Verfahren zu Beschlüssen der Hauptversammlung der Volkswagen AG: Richterin wegen Beteiligung an Musterfeststellungsklage gegen VW befangen
BGH v. 10.12.2019 - II ZB 14/19
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung der Beklagten am 10.5.2017, mit denen der damalige Vorstandsvorsitzende, der Aufsichtsratsvorsitzende und ein Aufsichtsratsmitglied der Beklagten für das Geschäftsjahr 2016 entlastet worden sind.
Der Kläger hält die Entlastungsbeschlüsse u.a. bereits wegen des sog. "Dieselskandals" für anfechtbar. Er macht geltend, Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten trügen die uneingeschränkte Verantwortung für Manipulationen der Abgassteuerung bestimmter Dieselmotoren in von der Beklagten hergestellten und veräußerten Fahrzeugen; insbesondere hätten die drei entlasteten Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ihrer besonderen Verantwortung nicht entsprochen. Eine Entlastung habe u.a. deshalb nicht erfolgen dürfen, weil die Organe der Beklagten pflichtwidrig die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen die für den "Dieselskandal" verantwortlichen Personen unterlassen hätten.
Das LG wies die Klage mit Urteil vom 31.7.2018 ab. Dagegen legte die Beklagte Berufung ein. Nach Eingang der Berufungserwiderung zeigte die Vorsitzende Richterin gem. § 48 ZPO an, dass sie im Juli 2015 privat einen Pkw mit einem Motor der Baureihe EA 189 gekauft habe, der im September 2015 ausgeliefert worden sei, und sie sich im Dezember 2018 als Anmelderin gem. § 607 Abs. 1 Nr. 6, § 608 ZPO an der gegen die Beklagte gerichteten, auf Schadensersatz wegen manipulierter Abgassteuerungen zielenden Musterfeststellungsklage beteiligt habe. Die Beklagte lehnte die Vorsitzende Richterin daraufhin als befangen ab. Das OLG erklärte das Ablehnungsgesuch der Beklagten und die Selbstablehnung der Vorsitzenden Richterin für unbegründet.
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten hob der BGH den Beschluss des OLG auf und erklärte das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen die Vorsitzende Richterin am OLG für begründet.
Die Gründe:
Das OLG hat die Anmeldung der Vorsitzenden Richterin in dem gegen die Beklagte gerichteten Musterfeststellungsverfahren zu Unrecht nicht als Ablehnungsgrund gem. § 42 ZPO angesehen.
Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist u.a. dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen sei es auch nur mittelbaren wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht.
Eine Ablehnung wegen Befangenheit gem. § 42 Abs. 2 ZPO kann begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Nach § 41 Nr. 1 ZPO ist ein Richter kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes in Sachen ausgeschlossen, in denen er selbst Partei ist, weil niemand Richter in eigener Sache sein darf. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche geltend macht, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf ihr Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt.
Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor. Die Anmeldung der Vorsitzenden Richterin zum Musterfeststellungsverfahren gegen die Beklagte ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an ihrer Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit aufkommen zu lassen. Zwar haben die auf Schadensersatzansprüche von Fahrzeugkäufern gegen die Beklagte gerichtete Musterfeststellungsklage und die vorliegende Beschlussanfechtungsklage unterschiedliche Streitgegenstände im prozessualen Sinne, so dass es insoweit an einer Parallelität der beiden Verfahren fehlt. Entgegen der Ansicht des OLG besteht jedoch aufgrund der teilweisen Überschneidung der den beiden Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalte die Möglichkeit, dass in beiden Verfahren derselbe Sachverhalt zu beurteilen sein könnte.
Im weiteren Verlauf des vorliegenden Verfahrens kann unter Umständen zu beurteilen sein, ob Käufern von Fahrzeugen der Marken/Hersteller Volkswagen, Audi, Seat und Skoda mit einem Motor der Baureihe EA 189 wegen manipulierter Abgassteuerungen Ersatzansprüche gegen die Beklagte zustehen und der Beklagten das Handeln von Vorstandsmitgliedern oder Mitarbeitern aus dieser Zeit zuzurechnen ist. Derselbe Sachverhalt wird von den Anträgen der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erfasst.
BGH online
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung der Beklagten am 10.5.2017, mit denen der damalige Vorstandsvorsitzende, der Aufsichtsratsvorsitzende und ein Aufsichtsratsmitglied der Beklagten für das Geschäftsjahr 2016 entlastet worden sind.
Der Kläger hält die Entlastungsbeschlüsse u.a. bereits wegen des sog. "Dieselskandals" für anfechtbar. Er macht geltend, Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten trügen die uneingeschränkte Verantwortung für Manipulationen der Abgassteuerung bestimmter Dieselmotoren in von der Beklagten hergestellten und veräußerten Fahrzeugen; insbesondere hätten die drei entlasteten Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ihrer besonderen Verantwortung nicht entsprochen. Eine Entlastung habe u.a. deshalb nicht erfolgen dürfen, weil die Organe der Beklagten pflichtwidrig die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen die für den "Dieselskandal" verantwortlichen Personen unterlassen hätten.
Das LG wies die Klage mit Urteil vom 31.7.2018 ab. Dagegen legte die Beklagte Berufung ein. Nach Eingang der Berufungserwiderung zeigte die Vorsitzende Richterin gem. § 48 ZPO an, dass sie im Juli 2015 privat einen Pkw mit einem Motor der Baureihe EA 189 gekauft habe, der im September 2015 ausgeliefert worden sei, und sie sich im Dezember 2018 als Anmelderin gem. § 607 Abs. 1 Nr. 6, § 608 ZPO an der gegen die Beklagte gerichteten, auf Schadensersatz wegen manipulierter Abgassteuerungen zielenden Musterfeststellungsklage beteiligt habe. Die Beklagte lehnte die Vorsitzende Richterin daraufhin als befangen ab. Das OLG erklärte das Ablehnungsgesuch der Beklagten und die Selbstablehnung der Vorsitzenden Richterin für unbegründet.
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten hob der BGH den Beschluss des OLG auf und erklärte das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen die Vorsitzende Richterin am OLG für begründet.
Die Gründe:
Das OLG hat die Anmeldung der Vorsitzenden Richterin in dem gegen die Beklagte gerichteten Musterfeststellungsverfahren zu Unrecht nicht als Ablehnungsgrund gem. § 42 ZPO angesehen.
Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist u.a. dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen sei es auch nur mittelbaren wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht.
Eine Ablehnung wegen Befangenheit gem. § 42 Abs. 2 ZPO kann begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Nach § 41 Nr. 1 ZPO ist ein Richter kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes in Sachen ausgeschlossen, in denen er selbst Partei ist, weil niemand Richter in eigener Sache sein darf. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche geltend macht, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf ihr Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt.
Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor. Die Anmeldung der Vorsitzenden Richterin zum Musterfeststellungsverfahren gegen die Beklagte ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an ihrer Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit aufkommen zu lassen. Zwar haben die auf Schadensersatzansprüche von Fahrzeugkäufern gegen die Beklagte gerichtete Musterfeststellungsklage und die vorliegende Beschlussanfechtungsklage unterschiedliche Streitgegenstände im prozessualen Sinne, so dass es insoweit an einer Parallelität der beiden Verfahren fehlt. Entgegen der Ansicht des OLG besteht jedoch aufgrund der teilweisen Überschneidung der den beiden Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalte die Möglichkeit, dass in beiden Verfahren derselbe Sachverhalt zu beurteilen sein könnte.
Im weiteren Verlauf des vorliegenden Verfahrens kann unter Umständen zu beurteilen sein, ob Käufern von Fahrzeugen der Marken/Hersteller Volkswagen, Audi, Seat und Skoda mit einem Motor der Baureihe EA 189 wegen manipulierter Abgassteuerungen Ersatzansprüche gegen die Beklagte zustehen und der Beklagten das Handeln von Vorstandsmitgliedern oder Mitarbeitern aus dieser Zeit zuzurechnen ist. Derselbe Sachverhalt wird von den Anträgen der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erfasst.