14.07.2017

Verfassungsbeschwerde auf Bereitstellung von Akten im Gewahrsam Privater mangels Rechtswegerschöpfung erfolglos

Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde verworfen, die sich gegen die Versagung der Bereitstellung von Akten nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) richtet, wenn diese sich im Besitz privater Dritter, insbesondere in Archiven der Stiftungen politischer Parteien, befinden. Wenn die Akten nie an das Bundesarchiv gelangt sind, muss sich die Beschwerdeführerin zunächst an die für die Aktenführung zuständige Behörde halten und ggf. dieser gegenüber den Rechtsweg erschöpfen.

BVerfG 20.6.2017, 1 BvR 1978/13
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin ist Journalistin und Historikerin. Sie befasste sich mit den von der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1961 bis 1965 an Israel geleisteten finanziellen Wiedergutmachungen i.H.v. insgesamt 630 Mio. DM und der in diesem Zusammenhang geheim vereinbarten, sog. Aktion "Geschäftsfreund". Das hierzu verwendete Steuergeld soll ohne parlamentarische Legitimation und Kabinettsbeschluss ausgezahlt worden sein.

Im Rahmen ihrer Recherchen war die Beschwerdeführerin der Auffassung, dass hierzu Akten der Bundesregierung existieren, die vom Bundeskanzleramt für die Bundesregierung geführt worden waren. Diese teilweise als Verschlusssachen gekennzeichneten Akten sollen in den Besitz zweier privater Stiftungen gelangt sein. Die Beschwerdeführerin wandte sich an beide Einrichtungen mit der Bitte um Einsichtnahme; beide Institutionen lehnten dies jedoch ab.

Die Beschwerdeführerin wandte sich daraufhin an das Bundesarchiv mit dem Antrag, die amtlichen Unterlagen bereitzustellen und der Beschwerdeführerin Einsicht in diese zu gewähren. Der Präsident des Bundesarchivs teilte ihr mit, dass das Bundesarchiv nur solche Unterlagen bereitstellen könne, die bei ihm lagerten, und dies bei den von ihr begehrten Unterlagen nicht der Fall sei. Die Beschwerdeführerin verfolgte ihr Begehren gegenüber dem Bundesarchiv weiter und erhob Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland mit dem Antrag, die Bundesrepublik zu verpflichten, sämtliche amtlichen Unterlagen bereitzustellen und ihr die Erlaubnis zur Einsichtnahme zu erteilen.

VG und OVG wiesen die Klage ab. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies das BVerwG zurück. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin, mit der sie sich gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen wendet und im Wesentlichen eine Verletzung der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Halbs. 2 GG) rügt, hatte vor dem BVerfG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig; sie genügt nicht den Anforderungen an den Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG). Danach muss ein Beschwerdeführer vor dem Anrufen des BVerfG zunächst die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung im sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen.

Die Beschwerdeführerin hat es versäumt, zur Durchsetzung des von ihr begehrten Informationszugangs nach § 1 Abs. 1 S. 1 IFG zunächst einen Antrag an das Bundeskanzleramt zu stellen, in dessen Zuständigkeit die Akten geführt wurden. Ein solcher Antrag ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Beschwerdeführerin stattdessen einen Antrag an das Bundesarchiv gestellt hat. Die Akten haben dem Bundesarchiv nie vorgelegen und sind nicht zu Archivgut geworden. Ein entsprechender Antrag hat sich auch nicht durch das nachfolgende Klageverfahren erübrigt. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war allein der Antrag an das Bundesarchiv und dessen Verpflichtung, die begehrten Unterlagen zugänglich zu machen.

Das BVerfG kann zwar vor Erschöpfung des Rechtswegs über eine Verfassungsbeschwerde entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist. Dies kommt grundsätzlich jedoch dann nicht in Betracht, wenn die Ausschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs eine für den Fall maßgebliche Klärung einfachrechtlicher Vorfragen oder die Feststellung auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung erheblicher Tatsachen erwarten lässt. So liegt es hier in Bezug auf die Reichweite des Informationszugangsanspruchs (§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG).

§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG eröffnet grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen im Sinne der Informationsfreiheit. Für die hier in Frage stehende Konstellation, in der sich die begehrten Informationen nicht unmittelbar bei der Behörde selbst, sondern bei einer privaten Stiftung befinden, regelt das IFG indes nicht ausdrücklich, ob auch insoweit der Zugang zu den Akten eröffnet sein soll. Zwar ergibt sich aus dem Gesetz, dass es keinen allgemeinen Beschaffungsanspruch von Akten begründet, die nicht in den Bestand der Behörden gelangt sind. Ungeklärt ist indes, ob das auch für die Frage der Wiederbeschaffung von Akten gilt, die bei der Behörde angefallen waren und dann in den Gewahrsam Privater gelangt sind. Ob das IFG in solchen Fällen Informationszugang gewährt, ist nicht von vornherein ausgeschlossen und bedarf fachgerichtlicher Klärung.

Wenn § 1 Abs. 1 IFG nach fachgerichtlicher Auslegung den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Anspruch auf Zugangsverschaffung zu den begehrten Informationen deckt, steht dieser Informationszugang unter dem Schutz der Informationsfreiheit und bedarf es für die nähere Bestimmung dieses Anspruchs einer Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des IFG im Lichte der grundrechtlich gewährleisteten Informationsfreiheit. Dabei ist der Bedeutung der allgemeinen Zugänglichkeit der Quellen das ihr für die Freiheitswahrnehmung des Einzelnen wie für die Kommunikation im demokratischen Verfassungsstaat zukommende Gewicht beizumessen und mit entgegenstehenden Belangen in einen vertretbaren Ausgleich zu bringen.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
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BVerfG PM Nr. 58 vom 12.7.2017
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