Urheberrechtliche Schutzfähigkeit eines Zeitungsartikels nach § 14 UrhG
LG Köln v. 10.8.2023 - 14 O 144/23Die Parteien streiten über urheberrechtliche Unterlassungsansprüche wegen der Veränderung eines von dem Verfügungskläger für die Verfügungsbeklagte erstellten Zeitungsartikels.
Der Verfügungskläger ist freier Schriftsteller. Die Verfügungsbeklagte ist Verlegerin der "Z. Zeitung". Im März 2023 beauftragte die Verfügungsbeklagte durch ihren Chefredakteur Herrn T., den Verfügungskläger mit dem Verfassen des streitgegenständlichen Zeitungsartikels für die "Z. Zeitung". Gegenstand des Artikels sollte der B.-Konzern sein.
Am 4.4.2023 übersendete der Verfügungskläger der Verfügungsbeklagten den angefragten Artikel. In der entsprechenden E-Mail forderte der Verfügungskläger, dass alle Änderungen am Text mit ihm abgesprochen werden müssten. Der gelieferte Artikel befasste sich (auch) mit den Verbindungen der Verteidigungspolitikerin H.-Y. zum B.-Konzern und ihrer möglichen Lobbyarbeit.
Am 10.4.2023 erschien der Text bei der "Z. Zeitung" online unter der Überschrift "B.: Wie der Ukraine-Krieg den Rüstungskonzern auf Erfolgskurs bringt". Einige Tage später bemerkte der Verfügungskläger, dass die Verfügungsbeklagte in der veröffentlichten Version des Artikels die folgenden Passagen entfernt hatte:
"Während V. diskret vorgeht, wurde die Journalistin F. H.-Y. (FDP) zur bekanntesten Rüstungs- und Kriegslobbyistin. Sie ist im Präsidium von FKH und DWT. Von 2008 bis 2014 war sie FDP-Fraktionsvorsitzende und Erste Bürgermeisterin in Düsseldorf, dem B.-Konzernsitz. Seit 2014 ist sie Vorsitzende des FDP-Kreisverbands in Düsseldorf. So wurde sie Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag. G. L. (CDU) vertritt den Wahlkreis Q. Da liegt der größte Produktionsstandort von B., Unterlüß."
"Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet."
Zudem hatte die Verfügungsbeklagte den Text um die Anmerkung ergänzt:
"Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version dieses Textes wurde auf die losen Verbindungen zwischen Marie-F. H.-Y. und dem B.-Konzern eingegangen. Die Ausführungen waren irreführend, daher haben wir sie gelöscht."
Der Verfügungskläger erwirkte eine einstweilige Verfügung, mit der der Verfügungsbeklagten untersagt wurde, den Artikel ohne die gestrichenen Passagen öffentlich zugänglich zu machen.
Das LG hat die einstweilige Verfügung bestätigt.
Die Gründe:
Es besteht ein Verfügungsanspruch. Bei dem Artikel des Verfügungsbeklagten handelt es sich um ein geschütztes Sprachwerk i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. Die Verfügungsbeklagte hat das Werk des Verfügungsklägers durch die Entfernung der im Tenor der Beschlussverfügung genannten Passagen ohne dessen Zustimmung verändert und es damit beeinträchtigt (§ 14 UrhG) bzw. in unzulässiger Weise verändert (§ 39 Abs. 1 UrhG). Die durch die Verfügungsbeklagte vorgenommenen Änderungen sind insbesondere nicht im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung bzw. über § 39 Abs. 2 UrhG als gerechtfertigt anzusehen.
Wie bereits in der Beschlussverfügung angesprochen, ist das Verhältnis zwischen § 14 UrhG und § 39 UrhG nicht abschließend geklärt. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, weil der Artikel durch die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Auslassungen i. S. d. § 14 UrhG beeinträchtigt wird. Von einer Entstellung bzw. sonstigen Beeinträchtigung gem. § 14 UrhG ist auszugehen, wenn der geistig-ästhetische Gesamteindruck des Werks beeinträchtigt wird, die Beeinträchtigung geeignet ist, die Interessen des Urhebers zu gefährden und eine Interessenabwägung zulasten des Beeinträchtigenden ausfällt.
Nach diesen Maßstäben liegt bei den im Tenor aufgeführten Auslassungen ein hinreichend relevanter Eingriff in den Gesamteindruck des Sprachwerks vor. In objektiver Hinsicht fehlen in der angegriffenen Fassung zum einen Ausführungen zur bekannten Verteidigungspolitikerin H.-Y. und zum anderen das abschließende Fazit zu dem Themenkomplex der politischen Verflechtungen von B. Das Fazit "Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet" zeichnet sich zudem - jedenfalls im Kontext des Gesamtwerks - durch eine besondere sprachliche Individualität und Originalität aus. Diese fußt auf einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsbeklagten und verstärkt den Eindruck einer individuellen Stellungnahme zum Thema. Durch die Auslassungen geht ein maßgeblicher Teil der Aussage des Artikels verloren, zumal die Verknüpfungen des Konzerns zu verschiedenen Personen des politischen Lebens in einer vom Verfügungskläger individuell und ohne Sachzwänge gewählten Abfolge dargestellt worden sind. Diese Teile waren gerade auch für die Verfügungsbeklagte von besonderer Bedeutung, hatte Herr T. den Verfügungsbeklagten doch explizit mit der Durchdringung der politischen Beziehungen von B. beauftragt ("Wer stürzt [sic] sie politisch?"). Insofern erscheint der Vortrag der Verfügungsbeklagten, die Änderungen seien geringfügig gewesen und hätten sich auf den unbedingt erforderlichen Umfang beschränkt, nicht tragfähig und sogar widersprüchlich.
Die Streichungen beeinträchtigen die Interessen des Verfügungsklägers. Dem Verfügungskläger wurde durch die veränderte Fassung ein Text zugeordnet, der in dieser Fassung nicht von ihm stammt. Aufgrund dessen muss er ggf. mit Kritik rechnen, etwa weil er nicht ausreichend recherchiert und die Beziehungen von Frau H.-Y. zu B. nicht ausreichend kritisch beleuchtet hätte. Damit könnte der vom Antragsteller nicht gewünschte Eindruck entstehen, er wäre parteiisch oder wollte bestimmte Personen schützen. Durch den Hinweis der Verfügungsbeklagten unter dem Artikel, dass die entfernten Teile irreführend gewesen seien, drohte dem Verfügungskläger zudem der Vorwurf der unsachgemäßen, ggf. tendenziösen Berichterstattung. Beides muss er grundsätzlich vor dem Hintergrund seiner urheberpersönlichkeitsrechtlichen Beziehung zu dem Sprachwerk nicht hinnehmen.
Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung überwiegen die Interessen des Verfügungsklägers die der Verfügungsbeklagten. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Gesamteindruck des Werks durch die Änderungen in journalistisch-erzählerischer wie in sprachlicher Hinsicht erheblich verändert wurde (s. o.) und die Urheberinteressen des Verfügungsklägers entsprechend schwerwiegend beeinträchtigt wurden. Die von der Verfügungsbeklagten vorgetragenen Gegeninteressen können diesen Eingriff nicht rechtfertigen.
Zu berücksichtigen sind vorliegend das Interesse der Antragsgegnerin, nicht durch Frau H.-Y. verklagt zu werden und diesbezüglich eine Opportunitätsentscheidung treffen zu können, und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Frau H.-Y. - insoweit hat die Verfügungsbeklagte entsprechende Gegendarstellungsverlangen von Frau H.-Y. nach Ansicht des Gerichts hinreichend glaubhaft gemacht.
Weil bereits eine Beeinträchtigung des Werks i. S. d. § 14 UrhG vorliegt, kann die Verfügungsbeklagte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Verfügungskläger seine Einwilligung zu den Änderungen nach Treu und Glauben nicht hätte versagen können, § 39 Abs. 2 UrhG.
Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeit als Voraussetzung des Verfügungsgrunds wird im Urheberrecht - anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG - zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist. Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben. So liegen die Dinge hier. Die Rechtsverletzung dauerte im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch an. Aufgrund der Aktualität des Artikels und der schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Urheberinteressen musste der Verfügungskläger sich vorliegend nicht auf das Hauptsacheverfahren verweisen lassen.
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