Unwirksamkeit eines kapitalmarktabhängigen Stornoabzugs
OLG Koblenz v. 5.12.2024 - 2 UKl 1/23
Der Sachverhalt:
Beim Kläger handelt es sich um eine Verbraucherzentrale, die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen, das u.a. Lebens- und Rentenversicherungen vertreibt. Die Parteien stritten über die Wirksamkeit eines kapitalmarktabhängigen Stornoabzugs. Die Allgemeinen Bedingungen für die Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung nach Tarif A2 (ABAR-T 01/2022) der Beklagten bestimmen unter der Überschrift "§ 16 Wann können Sie den Vertrag kündigen und welche Leistungen erbringen wir?". Demnach soll u.a. der (Storno-)Abzug von der Entwicklung einer (zusätzlichen) Variablen abhängig sein, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht existiert, da sie erst zukünftig bestimmt und veröffentlicht wird. Je nach Kündigungsfrist stehen die Werte noch nicht einmal zum Zeitpunkt der Kündigung fest.
Eine identische Klausel fand sich in weiteren von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB), insbesondere in § 34 der Allgemeinen Bedingungen für eine Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung und Fondskomponenten nach Tarif ...2 (ABAR-IT 01/2022), in § 34 der Allgemeinen Bedingungen für eine Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung und Fondskomponenten nach Tarif ...6 (ABAR-IG 01/2022) sowie in § 14 der Allgemeinen Bedingungen für die Sterbegeldversicherung (ABL 01/2022).
Der Kläger nahm die Beklagte auf Unterlassung der vorgenannten Klausel in Anspruch. Das OLG gab der Klage statt.
Die Gründe:
Die Zuständigkeit des OLG folgte aus einer am Normzweck ausgerichteten Auslegung des § 6 Abs. 1 S. 1 UKlaG in der seit 13.10.2023 geltenden Fassung. Danach erfassen "Klagen nach diesem Gesetz" auch den Unterlassungsanspruch flankierende Annexanträge zumindest dann, wenn diese gemeinsam mit dem Unterlassungsanspruch in einer Klage geltend gemacht werden. Andernfalls würde der mit der Novellierung des Gesetzes verfolgte Zweck unterlaufen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die OLG für die Klagen in erster Instanz ausschließlich zuständig sein, um die Verfahren zu beschleunigen.
Es besteht ein Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG. Bei den von der Beklagten verwendeten AVB handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 BGB. Die monierte Klausel ist unwirksam. Das folgt zunächst aus § 307 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 BGB, denn die Klausel ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des § 169 Abs. 5 S. 1 VVG, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren. Die Norm bestimmt, dass der Versicherer zu einem Abzug von dem (nach § 169 Abs. 3 und 4 VVG berechneten) Rückkaufswert nur berechtigt ist, wenn er vereinbart, beziffert und angemessen ist.
Die streitgegenständliche Stornoabzugsklausel wird diesen Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Zwar wird überwiegend angenommen, dass der Begriff der Bezifferung nicht dahin gehend zu verstehen ist, dass eine ausdrückliche Angabe in Euro verlangt wird; zulässig sollen auch prozentuale Angaben sein, solange der Versicherungsnehmer die Höhe des Stornoabzugs rechnerisch mit Leichtigkeit selbst überprüfen könne. Die hier gewählte Formulierung sieht indes nicht einen prozentualen (beispielsweise jährlichen) Zinsabschlag vor, sondern macht den (Storno-)Abzug von der Entwicklung einer (zusätzlichen) Variablen abhängig, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht existiert, da sie erst zukünftig bestimmt und veröffentlicht wird. Je nach Kündigungsfrist stehen die Werte noch nicht einmal zum Zeitpunkt der Kündigung fest.
Der Stornoabzug kann dann nicht mehr als beziffert i.S des Gesetzes bezeichnet werden, wenn - wie vorliegend - auf einen im Zeitlauf stetiger Veränderung unterliegenden Referenzzinssatz (Indexwert) verwiesen wird, der für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer angesichts seiner komplexen Berechnungsmodalitäten nicht mehr nachvollziehbar ist (vgl. Rückstellungsabzinsungsverordnung - RückAbzinsV - vom 18.11.2009; BGBl. I 3790) und zudem vom Versicherer erst nach der tatsächlichen Kündigung des Versicherungsnehmers angegeben werden kann. Es tritt hinzu, dass die Abzüge je nach Kapitalmarktsituation um bis zu 15 % differieren und der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss nicht ansatzweise in der Lage sein kann, die damit verbundene wirtschaftliche Bedeutung zu überblicken.
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OLG Koblenz
Beim Kläger handelt es sich um eine Verbraucherzentrale, die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen, das u.a. Lebens- und Rentenversicherungen vertreibt. Die Parteien stritten über die Wirksamkeit eines kapitalmarktabhängigen Stornoabzugs. Die Allgemeinen Bedingungen für die Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung nach Tarif A2 (ABAR-T 01/2022) der Beklagten bestimmen unter der Überschrift "§ 16 Wann können Sie den Vertrag kündigen und welche Leistungen erbringen wir?". Demnach soll u.a. der (Storno-)Abzug von der Entwicklung einer (zusätzlichen) Variablen abhängig sein, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht existiert, da sie erst zukünftig bestimmt und veröffentlicht wird. Je nach Kündigungsfrist stehen die Werte noch nicht einmal zum Zeitpunkt der Kündigung fest.
Eine identische Klausel fand sich in weiteren von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB), insbesondere in § 34 der Allgemeinen Bedingungen für eine Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung und Fondskomponenten nach Tarif ...2 (ABAR-IT 01/2022), in § 34 der Allgemeinen Bedingungen für eine Rentenversicherung mit aufgeschobener Rentenzahlung und Fondskomponenten nach Tarif ...6 (ABAR-IG 01/2022) sowie in § 14 der Allgemeinen Bedingungen für die Sterbegeldversicherung (ABL 01/2022).
Der Kläger nahm die Beklagte auf Unterlassung der vorgenannten Klausel in Anspruch. Das OLG gab der Klage statt.
Die Gründe:
Die Zuständigkeit des OLG folgte aus einer am Normzweck ausgerichteten Auslegung des § 6 Abs. 1 S. 1 UKlaG in der seit 13.10.2023 geltenden Fassung. Danach erfassen "Klagen nach diesem Gesetz" auch den Unterlassungsanspruch flankierende Annexanträge zumindest dann, wenn diese gemeinsam mit dem Unterlassungsanspruch in einer Klage geltend gemacht werden. Andernfalls würde der mit der Novellierung des Gesetzes verfolgte Zweck unterlaufen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die OLG für die Klagen in erster Instanz ausschließlich zuständig sein, um die Verfahren zu beschleunigen.
Es besteht ein Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG. Bei den von der Beklagten verwendeten AVB handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 BGB. Die monierte Klausel ist unwirksam. Das folgt zunächst aus § 307 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 BGB, denn die Klausel ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des § 169 Abs. 5 S. 1 VVG, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren. Die Norm bestimmt, dass der Versicherer zu einem Abzug von dem (nach § 169 Abs. 3 und 4 VVG berechneten) Rückkaufswert nur berechtigt ist, wenn er vereinbart, beziffert und angemessen ist.
Die streitgegenständliche Stornoabzugsklausel wird diesen Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Zwar wird überwiegend angenommen, dass der Begriff der Bezifferung nicht dahin gehend zu verstehen ist, dass eine ausdrückliche Angabe in Euro verlangt wird; zulässig sollen auch prozentuale Angaben sein, solange der Versicherungsnehmer die Höhe des Stornoabzugs rechnerisch mit Leichtigkeit selbst überprüfen könne. Die hier gewählte Formulierung sieht indes nicht einen prozentualen (beispielsweise jährlichen) Zinsabschlag vor, sondern macht den (Storno-)Abzug von der Entwicklung einer (zusätzlichen) Variablen abhängig, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht existiert, da sie erst zukünftig bestimmt und veröffentlicht wird. Je nach Kündigungsfrist stehen die Werte noch nicht einmal zum Zeitpunkt der Kündigung fest.
Der Stornoabzug kann dann nicht mehr als beziffert i.S des Gesetzes bezeichnet werden, wenn - wie vorliegend - auf einen im Zeitlauf stetiger Veränderung unterliegenden Referenzzinssatz (Indexwert) verwiesen wird, der für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer angesichts seiner komplexen Berechnungsmodalitäten nicht mehr nachvollziehbar ist (vgl. Rückstellungsabzinsungsverordnung - RückAbzinsV - vom 18.11.2009; BGBl. I 3790) und zudem vom Versicherer erst nach der tatsächlichen Kündigung des Versicherungsnehmers angegeben werden kann. Es tritt hinzu, dass die Abzüge je nach Kapitalmarktsituation um bis zu 15 % differieren und der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss nicht ansatzweise in der Lage sein kann, die damit verbundene wirtschaftliche Bedeutung zu überblicken.
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