schadensersatz verlangen kann. Zum adäquat kausal verursachten und zurechenbaren Schaden gehören auch Maßnahmen, die der Schuldner - ggf. aufgrund nicht abschließend geklärter Rechtslage - für erforderlich halten durfte. Eine andere Frage ist, ob der Unterlassungstitel im Streitfall tatsächlich so weit greift.

Der Senat hält an der Auffassung fest, dass der Unterlassungsschuldner für das Handeln selbständiger Dritter grundsätzlich nicht einzustehen hat. Das Unterlassungsgebot ist nämlich nur an den Schuldner selbst gerichtet. Es macht ihn nicht zum Garanten dafür, dass Dritte keine Rechtsverstöße begehen. Einen Rückruf rechtsverletzender Ware kann der Gläubiger nur unter den Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 UWG bzw. unter den Voraussetzungen eines gesetzlich geregelten Rückrufanspruchs verlangen. Gerade die der Umsetzung von Art. 10 der Richtlinie 2004/48/EG (Durchsetzungsrichtlinie) dienende Einführung der genannten materiell-rechtlichen Rückrufansprüche spricht dafür, dass ein Unterlassungstitel eine derartige Verpflichtung noch nicht enthält; denn andernfalls hätte es der genannten Sonderregelungen nicht bedurft. Es lag auch kein so gravierender Rechtsverstoß vor, dass - etwa im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung - ausnahmsweise neben dem eigenen Vertriebsstopp weitergehende Maßnahmen zumutbar gewesen wären.

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