29.10.2015

Unvereinbar mit Unionsrecht: Frist für Einspruch gegen Vollstreckung von Hypotheken im Hinblick auf ein EuGH-Urteil

Die Frist für einen Einspruch gegen die Vollstreckung von Hypotheken, die in Spanien zum Zeitpunkt der Durchführung eines Urteils des EuGH bereits eingeleitet war, ist mit dem Unionsrecht unvereinbar. In diesen Fällen verfügten die Betroffenen zur Einlegung eines Einspruchs gegen die Zwangsvollstreckung über eine Ausschlussfrist von einem Monat, die bereits mit der Veröffentlichung der auf das Urteil des EuGH ergangenen Gesetzesnovelle im spanischen Amtsblatt zu laufen begann.

EuGH 29.10.2015, C-8/14
Hintergrund:
Nach der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag, den ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind und der Vertrag auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann. Der Richtlinie zufolge sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in den Verträgen zwischen Verbrauchern und Gewerbetreibenden ein Ende gesetzt wird.

Im Anschluss an die Verkündung des Urteils Aziz (EuGH 14.3.2013, C-415/11) änderte ein spanisches Gesetz u.a. das Verfahren der Vollstreckung in hypothekarisch belastete Sachen. Danach kann bei den nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleiteten Hypothekenvollstreckungsverfahren auf den Einspruch des Vollstreckungsschuldners, der auf die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel gestützt ist und innerhalb einer ordentlichen Frist von zehn Tagen ab dem Zeitpunkt der Mitteilung des Rechtsakts, der die Vollstreckung anordnet, eingelegt wird, das Verfahren bis zur Entscheidung über den Einspruch ausgesetzt werden.

Für Vollstreckungsverfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits eingeleitet waren, d.h. für die Verfahren, in denen die zehntägige Einspruchsfrist bereits begonnen hatte oder abgelaufen war, sieht dieses Gesetz eine Übergangsvorschrift vor. In diesen Fällen galt für die Betroffenen zur Einlegung eines Einspruchs gegen die Zwangsvollstreckung eine Ausschlussfrist von einem Monat, die ab dem auf die Veröffentlichung des Gesetzes im spanischen Amtsblatt folgenden Tag zu laufen begann.

Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft einen Rechtstreit zwischen der spanischen Bank BBVA und drei Verbrauchern, die Einspruch gegen ein Hypothekenvollstreckungsverfahren eingelegt haben, das vor dem Inkrafttreten des spanischen Gesetzes eingeleitet wurde. Die Verbraucher machen vor einem Gericht in Spanien geltend, dass die Ausschlussfrist von einem Monat mit der Richtlinie unvereinbar sei.

Die Frist sei für die Gerichte, die den Inhalt der hypothekarisch gesicherten Darlehens- oder Kreditverträge bei der Vollstreckung von Amts wegen zu prüfen hätten, nicht ausreichend, und erst recht nicht für die Verbraucher, die ggf. die Missbräuchlichkeit einzelner Klauseln dieser Verträge geltend zu machen hätten. Außerdem werde, da die Ausschlussfrist von einem Monat mit der Veröffentlichung des Gesetzes im spanischen Amtsblatt in Lauf gesetzt werde und nicht mit einer individuellen Benachrichtigung, der Zugang der Verbraucher zu den Gerichten sehr erschwert, selbst wenn sie einen Rechtsbeistand hätten.

Das spanische Gericht möchte vom EuGH wissen, ob die Richtlinie der in dem spanischen Gesetz vorgesehenen Frist von einem Monat entgegensteht.

Die Gründe:
Die Richtlinie steht der spanischen Übergangsbestimmung entgegen.

Eine Ausschlussfrist von einem Monat für die Einlegung eines Einspruchs reicht faktisch grundsätzlich aus, um einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzulegen. Sie erweist sich insoweit gegenüber den berührten Rechten und Belangen als angemessen und verhältnismäßig. Der Effektivitätsgrundsatz wird durch die Dauer dieser Frist nicht beeinträchtigt. Allerdings verstößt das Mittel, das der Gesetzgeber gewählt hat, um die Frist in Gang zu setzen, nämlich die Veröffentlichung des Gesetzes im spanischen Amtsblatt, gegen den Effektivitätsgrundsatz.

Denn die Verbraucher wurden zum Zeitpunkt der Einleitung des gegen sie gerichteten Vollstreckungsverfahrens mit einer an sie persönlich gerichteten individuellen Mitteilung über ihr Recht informiert, innerhalb einer Frist von zehn Tagen ab dieser Mitteilung Einspruch einzulegen. Die Verbraucher konnten nicht vernünftigerweise damit rechnen, eine neue Möglichkeit zur Einlegung eines Einspruchs zu erhalten, da sie nicht auf demselben verfahrensrechtlichen Weg darüber informiert worden waren wie jenem, auf dem sie die ursprüngliche Information erhalten hatten.

Indem die in Rede stehende Übergangsbestimmung vorsieht, dass die Ausschlussfrist beginnt, ohne dass die betroffenen Verbraucher persönlich darüber informiert werden, dass sie einen neuen Einspruchsgrund im Rahmen eines bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes eingeleiteten Vollstreckungsverfahrens geltend machen können, ist sie nicht geeignet, die volle Ausschöpfung dieser Frist zu gewährleisten, und infolgedessen auch nicht die effektive Wahrnehmung des mit der spanischen Gesetzesänderung zuerkannten Rechts.

Unter Berücksichtigung des Ablaufs, der Besonderheit und der Komplexität des Verfahrens und der anwendbaren Rechtsvorschriften besteht eine erhebliche Gefahr, dass die Frist abläuft, ohne dass die betroffenen Verbraucher ihre Rechte wirksam und zweckdienlich gerichtlich geltend machen können, insbesondere weil sie in Wirklichkeit den genauen Umfang ihrer Rechte nicht kennen oder nicht richtig erfassen.

Linkhinweis:

Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 130 vom 29.10.2015
Zurück