Vergabesenat: Verweisung des Verfahrens an das Gericht eines anderen Rechtswegs
BGH v. 10.12.2019 - XIII ZB 119/19
Der Sachverhalt:
Die Antragsgegnerin zu 1 - eine gesetzliche Krankenkasse - schloss im Februar 2018 mit den Beigeladenen zu 1 bis 3 - den Apothekerverbänden in den Ländern B., Br. und M. - Vereinbarungen über die Abrechnung von Grippeimpfstoff, der von einem Arzt als Sprechstundenbedarf gesetzlich Krankenversicherten in der Impfsaison 2018/2019 verordnet werden sollte. Die Antragsgegnerin zu 1 verpflichtete sich in diesen Vereinbarungen, Apotheken jede Impfdosis mit 9,20 € netto zu vergüten, sollte der Arzt den Grippeimpfstoff wirkstoffbezogen und nicht produktbezogen verordnen, also nicht den Impfstoff eines bestimmten Herstellers verschreiben. Die Beigeladene zu 4 - eine Herstellerin von Grippeimpfstoff - sicherte der Antragsgegnerin zu 2 - einer Tochtergesellschaft des Beigeladenen zu 1, die für Apotheken den Einkauf von Grippeimpfstoff organisiert - in einer Vereinbarung von Februar 2018 zu, Apotheken zu einem Preis von maximal 7,55 € netto je Dosis mit Grippeimpfstoff zu beliefern.
Die Antragstellerin beantragte im Wege eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 160 Abs. 1 GWB festzustellen, dass die von den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 geschlossenen Verträge betreffend die Grippeimpfstoffversorgung in den Ländern B., Br. und M. für die Impfsaison 2018/2019 unwirksam seien. Sie beantragte weiter, den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Verträge nach den gesetzlichen Bestimmungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschreiben, soweit dies nicht durch andere gesetzliche Vorschriften ausgeschlossen sei. Den Auftragswert gab die Antragstellerin mit 12,76 Millionen Euro netto an.
Mit Beschluss vom 15. Mai 2018 erklärte die Vergabekammer die Vereinbarungen der Antragsgegnerin zu 1 mit den Beigeladenen zu 1 bis 3 für unwirksam und gab der Antragsgegnerin zu 1 auf, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen. In Bezug auf die Antragsgegnerin zu 2 verwarf die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unzulässig.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 hat der Vergabesenat des OLG Düsseldorf den Beschluss der Vergabekammer insoweit aufgehoben, als die Vergabekammer festgestellt hat, dass die Vereinbarungen der Antragsgegnerin zu 1 mit den Beigeladenen zu 1 bis 3 unwirksam seien, und der Antragsgegnerin zu 1 aufgegeben worden ist, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen. Eine von der Antragstellerin eingelegte Anschlussbeschwerde hat der Vergabesenat als unzulässig verworfen. Er hat den Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen für nicht eröffnet erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht M. verwiesen.
Mit ihrer vom Vergabesenat zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrte die Antragsgegnerin zu 1 die Aufhebung des Beschlusses des Vergabesenats, soweit das Verfahren an das Sozialgericht verwiesen worden ist. Die Rechtsbeschwerde vor dem BGH war erfolgreich.
Die Gründe:
Gründe der Verfahrensökonomie und des effektiven Rechtsschutzes erfordern nur dann eine Verweisung entsprechend § 17a GVG, wenn der Rechtsuchende sein Rechtsschutzziel im anderen Rechtsweg weiterverfolgen will und weiterverfolgen kann. Nur in diesen Fällen hat der Vergabesenat bei Zweifeln über den zulässigen Rechtsweg durch eine bindende Verweisung des Verfahrens entsprechend § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG zu verhindern, dass eine Rechtsschutzlücke entsteht. Diese Situation liegt hier nicht vor.
Die Antragstellerin hat ihren Nachprüfungsantrag auf § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, also auf die rechtswidrig fehlende Auftragsbekanntmachung, gestützt. Das damit verfolgte Rechtsschutzziel kann sie nur im Vergabenachprüfungsverfahren erreichen, nicht aber vor den Sozialgerichten. Zwar ist eine Überprüfung der hier angegriffenen Vereinbarungen zwischen der Antragsgegnerin zu 1 und den Beigeladenen zu 1 bis 3 auf ihre Vereinbarkeit mit § 129 Abs. 5 SGB V vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit denkbar, jedoch lassen weder die im Vergabenachprüfungsverfahren gestellten Anträge noch der Vortrag der Antragstellerin erkennen, dass sie ihr Begehren - eventuell hilfsweise - auch auf einen Verstoß gegen sozialrechtliche Vorschriften stützen will. Die Antragstellerin hat im Gegenteil im Beschwerdeverfahren ausdrücklich erklärt, es gehe in dem von ihr angestrengten Nachprüfungsverfahren nicht um das sozialrechtliche "Ob", sondern ausschließlich um das vergaberechtliche "Wie". Die sozialrechtliche Form des Handelns sei ebenso unerheblich wie die Frage, ob und inwieweit dieses Handeln von einer hinreichenden sozialrechtlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt sei.
Aufgrund dieses Vorbringens der Antragstellerin ist eine Verweisung des Rechtsstreits an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit aus Gründen der Verfahrensökonomie und des effektiven Rechtsschutzes nicht geboten, da eine dort vorzunehmende Überprüfung anhand sozialrechtlicher Normen völlig neuen Vortrag der Parteien zu einem neuen rechtlichen Prüfungsmaßstab erfordern würde, den die Antragstellerin ihrem Rechtsschutzbegehren bisher nicht zugrunde gelegt hat und auch ausdrücklich nicht zugrunde legen wollte. Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - sich vor dem Beschwerdegericht zudem ausdrücklich gegen eine Verweisung an das Sozialgericht verwehrt und erklärt habe, dass dies nicht ihrem Begehren entspreche.
BGH online
Die Antragsgegnerin zu 1 - eine gesetzliche Krankenkasse - schloss im Februar 2018 mit den Beigeladenen zu 1 bis 3 - den Apothekerverbänden in den Ländern B., Br. und M. - Vereinbarungen über die Abrechnung von Grippeimpfstoff, der von einem Arzt als Sprechstundenbedarf gesetzlich Krankenversicherten in der Impfsaison 2018/2019 verordnet werden sollte. Die Antragsgegnerin zu 1 verpflichtete sich in diesen Vereinbarungen, Apotheken jede Impfdosis mit 9,20 € netto zu vergüten, sollte der Arzt den Grippeimpfstoff wirkstoffbezogen und nicht produktbezogen verordnen, also nicht den Impfstoff eines bestimmten Herstellers verschreiben. Die Beigeladene zu 4 - eine Herstellerin von Grippeimpfstoff - sicherte der Antragsgegnerin zu 2 - einer Tochtergesellschaft des Beigeladenen zu 1, die für Apotheken den Einkauf von Grippeimpfstoff organisiert - in einer Vereinbarung von Februar 2018 zu, Apotheken zu einem Preis von maximal 7,55 € netto je Dosis mit Grippeimpfstoff zu beliefern.
Die Antragstellerin beantragte im Wege eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 160 Abs. 1 GWB festzustellen, dass die von den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 geschlossenen Verträge betreffend die Grippeimpfstoffversorgung in den Ländern B., Br. und M. für die Impfsaison 2018/2019 unwirksam seien. Sie beantragte weiter, den Antragsgegnerinnen zu 1 und 2 aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Verträge nach den gesetzlichen Bestimmungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschreiben, soweit dies nicht durch andere gesetzliche Vorschriften ausgeschlossen sei. Den Auftragswert gab die Antragstellerin mit 12,76 Millionen Euro netto an.
Mit Beschluss vom 15. Mai 2018 erklärte die Vergabekammer die Vereinbarungen der Antragsgegnerin zu 1 mit den Beigeladenen zu 1 bis 3 für unwirksam und gab der Antragsgegnerin zu 1 auf, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen. In Bezug auf die Antragsgegnerin zu 2 verwarf die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unzulässig.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 hat der Vergabesenat des OLG Düsseldorf den Beschluss der Vergabekammer insoweit aufgehoben, als die Vergabekammer festgestellt hat, dass die Vereinbarungen der Antragsgegnerin zu 1 mit den Beigeladenen zu 1 bis 3 unwirksam seien, und der Antragsgegnerin zu 1 aufgegeben worden ist, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen. Eine von der Antragstellerin eingelegte Anschlussbeschwerde hat der Vergabesenat als unzulässig verworfen. Er hat den Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen für nicht eröffnet erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht M. verwiesen.
Mit ihrer vom Vergabesenat zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrte die Antragsgegnerin zu 1 die Aufhebung des Beschlusses des Vergabesenats, soweit das Verfahren an das Sozialgericht verwiesen worden ist. Die Rechtsbeschwerde vor dem BGH war erfolgreich.
Die Gründe:
Gründe der Verfahrensökonomie und des effektiven Rechtsschutzes erfordern nur dann eine Verweisung entsprechend § 17a GVG, wenn der Rechtsuchende sein Rechtsschutzziel im anderen Rechtsweg weiterverfolgen will und weiterverfolgen kann. Nur in diesen Fällen hat der Vergabesenat bei Zweifeln über den zulässigen Rechtsweg durch eine bindende Verweisung des Verfahrens entsprechend § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG zu verhindern, dass eine Rechtsschutzlücke entsteht. Diese Situation liegt hier nicht vor.
Die Antragstellerin hat ihren Nachprüfungsantrag auf § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, also auf die rechtswidrig fehlende Auftragsbekanntmachung, gestützt. Das damit verfolgte Rechtsschutzziel kann sie nur im Vergabenachprüfungsverfahren erreichen, nicht aber vor den Sozialgerichten. Zwar ist eine Überprüfung der hier angegriffenen Vereinbarungen zwischen der Antragsgegnerin zu 1 und den Beigeladenen zu 1 bis 3 auf ihre Vereinbarkeit mit § 129 Abs. 5 SGB V vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit denkbar, jedoch lassen weder die im Vergabenachprüfungsverfahren gestellten Anträge noch der Vortrag der Antragstellerin erkennen, dass sie ihr Begehren - eventuell hilfsweise - auch auf einen Verstoß gegen sozialrechtliche Vorschriften stützen will. Die Antragstellerin hat im Gegenteil im Beschwerdeverfahren ausdrücklich erklärt, es gehe in dem von ihr angestrengten Nachprüfungsverfahren nicht um das sozialrechtliche "Ob", sondern ausschließlich um das vergaberechtliche "Wie". Die sozialrechtliche Form des Handelns sei ebenso unerheblich wie die Frage, ob und inwieweit dieses Handeln von einer hinreichenden sozialrechtlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt sei.
Aufgrund dieses Vorbringens der Antragstellerin ist eine Verweisung des Rechtsstreits an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit aus Gründen der Verfahrensökonomie und des effektiven Rechtsschutzes nicht geboten, da eine dort vorzunehmende Überprüfung anhand sozialrechtlicher Normen völlig neuen Vortrag der Parteien zu einem neuen rechtlichen Prüfungsmaßstab erfordern würde, den die Antragstellerin ihrem Rechtsschutzbegehren bisher nicht zugrunde gelegt hat und auch ausdrücklich nicht zugrunde legen wollte. Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - sich vor dem Beschwerdegericht zudem ausdrücklich gegen eine Verweisung an das Sozialgericht verwehrt und erklärt habe, dass dies nicht ihrem Begehren entspreche.